Martina und Jörg Schantel waren an Bord der Costa Concordia, als diese vor der Insel Giglio havarierte. Sie bezeichnen es als reines Glück, dass sie überlebten – und ärgern sich umso mehr über das Auftreten des Unglückskapitäns.

Schwieberdingen - Das Urteil ändert nichts für sie. Martina und Jörg Schantel sind zwar froh, dass das Gericht im italienischen Grossetto nun die Schuld von Francesco Schettino, dem Kapitän des Unglückskreuzers Costa Concordia, festgestellt hat. Abschließen können sie mit ihren Erlebnissen vor der italienischen Insel Giglio aber trotzdem nicht. Zu einschneidend waren die Erfahrungen bei dem Unglück im Januar 2012, das sie überlebten, bei dem aber 32 auch Menschen starben.

 

Genau das ist es, woran Jörg Schantel immer wieder erinnern will. Ihm steht der Unglückskapitän Schettino oft viel zu sehr im Fokus. „Man sollte vor allem an die vielen Menschen denken, die ihr Leben wegen so eines Blödsinns verloren haben“, sagt der 51-Jährige. Damit spielt er auf die Begründung Schettinos an, das Kreuzfahrtschiff so nah an die Küste manövriert zu haben, um Freunde auf der Insel zu grüßen und den Fahrgästen ein schönes Panorama zu bieten.

Schettinos Auftreten bringt Schantel auf die Palme

Doch nicht nur das Verhalten des Kapitäns an Bord, auch sein Auftreten vor Gericht bringt den 51-Jährigen auf die Palme. „Unerträglich und „unterirdisch“ sind für Schantel Aussagen Schettinos wie die, er habe sich mit dem Verlassen des Schiffes nicht aus der Verantwortung ziehen wollen, sondern sei aus Versehen in ein Rettungsboot gefallen. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Leute, die Angehörige bei dem Unglück verloren haben“, findet er. Letztendlich habe für ihn stets der Kapitän die Verantwortung: „Aber er schiebt die Schuld immer auf andere, das ist nicht auszuhalten“, so Schantel.

Das Urteil selbst – Schettino wurde zu 16 Jahren und einem Monat Haft verurteilt – will das Ehepaar aus Schwieberdingen nicht kommentieren. Sie sind erleichtert, dass der Kapitän für schuldig erklärt wurde, aber ob das Urteil gerecht sei, vermöge sie nicht zu sagen, so Martina Schantel. „Wie soll man den Tod von 32 Menschen kalkulieren?“, fragt auch ihr Mann.

Sie selbst dächten immer wieder daran, was für ein Glück sie gehabt hätten, erzählt Martina Schantel. Das Paar war im Theater an Bord, als das Schiff auf den Felsen vor Giglio lief. Es habe lediglich ein leises Rucken gegeben und die Gläser seien von den Tischen gerutscht. Aber am erschreckten Gesichtsausdruck der Schauspieler habe er erkannt, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, erinnert sich Jörg Schantel. Zunächst ließ sich das Ehepaar noch von den Durchsagen beruhigen, in denen zur Ruhe gemahnt und betont wurde, es gebe kein gravierendes Problem, lediglich einen technischen Fehler.

An Deck herrschte Panik und völliges Chaos

Doch als die Schwieberdinger spürten, dass sich das Schiff immer weiter neigte, schnappten sie sich ihre Schwimmwesten und rannten zu den Rettungsbooten. „Das war unser Glück“, sagt Martina Schantel. Denn die meisten Boote seien schon voll gewesen, nur mit Mühe und Not bekamen sie noch einen Platz. Zu dem Zeitpunkt sei auf Deck bereits Panik ausgebrochen: „Die Leute haben gebrüllt und geschrien, es war unglaublich“, erzählt die 52-Jährige. Es sei das reinste Chaos gewesen, vom Personal habe man kaum mehr jemanden gesehen, „höchstens heulend auf dem Boden“. Offenkundig sei die Crew mit der Situation völlig überfordert gewesen.

Noch heute beeinflusst diese Erfahrung den Alltag der Schantels. Sie müssten zwar nicht mehr täglich daran denken, „aber wenn wir im Theater oder im Kino sind, beschleicht uns immer noch ein mulmiges Gefühl“, sagt Martina Schantel. Sie schaue immer zuerst, wo die Notausgänge sind, das habe sie früher nie getan. „Ich glaube, so richtig mit der Sache abschließen kann man nie“, sagt die 52-Jährige. Zumal sie und ihr Mann ohnehin damit rechnen, dass das Unglück immer wieder thematisiert wird. Schließlich hat Schettino Berufung gegen das Urteil eingelegt – der Weg durch die Instanzen könnte noch Jahre dauern.

Ein Prozess mit Fortsetzung

Urteil
: Nach anderthalb Jahren Prozess hat das Gericht im italienischen Grossetto am Mittwochabend sein Urteil gefällt: Es erklärte den Kapitän Francesco Schettino für verantwortlich für die Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia mit 4200 Passagieren an Bord. Bei dieser waren 32 Menschen ums Leben gekommen, darunter zwölf Deutsche. Der 54-jährige Schettino wurde zu 16 Jahren und einem Monat Haft verurteilt, zudem darf er fünf Jahre lang kein Schiff mehr führen und für den Rest seines Lebens keine öffentlichen Ämter bekleiden.

Berufung
: Die Anwälte von Schettino haben bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt. Der Verurteilte bleibt vorerst auf freiem Fuß.