Sea + Air beenden eine über Jahre laufende Europatour in Kornwestheim - ausgerechnet. Es war die vorerst letzte Gelegenheit, eine opulente Bühnenshow zu erleben - und die feine Ironie des Nürtinger Musikerehepaars, die auch zu Kornwestheim etwas zu sagen hat.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Kornwestheim - Als vor etwas mehr als drei Jahren Das K in Kornwestheim mit einem gelungenen Konzertdoppel von Abby und Die Orsons eröffnet wurde, konnte man spekulieren: erwächst da eine neue Konzertlocation zwischen Stuttgart und Ludwigsburg? Nach drei Jahren, in denen den allermeisten aufmerksamen Beobachtern der hiesigen Musikszene kein bemerkenswertes Konzert in Kornwestheim mehr auffiel, kann man sagen: nee, da erwuchs keine neue Konzertlocation.

 

Jetzt nimmt die Stadt Kornwestheim aber offenbar einen neuen Anlauf und lädt zu Songwriter-Abenden in die moderne Halle mit ihren Glaswänden, Holzvertäfelungen, Loungestühlen. An diesem Donnerstagabend sind das Musikerehepaar Sea + Air aus Nürtingen und die beiden Hamburger Schwestern Josepha und Cosima Carl alias Joco eingeladen, Letztere kennen aufmerksame Beobachter aus dem ESC-Vorentscheid. Ein Doppelkonzert ist angekündigt, Sea + Air fangen nicht an, weil sie Vorband sind, sondern weil das irgendjemand so entschieden hat.

Eleni Zafiriadou und Daniel Benjamin spielen das interessantere der beiden Konzerte. Sea + Air und Joco sind Duos, man kann sie also gut vergleichen. Die Hamburger Schwestern kommen mit ihrem recht schnell sich wiederholenden Reduziertes-Schlagwerk-trifft-Klavier-Sound schon optisch nicht gegen die opulente Bühnenausstattung des Nürtinger Ehepaars an, das mit Schlagzeug, Cembalo, Gong, Roland-Synthesizer, Gitarren und blumengeschmücktem, fünfarmigem Kerzenhalter angereist ist. Die Songs von Joco sind eingängig, die von Sea + Air berühren. Und: Sea + Air haben mehr Humor. Ob spontan ausgedacht oder nicht - wenn Daniel Benjamin das Kornwestheimer Publikum anleitet, aus seinen flauschigen Kinositzen heraus die Hände in die Luft zu werfen und einen auf Stadionrock zu machen, ist das ein herrlich komischer Moment - der noch gesteigert wird von der (nicht zum ersten Mal so aufgeführten) slapstickhaften Playback-Version des Songs "We understand you".

Der findet sich auf dem aktuellen Sea+Air-Album, er ist wirklich unglaublich schmalzig und die beiden Musiker tun ihm nicht Unrecht, wenn sie ihn und damit auch sich selbst auf die Schippe nehmen. Das ist, nebenbei bemerkt, auch das angenehmere Umfeld für die (wie alle ausgewiesen "schönen" Lieder) zumindest ansatzweise kitschigen Sea+Air-Songs "You Are" oder "Should I Care". Letzterer wurde übrigens schon beim Unplugged-Konzert im Merlin als missglückter Hit der zu Ende gehenden Toursaison anmoderiert.

Tourabschluss mit Theater-Gong

Das ist letztlich der Hauptgrund, sich dieses Konzert von Sea + Air anzusehen: es ist das letzte in großer Instrumentierung und das letzte der Tour zum vergangenes Jahr erschienen Album "Evropi". Es ist schön, sich diese Überforderung noch einmal anzusehen, der die beiden Musiker sich bewusst aussetzen: mit den Händen Cembalo zu spielen, mit den Füßen Bass und dazu zu singen zum Beispiel; oder Schlagzeug, Gitarre und Gong gleichzeitig zu bedienen - da fehlt schlichtweg eine Hand. An einigen Stellen sitzt der Schlag dann auch nicht ganz so genau. Aber man verzeiht es, denn die Musiker haben Spaß auf der Bühne und das überträgt sich auch auf das anfangs zurückhaltend-höfliche Publikum. Sea + Air locken es auch mit Kommentaren zu Kornwestheim aus der Reserve. 

Wer sich wie Sea + Air als transeuropäische Band versteht und Songs über die familiäre Migrationsgeschichte schreibt, muss sich natürlich auch zu seiner aktuellen Heimat auf dem Dorf verhalten. Dass nach einer über Jahre laufenden Europatournee ausgerechnet ein Gig in Kornwestheim gewissermaßen zum Tourfinale gerät, ist natürlich bemerkenswert - und wird von den Musikern, die ihre Liebe zur Provinz ja ganz offen bekennen, mit charmanter Ironie kommentiert. "Früher war ich hier nur zum Drogen kaufen", sagt Benjamin, und dass er mal in der Gegend gewohnt habe. Ob's in Kornwestheim viele Dealer gab oder gibt, sei dahingestellt - zum Schmunzeln bringt der Sänger seine Zuhörer damit allemal. Später, beim Konzert von Joco, wird übrigens eine gut hörbare Zahl von ihnen bekennen, nicht in Kornwestheim zu wohnen.

Kornwestheimer Konzertlocation

Das ist insofern bemerkenswert, als das Kulturprogramm im K von zwei engagierten Mitarbeitern der Stadt gestaltet wird. Zum einen will Kornwestheim sicherlich zuallererst seinen eigenen Bürgern etwas bieten - zum anderen funktionieren Konzerte wie das am Donnerstagabend nur, wenn eine gewisse Menge Menschen aus Stuttgart anreist. Das K, sollte es sich je als Konzertlocation etablieren wollen, hat dann mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen wie alle anderen Locations im Speckgürtel: das Scala im benachbarten Ludwigsburg etwa, die Manufaktur in Schorndorf, das Komma in Esslingen und so weiter. Die genannten Spielstätten halten mit einem engagierten Booking ihr Stammpublikum bei der Stange und kriegen ab und an auch ein größeres Eventpublikum begeistert. 

Das K ist ein hochmoderner, hübscher, aber eben auch wenig rock'n'roll-taugilcher Mehrzweckbau mit gemütlichen Sitzen drinnen und Stehtischen draußen, Loungemusik auf den Toiletten und Theatergong kurz vor Konzertbeginn. Licht- und Tonanlage wären mit bombastischen Rockshows womöglich überfordert. Für Sea + Air und gewiss auch das Publikum ist das trotzdem ein passender Rahmen, an den man sich wohl noch eine Weile erinnern wird.


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