Vor barocker Kulisse und mit freundlichen Grüßen an Motörhead: Die Scorpions bespielen im Ludwigsburger Residenzschloss ihr Genre auf unnachahmlich altmodische Art.

Ludwigsburg - Hardrocker haben einen der besten Jobs der Welt. Bis ins hohe Alter hinein dürfen sie sich wie Jungs benehmen, die nie erwachsen werden müssen – und ihr Publikum liebt sie noch dafür. Der ganz große Junge beim Konzert der Scorpions in Ludwigsburg ist am Freitagabend Rudolf Schenker. Vom schrillen Bühnenoutfit – nietenbestückte Lederweste, ärmelloses Muskelshirt, kunstvoll zerschlissene Jeans, Sonnenbrille vom Typ „weg da, hier komm ich“– bis zur testosteronlastigen Körpersprache: Schenker gibt bei den Hardrockern aus Hannover den Platzhirsch, der das Rampenlicht am liebsten ganz für sich alleine hätte und den weit ins Publikum hineingebauten Laufsteg im Innenhof des Residenzschlosses im Stil eines brünftigen Zwölfenders zu seinem Terrain erklärt.

 

Wohlwollend betrachtet könnte man sagen: Mit seiner dick aufgetragenen Trash-Ästhetik befreit der Saitenmann der Scorpions sein Genre vom faulen Mythos der verschwitzten Männerromantik, ironisiert dessen breitbeinige Posen und überkandidelte Gesten mit absichtvollem Overacting. Weniger wohlwollend gesagt: Schenker, mit seinen Powerchords auch musikalisch mehr für den handfesten Teil im Bandsound zuständig, walzt und grimassiert sich durch den Abend, als gälte es, sich um einen Platz im RTL-„Sommerhaus der Stars“ zu bewerben.

Melodischer Glanz und metallische Schärfe

Doch die Scorpions können auch anders; vor allem Klaus Meine und Matthias Jabs verkörpern in Ludwigsburg das andere Gesicht von Deutschlands dienstältester und erfolgreichster Hardrock-Formation. Jabs, mit dreiundsechzig Jahren quasi das Nesthäkchen der Ende der siebziger Jahre formierten Phase-III-Besetzung der Band, konzentriert sich lieber aufs Gitarrespielen als auf exaltierte Posen und haucht dem Sound das nötige Maß an melodischem Glanz und metallischer Schärfe ein. Und Klaus Meine ist mittendrin auf seinem Weg vom Rock-Shouter zu einer Art elder statesman seines Genres.

Deutlich haushaltet der kürzlich siebzig Jahre alte gewordene Frontmann inzwischen mit seinen Kräften, sehr dosiert wirkt seine Körpersprache in Ludwigsburg. Und auch stimmlich geht Meine nicht mehr an seine Grenzen, sowohl was Tonhöhe als auch vokale Dynamik angeht. Kein Beinbruch – charakteristisch und eindringlich bleibt seine hohe Heulbojenstimme natürlich trotzdem, zumal Meine mit der gebotenen Ernsthaftigkeit agiert.

Genau zwischen diesen Spannungspunkten – hier seriöses Rockkonzert, dort überkandidelter Showevent – pendelt dieser Auftritt knapp einhundertzwanzig Minuten lang. Songs aus fast allen Phasen einer rund fünfzigjährigen Karriere gibt es dabei vor hübsch barocker Kulisse zu hören. Vom Auftakt mit „Going out with a Bang“ vom bislang letzten Album „Return To Forever“ geht es zurück zu den großen Hits der achtziger bis neunziger Jahre wie „Big City Nights“, „Make it real“ und „Blackout“. Zum frühen Highlight wird „Is there anybody there?“ mit seinem Gegensatzpaar aus Hardrockgitarren hier und stolpernden Reggae-Beats sowie dem fetten Bass von Pawel Mąciwoda dort.

Mit der Farbenpracht eines Flipperautomaten

Ein Medley um „Top of the Bill“ und „Steamrock Fever“ entführte die Fans gar bis zurück in die siebziger Jahre, und das von den Scorpions miterfundene Kapitel „Powerballade“ ist durch semiakustische Versionen von „Still loving you“ und natürlich „Wind of Change“ vertreten. An der Schwelle zu den 1990er-Jahren haben Schenker & Co. einst diese heimliche zweite deutsche Nationalhymne komponiert, und in jener Zeit ist diese Show auch optisch stecken geblieben.

Die Computeranimationen protzen mit der Farbenpracht eines Flipperautomaten, in Videoclips bedienen knapp bekleidete Damen typische Männerfantasien. Auf hemmungslos nostalgische Art also inszenieren die Scorpions ihr Genre – hier gibt es Hardrock alter Schule; den nötigen Glam-Faktor inklusive. Im wahrsten Sinne des Wortes zum Höhepunkt in dieser Kategorie wird gegen Mitte des Abends der Auftritt von Mikkey Dee. Meterhoch über der Bühne, quasi als schwebender Schlagzeuger, gibt er einen ausgiebigen Solopart zum Besten; an mehreren Seilzügen wird sein Drumpodium dafür die Höhe gezogen – ein Stück Rock ‚n’ Roll mit „Lifta“-Effekt sozusagen. Davon abgesehen hat der Trommel-Derwisch aber den härtesten Job in Ludwigsburg und bearbeitet sein Set mit einer schweißtreibenden Körperlichkeit, die bis in die hintersten Winkel des vollgepackten Innenhofs zu spüren ist.

Von Motörhead ist Mikkey D im Jahr 2016 zu den Hannoveranern gestoßen, und die Scorpions huldigen der vielleicht wichtigsten aller Heavyrock-Bands der letzten vierzig Jahre mit einer Coverversion von „Overkill“, ein ikonografisches Foto von Motörhead-Chef Lemmy Kilmister erscheint dazu auf den Videowänden. Und so sehr die Scorpions die Nähe zu dieser Institution der Rockmusik beschwören, so deutlich zeigt sich hier der Unterschied zu den Kollegen: Auf der Bühne zelebriert eine Schar großer Jungs einen Kessel Buntes mit tüchtig Schaum oben drauf, über ihren Köpfen schaut sich ein echter Rock `n` Roller mit stoischer Miene dieses Treiben an – und denkt sich sicher seinen Teil.