Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass Scientology mit dem neuen Zentrum neue Mitglieder werben will. Angehörige ehemaliger Mitglieder kritisieren die große Niederlassung in der Innenstadt.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Es ist unerträglich, daran regelmäßig vorbeifahren zu müssen“, sagt Andreas Maier (Name geändert). Er meint die neue Stuttgarter Niederlassung der Organisation Scientology an der Heilbronner Straße. Maier ist Angehöriger eines Scientology-Mitglieds, das nicht mehr lebt. Er gibt der Organisation die Schuld für die Entfremdung, die zwischen seiner Familie und dem Verwandten stattgefunden hatte, bevor dieser starb.

 

Mitglieder feiern am Sonntag im neuen Gebäude

Die Organisation hatte am Wochenende ohne Vorankündigung das Gebäude bezogen, mit einem Fest für Mitglieder. „Dass die Eröffnung unmittelbar bevorsteht, war uns klar – nur der genaue Tag war noch nicht bekannt“, sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes. Die Behörde beobachtet die Organisation seit 1997. „Wir verzeichnen seither auf Landes- wie auf Bundesebene einen Mitgliederrückgang um ein Drittel. Man kann also schon von einer Signalwirkung der Beobachtung reden“, sagt der Sprecher. Beobachtet werde Scientology, die sich selbst als Kirche bezeichnet, „weiterhin wegen ihres totalitären Menschen- und Gesellschaftsbildes, da werden Grundrechte negiert und freie Wahlen abgelehnt“, sagt der Sprecher. Man werde nun genau verfolgen, welche Aktivitäten die Stuttgarter Dependance entfalte, um neue Mitglieder für Scientology zu gewinnen – das sei offenbar der Auftrag der „Idealen Org“, wie die Stuttgarter Niederlassung intern heißt.

Den Angehörigen ist der Mitgliederschwund kein Trost. Andreas Maier fragt anklagend: „Was ist das für eine Landeshauptstadt, die ein solches Treiben nicht unterbinden kann?“ Die Stadt hatte jedoch keine Handhabe. Das Gebäude wurde auf dem freien Immobilienmarkt veräußert. Baurechtlich bestand ebenfalls keine Möglichkeit, die Pläne der Organisation zu unterbinden. Laut dem Baurechtsamt der Stadt sind dort neben Büro- und Verwaltungsgebäuden, Lokalen und Hotels auch „Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke“ möglich. Das hatte das Amt im vergangenen Winter auf eine Anfrage der Grünen mitgeteilt. Eine Genehmigung war lediglich für die Neuordnung der Stellplätze im Untergeschoss notwendig gewesen.

Milaneo-Management hofft auf weniger Infostände

Auch in der Nachbarschaft beäugt man kritisch, dass hier eine der wichtigsten Repräsentanzen der Scientologen in Deutschland entstehen soll. „Wir hatten oft Beschwerden von Kunden, die vor dem Center an Werbeständen angesprochen wurden“, sagt Andrea Poul, die Managerin des Einkaufszentrums Milaneo. Passanten hätten gar berichtet, wüst beschimpft worden zu sein, wenn sie sich nicht von den Scientology-Werbern ansprechen ließen. „Jetzt hoffen wir natürlich, dass wir hier weniger Infostände haben werden“, fügt Poul hinzu.

Beim Verfassungsschutz hofft man weiter auf die abschreckende Wirkung der Beobachtung der Scientology-Organisation. „Wenn ein Verbot die Rote Karte ist, dann ist die Beobachtung die Gelbe Karte, eine klare Warnung“, sagt der Sprecher.

Für die Angehörigen bleibt dennoch der Schmerz: „Ein Tempel der Schande, in dem das Vermögen der Familie steckt“, ist für sie das Haus an der Heilbronner Straße. „Haus und Hof“ hätten viele gespendet, berichten Andreas Maier und seine Schwester. Neben dem Umgangsverbot mit Kritikern der Organisation sei das ständige Anbetteln um Geld, um es an Scientology zu spenden, ein Hauptgrund, warum viele den Kontakt zu Familie und Freunden verlieren würden.