Es gehört zur Tradition der Schwetzinger Festspiele, dass sie eine unbekannte barocke und eine zeitgenössische Oper präsentieren. Zum Festivalauftakt ist das in vielfacher Hinsicht interessante Werk eines Monteverdi-Schülers zur deutschen Erstaufführung gelangt.

Schwetzingen - Das Tor ist verschlossen, die Musik schweigt. Doch noch bevor das Ensemble Concerto Köln im Orchestergraben des Schwetzinger Rokokotheaters die ersten Noten von Franceso Cavallis 1652 uraufgeführter Oper „Veremonda, L’Amazone di Aragona“ spielt, schiebt sich der Riegel zurück. Zögernd zeigen sich: ein Fuß, ein Bein, ein Arm. Eine Frau im kleinen Schwarzen. Eine Frau mit Bart. Huch! Conchita Wurst hat es pünktlich zur Eröffnung der Schwetzinger SWR-Festspiele auf die Opernbühne geschafft. Genauer: Fünf Conchita Wursts bevölkern hier immer wieder das Stück. Sie sind die allegorischen Figuren, die der Komponist und sein Librettist Giulio Strozzi ihrer Oper beigeben. Zerrissen sind diese Figuren, ungreifbar, gestylt, künstlich – und das sieht wirklich ein wenig wie bei Thomas Neuwirth aus Oberösterreich aus, denn auch die fünf Schwetzinger Dragqueens sind ein Statement: Passt auf, könnte es lauten, dass ihr keinem Klischee glaubt und keinem Vorurteil. Öffnet euch für das, was anders ist!

 

Dinge, die anders sind, gibt es in jeder Oper, aber an diesem Abend gibt es sie zuhauf. Nachdem sich das Tor weit geöffnet hat, fährt es zurück bis zum Ende der Bühne, die Stefanie Seitz entworfen hat. Der Spielraum Oper ist eröffnet: eine bildnerische Entsprechung zu den zahlreichen ironischen Volten, mit denen Cavallis extrem textorientierte Musik ebenso umgeht wie die Regisseurin Amélie Niermeyer. „Veremonda“ ist auch ein Stück über die Oper, ein selbstironisches Spiel mit der Gattung, das nicht nur in Sätzen wie „Ich singe, was ich dir zu sagen habe“ aufscheint. Das ist erstaunlich genug für eine Oper aus dem frühbarocken Venedig und ebenso heutig wie die noch erstaunlichere Klischeearmut, mit der hier der Konflikt zwischen Arabern und Spaniern, Islam und Christentum, Tragik und Komik, Männern und Frauen zur Zeit der Reconquista in Worte und Töne gefasst wird: Der spanische Offizier Delio liebt die Maurenkönigin Zelemina, der spanische König Alfonso liebt nur die Astrologie, seine Gattin Veremonda, ehemals Amazone, liebt den Krieg – und nach zahlreichen Intrigen und Verwicklungen wird in einem Happy End, das auch in der von Gabriel Garrido eingerichteten Partitur ein gebrochenes ist, das beängstigende Fremde unterworfen und vernichtet.

Eine verblüffende deutsche Erstaufführung, auch wenn es Gründe gibt, mit einigem zu hadern: „Veremonda“ hat Längen, was man auch hörte, weil der kurzfristig für Garrido eingesprungene Assistent Andrés Locatelli das Stück sehr gerade und in den Tempi nicht übermäßig beweglich dirigierte. Auch die intonatorische Trefferquote lag am Premierenabend nicht bei hundert Prozent: Gelegentlich schwächelte das Orchester, häufiger noch wackelten die Sänger, unter denen nur die Sopranistinnen Netta Or als Veremonda – sehr beweglich und sehr eigen, leicht gaumig klingend – und Alexandra Samouilidou als klare, feine Zelemina vollständig überzeugten. Doch wer sich einließ auf Cavallis offene Formen, in denen ein hier exzellent einstudiertes singendes Sprechen vor kurzen ariosen Teilen dominiert, wer auch die eher nach der Logik des Gefühls verbundenen Szenen zusammensetzte und dabei die grundsätzliche Welt-Verrücktheit der Oper akzeptierte – wer dies tat, konnte diese Oper genießen, ebenso die Art, mit der Amélie Niermeyer sie in Szene setzte. Aus „Veremonda“ machte sie ein geradezu nervös auf den Text reagierendes, klingendes Pendant zu Shakespeares Welttheater, dessen Personal die Musik mit klaren Pinselstrichen charakterisiert, das zwischen lustigen und traurigen Szenen und niederem und hohem Stand wechselt und sogar einen Narren von Shakespeare-Format aufzubieten hat. Auch viele wundervolle Klangfarben-Momente des Concerto Köln, die wie akustische Beleuchtungswechsel wirkten, werden in Erinnerung bleiben.

Und die Conchitas? Sie sind entmachtete Götter, verkommen zu bloßen Spiegelfiguren der Menschen. Zu Delios Bemerkung „Alle Gunstbezeigungen des Himmels regnen auf uns herab“ wirft Amor Konfetti. Dann schiebt sich das große Opern-Tor von Schwetzingen wieder nach vorne an die Rampe. Aus, aus, das Spiel ist aus.

Aufführungen am 3. und 4. Mai, am 20. Juni kommt „Veremonda“ im koproduzierenden Theater in Mainz heraus.