Beim Schwörtag blicken der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der Esslinger Oberbürgermeister, Jürgen Zieger, auf den gesellschaftlichen Wandel und die digitale Revolution.

Kultur: Kathrin Waldow (kaw)

Esslingen - In seiner diesjährigen Schwörtagsrede spannte Oberbürgermeister Jürgen Zieger (SPD) am Freitagabend den Bogen von der Weltpolitik und Entwicklungen in Europa zu den Herausforderungen, die in Esslingen anstehen: „Die internationale Ordnung verändert sich so stark, wie seit dem Ende des kalten Krieges nicht mehr. Die Umwälzungen durch die vierte industrielle Revolution bedeuten große Herausforderungen und vielleicht könnte die Idee eines europäischen Sozialmodells eine Vorbildfunktion haben“, stellte der Ratschef in den Raum.

 

Er warb für mehr Wertschätzung für die Demokratie und für Europa und nahm die Ergebnisse der Europawahl als Beleg für ein klares Plädoyer für ein gemeinsames Europa. Gleichzeitig warnte er vor Rechtspopulismus. „Der Rechtspopulismus stürmt heran und täuscht vor, er wolle überhaupt erst wahre Freiheit schaffen. Viele nehmen diese Freiheit als selbstverständlich, doch das ist sie nicht. Sie muss stets bekräftigt, mit Leben erfüllt und verteidigt werden. Dazu gehört, sie auch ihren Gegnern zu gewähren, solange diese nicht Gesetze und Verfassung brechen. Wir sollten das Einende betonen und nicht das Trennende“, so Zieger im Schwörhof. Das gelte auch für die Stadtgesellschaft Esslingen, für die politische Arbeit und den Umgang miteinander.

Bernhard Pörksen erklärt digitalen Schmetterlingseffekt

Was im Großen passiere, spiegele sich im Kleinen wieder. Auf allen politischen Ebenen spüre man ein Gefühl der Entwurzelung, das zur Rebellion gegen Parteien, Institutionen und Amtsinhaber führe. Dass sich am Montag, der Esslinger Gemeinderat ohne Rechtspopulisten neu konstituiere, findet Zieger angesichts der politischen Entwicklungen bemerkenswert. Er lobte bereits verwirklichte Projekte und benannte die wichtigsten anstehenden Aufgaben in Esslingen: Die Schaffung von Wohnraum, die Schulentwicklung, Mobilitätsentwicklung, Nachhaltigkeit und den Umgang mit der digitalen Revolution.

Dazu konnte der Medienexperte Bernhard Pörksen sein geballtes Wissen an die Besucher der öffentlichen Veranstaltung richten, die dem brillanten Redner an den Lippen hingen. Der Medienwissenschaftler und Professor an der Universität Tübingen stellte seine Diagnosen über den Wandel der Kommunikation. Er zeigte etwa anhand des Falls Martha Payne, einer Schülerin, die einen Blog über Schulessen ins Leben rief, wie Bürger, auch Kinder, in der digitalen Welt zu „Sendern“ werden und Nachrichten mit globaler Reichweite verfassen können, die wiederum große Auswirkungen auf die analoge Welt haben können. „Wir reden mittlerweile von einem digitalen Schmetterlingseffekt. Ein minimaler Kommunikationsanstoß kann maximale Auswirkung haben“, so Pörksen. Jeder Bürger sei heute nicht mehr nur Publikum, sondern habe durch die digitalen Möglichkeiten eine neue kommunikative Macht.

„Von der digitalen zur redaktionellen Gesellschaft“

Laut Pörksen lautet die Antwort auf die Herausforderungen des digitalen Kommunikationswandels redaktionelle Gesellschaft. „Diese sollte sich den Prinzipien des guten Journalismus verpflichtet fühlen und verantwortungsvoll mit den Medien auseinandersetzen. Wir müssen medienmündig werden, weil wir medienmächtig sind“, fasste er zusammen. Auch Zieger warb für Engagement, jeder könne sich fragen, was er für seine Stadt tun könne, sagt er.

Traditionell findet der Schwörtag als Auftaktveranstaltung für das Bürgerfest statt. Zieger verkündete, dass Esslingen zusammen mit den Städten Ulm und Reutlingen im Herbst den Antrag stellen wolle, die Tradition des Schwörtags in das weltweite Verzeichnis des immateriellen Unesco-Kultur-Erbes aufzunehmen.