Mathematik in der Kneipe? Kann das gut gehen? Es kann – jedenfalls wenn die Zahlenspiele so unterhaltsam und informativ wie in der Stuttgarter Szenekneipe Rosenau präsentiert werden.

Stuttgart - Mathematik in der Kneipe? Kann das gut gehen? Es kann – jedenfalls wenn die Zahlenspiele so unterhaltsam und informativ wie in der Stuttgarter Szenekneipe Rosenau präsentiert werden. Im Rahmen der Reihe „Science Pub“ ging es bei der letzten Veranstaltung in diesem Winter um die wirksame Verschlüsselung von Nachrichten: „Von der Enigma zum elektronischen Personalausweis“ lautete das Thema, mit dem der Mathematikprofessor Ulrich Görtz von der Universität Duisburg-Essen sein Kneipenpublikum informativ unterhalten hat.

 

Zur Erinnerung: die Enigma – griechisch Rätsel – war die legendäre deutsche Verschlüsselungsmaschine im Zweiten Weltkrieg. Mit einer Mischung aus Zähigkeit, minutiöser Kleinarbeit und Genialität gelang es den alliierten Gegnern, diese laut Görtz „ziemlich anspruchsvolle Maschine“ zu knacken. An der noch komplizierteren Verschlüsselungsmaschine der Amerikaner biss sich die deutsche Abwehr dagegen die Zähne aus.

Ein Primzahl mit 1200 Stellen in drei Sekunden

Heute sind dank der leistungsstarken Computer sowohl die Anforderungen als auch die Möglichkeiten für die Verschlüsselung von Nachrichten weitaus größer. Die mathematischen Grundlagen, die dahinter stecken, sind allerdings ziemlich komplex. Und manchmal auch ein wenig verblüffend, wie Ulrich Görtz seinem Publikum gleich zu Beginn im Zuge der üblichen Quizfragen verdeutlichte. Wie lange dauert es auf einem handelsüblichen Computer, eine Primzahl – also eine nur durch sich selbst sowie durch eins teilbare Zahl – mit 1200 Stellen zu finden? Mikrosekunden, Sekunden, Minuten oder Stunden? Der von Görtz mitgebrachte Laptop löste die Aufgabe nach drei Sekunden.

Die nächste Schätzfrage: Wie lange dauert es im ungünstigsten Fall, eine Zahl mit 500 Stellen in mögliche Primfaktoren zu zerlegen? Stunden, Tage, Jahre oder sogar einige Tausend Jahre? Letzteres ist der Fall. Mit diesen beiden Beispielen lässt sich ein wichtiges Grundprinzip der Verschlüsselung zeigen: Der Hinweg ist einfach, der Rückweg schwierig. So ist es leicht, das Produkt zweier Primzahlen zu bilden. Aber es ist weitaus schwieriger, diese Zahl wieder in die „richtigen“ Faktoren zu zerlegen. Der Grund: noch gibt es keine wesentlich schnelleren Verfahren als Ausprobieren – und dazu braucht es viel Zeit.

Kryptografie mit elliptischen Kurven

Dann wurde es schnell komplizierter. Görtz referierte, wie man mit öffentlichen Schlüsseln Nachrichten ver- und entschlüsseln kann, brachte Potenzmaschinen und das Rechnen mit Resten ins Spiel und machte am Schluss auch vor der Kryptografie mit elliptischen Kurven nicht halt – wobei dieses Verfahren bei der Verschlüsselung von Daten auf dem elektronischen Personalausweis eine wichtige Rolle spielt. Dabei räumte der Mathematiker selbst ein, dass die eine oder andere Rechnung doch ein wenig „kompliziert für einen Vortrag am Abend“ sei. Gleichwohl: die Prinzipien wurden deutlich – und auch die Schwierigkeiten, die dahinter stecken.

Klar, an der US-Sicherheitsbehörde NSA – dem laut Görtz größten Arbeitgeber für Mathematiker in den USA – führte auch an diesem Abend kein Weg vorbei. Görtz ist sich dabei ziemlich sicher, dass die NSA-Leute mehr können als sie sagen. Und dass sie all das, was sie können, auch machen. Deutlich wurde zudem, dass das Wettrennen zwischen Ver- und Entschlüsselung munter weitergeht und die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft sind. So deutet sich an, dass sich bei einem weiteren Erfolg der Quantencomputer auch ganz neue Verschlüsselungstechniken ergeben werden.