Sean Paul sieht sich als Gralshüter des Dancehall - ob zurecht oder nicht: Die Schleyerhalle macht der Reaggaekünstler zum Dancefloor.

Stuttgart - Jean Paul war in Stuttgart. Sean Paul auch. Der eine wusste vom andern nichts. Der eine war als Dichter zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts hier. Romantik. Ironie. Tiefste Wortempfindlichkeit. Der andere ist im Jetzt ein Dancehall-Hiphopper, der seine Reggae-Wurzeln für den breiten Erfolg modifiziert hat. Lautsprecher. Eindeutigkeit und Worte wie Slogans. Was wäre wohl, wenn Jean Paul und Sean Paul sich begegnen würden? In schöner Zeitlosigkeit?

 

Sean Paul lässt seinen Abend ruhig angehen in einer Schleyerhalle, die räumlich völlig anders als sonst gestaltet ist. Die Ränge sind gnädig mit Vorhängen abgehängt, die Bühne ist an anderer Stelle als sonst aufgebaut. Illusion und Täuschung: es mögen wohl um die 3000 gewesen sein, die die „Location“ aussehen lassen, als sei sie gut besucht und die über ein zappliges Vorprogramm hinweg zwei Stunden bis zum Erscheinen des Meisters aus Kingston auf Jamaika warten dürfen.

Dieser Vierziger ackert nun wohl auch schon an die 15 Jahre vor einem Publikum, das wohl nicht nur an diesem Stuttgarter Abend in Homogenität des Alters und des äußerlichen Aufzugs die Atmosphäre eines Kindergeburtstags entstehen lässt. Nebelkanonen und Konfettibomben begleiten zum Auftakt die Bühnenerscheinung. Eine sechsköpfige Live-Band begleitet den Paul, obwohl nicht immer ganz klar ist, wer bei dieser Gruppe welche Klänge ins Geschehen wirft.

Erst als Sean Paul eingreift geht die Party richtig los

Das holpert und stolpert, fällt in einen Groove und versackt dann wieder im Elektronischen. Doch erst, als Paul selbst eingreift, und fragt, ob jedermann im Hause sei, geht die Party richtig los. Der Mann mit dem Irokesenschnitt streut seine Wortsalven über das Geschehen und lässt das Ganze auch noch vom einem Seitenrapper kommentierend verstärken. Zu allen „sexy Ladies“ fühlt er sich dabei hingezogen, klar, das immerhin ist im von Reggae-Rhythmen durchstochenen Sound gut zu verstehen. Es scheint musikalisch oft etwas in Gang zu kommen, dem aber Paul mit seinen Wortschwällen immer wieder seine eigene Ego-Richtung gibt. Dazwischen gibt’s Refrainartiges, das alle mitsingen dürfen. Die Titel heißen „Good Feeling“, „Body“ oder „Give it to me“ und verraten schon dadurch ihre Thematik.

Und nicht nur die „Stuttgart Ladies“ sind begeistert, als ein paar Takte lang Bob Marleys larmoyante Edelschnulze „No Woman, no cry“ aufscheint. „A Jojojo“, es ist ein Feiern und Toben, auf die musikalische Qualität kommt's kaum an. Ob's dem alten Jean Paul auch gefallen hätte? Der Sean Paul aus Jamaika mag den Grammy geerntet haben, er mag Hits haben und mit seinen Auftritten in den USA die größten Hallen füllen. Ob er aber nach zweihundert Jahren auch noch ein Thema sein wird?