In Stuttgart fehlt es nicht an Wasser, aber an Wasserverständigen, findet Lokachef Jan Sellner. Bis alle Grundschüler schwimmen können, muss noch einiges passieren.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Sehnsucht nach Meer? Für Stuttgart überhaupt kein Problem. Die Stadt plant ein Sommerfestival vor dem neu eröffneten Stadtpalais am Charlottenplatz, das früher Wilhelmspalais hieß. Dort soll für sechs Wochen ein Wasserbecken platziert werden. Die Freitreppe wird in eine Art Dünenlandschaft umgestaltet. Das Motto lautet: „Stadt am Meer“. Hübsch, aber nur schöner Schein, denn wie jeder weiß, ist Stuttgart keine Stadt am Wasser und wird nie eine werden. Stuttgart ist jedoch eine Stadt mit Wasser. Mit großartigem Wasser sogar. Die Mineralvorkommen in Bad Cannstatt zählen zu den größten in Europa. Sie sind Stuttgarts einziger Bodenschatz, von dem die Stadt eher verlegen als selbstbewusst Gebrauch macht.

 

Die Mineralwasserquellen füllen die Badebecken der Mineralbäder Leuze und Cannstatt und irgendwann auch wieder die des Mineralbads Berg, Kennern bekannt als „Neuner“, das derzeit von Grund auf saniert wird. Weil das Berger Mineralwasser aber irgendwo hin muss, fließt es derzeit reichlich den Neckar hinunter. Richtig, den gibt’s ja auch noch. Und dazu ein städtisches Programm namens „Stadt am Fluss“, das unsichtbar wie der Nesenbach vor sich hinplätschert.

Schwimmfit – eine kluge Initiative

Das heißt jedoch nicht, dass die Stadt keinen Zugang zu Wasser hätte. Aktuell zählt Stuttgart neben den erwähnten drei Mineralbädern mehr als ein Dutzend Frei- und Hallenbäder unter Aufsicht der städtischen Bäderbetriebe. Es gibt demnach reichlich Schwimmmöglichkeiten in der Stadt. Es gibt allerdings auch das hier beschriebene Problem, dass überall Schwimmmeister fehlen. Was in vielen Berufsfeldern festzustellen ist – und seit einigen Tagen Thema einer Serie in unserer Zeitung ist –, das gilt auch für die Bäder: Fachkräfte, in dem Fall ausgebildete Rettungsschwimmer, sind kaum noch zu finden, weil sich Interessen verlagern und Lebensgewohnheiten verändern. Weil die Berufswelt andere Anforderungen stellt und weil die Bezahlung oft nicht stimmt. Ein landesweites Phänomen.

Der Mangel an Rettungsschwimmern und Schwimmlehrern stellt auch für die kluge städtische Initiative Schwimmfit ein Problem dar. Die Plattform ist ein geeignetes Instrument, um mehr Grundschüler – am besten alle – zum Schwimmen zu bewegen – speziell auch jene, die aus sozial schwachen Verhältnissen kommen oder bei denen sauberes Wasser kulturell oder geografisch bedingt so kostbar ist, dass man sich nicht darin vergnügt.

Behandeln wir Schwimmmeister gut?

Das Ganze funktioniert allerdings nur, wenn für die vielen Lernwilligen ausreichend Kursleiter zur Verfügung stehen. Auch da ist für Stuttgart leider festzustellen: Es fehlt nicht an Wasser, aber an Menschen, die mit Wasser umgehen können, getreu Goethes Satz: „Das Wasser ist ein freundliches Element für den, der damit bekannt ist und es zu behandeln weiß.“ Schwimmmeister wissen mit Wasser umzugehen, aber wissen wir Schwimmmeister gut zu behandeln? Es geht nicht zuletzt um Anerkennung und Respekt. Die Frage stellt sich auch in einer Stadt ohne Meer.

jan.sellner@stzn.de