Kai Jäger sei leicht mit Indiana Jones zu verwechseln, sagt man. Beim Science Slam in Berlin allerdings spricht der Paläontologe nicht von Filmen, sondern von Fossilien – und gewinnt den Wettbewerb. Der interessanteste Vortrag aber wird mit der geringsten Punktzahl bewertet.

Stuttgart - Optisch sei er leicht mit Indiana Jones zu verwechseln, sagt Kai Jäger, ein junger Doktorand, der mit schulterlangen Haaren auf der Bühne steht. Er ist als Hobby-Kampfsportler angekündigt worden. Aber inhaltlich habe er nichts mit einem Archäologen gemein, fügt er gleich hinzu. Er interessiere sich nicht für die Geschichte der Menschheit, wie es die Archäologen tun, sondern für die Geschichte des Lebens – und ist deshalb Paläontologe geworden. In seiner Diplomarbeit an der Universität Bonn hat Kai Jäger ein fünf Zentimeter großes Fossil untersucht: Henkelotherium, ein Säugetier aus dem Jurassic Park. Weil Schwanz und Krallen zum Klettern geeignet sind, zog er in seiner Arbeit den Schluss, dass die kleine Maus auf Bäumen gelebt haben muss. Ein Mosaikstein für die wissenschaftliche Rekonstruktion früherer Erdzeitalter, bezeichnet er das Ergebnis.

 

Doch dieser Einblick in den Forscheralltag macht nicht einmal eine Minute des Vortrags aus. Wie seine sieben Konkurrenten – darunter vier Frauen – hat Kai Jäger zehn Minuten Zeit, das Publikum für sich zu begeistern. Bei einem Science Slam geht es um Unterhaltung mit Aha-Effekt. Und seine Zuhörer nimmt Kai Jäger für sich ein, als er schwungvoll begründet, warum fossile Säugetiere cooler sind als die Dinosaurier, die zur selben Zeit lebten. Die Nachfahren der Dinosaurier (von denen viele gefiedert waren, wie derzeit eine Ausstellung im Stuttgarter Naturkundemuseum zeigt) sind heute die Vögel.

Bei einem Tyrannosaurus rex – immerhin ein zwölf Meter langer und bissiger Dinosaurier – müsse er deshalb immer an ein Brathähnchen denken, sagt Kai Jäger. Aus Henkelotherium und den anderen maus- oder rattenähnlichen Tieren der damaligen Zeit seien heute hingegen auch Löwen geworden. Und dann gibt Kai Jäger seinem Publikum noch den praktischen Tipp, wie man bei Ausgrabungen einen Knochen vom Stein unterscheidet: Man leckt daran. Knochen sind fein-porös, deshalb bleibt die Zunge an ihnen kleben. Nach Jahrmillionen im Boden seien die Knochen steril, versichert Kai Jäger. Ekelig werde es nur, weil man mit Kollegen zusammenarbeitet: „Das scheint ein Knochen zu sein. Hey, Kai, was meinst Du?“ Das deutsche Science-Slam-Finale in Berlin hat Kai Jäger am Samstagabend mit Abstand gewonnen. Nur er bekommt von den zehn Voting Masters im Publikum, die die Aufgabe hatten, die Einschätzungen ihrer Nachbarn zusammenzufassen, zwei Mal die höchste Wertung von zehn Punkten.

Der interessanteste Vortrag wird hingegen mit der geringsten Punktzahl bedacht: Simon Reif von der Universität Erlangen-Nürnberg, der im Kapuzenpulli auftritt, baut keine Gags in seinen Vortrag ein – keinen Seitenhieb auf die Politik und keine selbstironische Bemerkung über sein Fach – und er präsentiert auch keine lustigen, aus dem Netz geklauten Bilder oder Videos. Er erklärt, dass er sich in seiner Doktorarbeit mit Schummeleien in Krankenhäusern befasse. Bei Frühchen können Ärzte höhere Fallpauschalen abrechnen, wenn das Neugeborene nur in paar Gramm weniger wiegt und damit einen Grenzwert unterschreitet – ein unmoralischer Anreiz. Nach statistischen Analysen korrigieren Ärzte etwa 2000 Mal im Jahr das Geburtsgewicht leicht nach unten, und die Krankenkassen zahlen daraufhin 10 bis 20 Millionen Euro mehr, als eigentlich vorgesehen, sagt Simon Reif. Mit seiner Arbeit sei er noch nicht fertig, aber ein Ergebnis könne er schon nennen: Im komplizierten Fallpauschalensystem hat er keine Hinweise darauf gefunden, dass Ärzte am ehesten schummeln, wenn es ihnen viel bringt. Im Sinne eines Ökonomen verhalten sie sich also nicht rational.

Kai Jäger beim #36 Science Slam Berlin