Sean Penns Interview mit dem Drogenboss „El Chapo“ ruft in den USA viel Kritik hervor – nicht zuletzt weil sich der Hollywoodstar darin als todesmutiger Reporter inszeniert.

New York - Sean Penn gefällt sich sehr in der Rolle des heroischen Reporters, der keine Anstrengungen und Gefahren scheut, um an die große Story zu kommen. Er sieht sich als ein Mischung aus Hunter S. Thompson und Bob Woodward, das spricht aus jeder Zeile seines nunmehr berühmten Interviews mit dem mexikanischen Drogenboss „El Chapo“ in der jüngsten Ausgabe des „Rolling Stone“.

 

Weitaus mehr Raum als das eigentliche Interview nimmt in dem Text die Abenteuergeschichte ein, die Penn in der ersten Person erzählt. Es ist eine Art „Jäger des verlorenen Schatzes“ mit komplizierten und geheimen Kommunikationskanälen, einer langen anstrengenden Reise durch den Dschungel und der ständigen Todesgefahr, in welcher der Held schwebt.

Die professionellen Journalisten reagieren mit Ironie

Die sozialen Medien und die echten Journalisten haben das süffisant zur Kenntnis genommen. Kurz nachdem der Artikel auf die Seite des „Rolling Stone“ gestellt wurde begannen die ironischen Kommentare zu Penns blumigem Schreibstil und seiner selbstverliebten Attitüde. „Das ‚Rolling Stone’-Stück zeigt, dass Sean Penn ein sehr kerliger Kerl ist“, witzelte die „Washington Post“, „ganz so wie in seinen Filmrollen.“ Aus jeder Zeile spreche der unbedingte Wille, ein neuer Hemingway zu werden.

Nun könnte man meinen, aus der Häme der Kollegen spreche der Neid auf den Scoop, den am meisten gesuchten Mann der Welt exklusiv interviewt zu haben. Doch die Kritik an dem Artikel, die in diesen Tagen durch die US-Medien geisterte, ging weit über die Verspottung von Penns Stilblüten hinaus. Penn und der „Rolling Stone“, so war vielerorts zu lesen, hätten um der Sensation willen sämtliche Grundsätze des Journalismus missachtet.

Der Kartellchef durfte das Interview sogar autorisieren

So sei es nicht zu entschuldigen, dass die Zeitschrift dem Drogenboss das fertige Interview vor der Veröffentlichung zur Autorisierung vorlegte – eine Praxis, die im angelsächsischen Sprachraum absolut verpönt ist. „Das ist unentschuldbar“, sagte etwa Andrew Seaman, der Direktor der Gesellschaft für ethischen Journalismus. „Es kompromittiert die gesamte Geschichte.“

Diese Entscheidung der „Rolling Stone“-Redaktion verstärkte den Eindruck, dass Penn sich von Guzman Loera benutzen ließ, um der Eitelkeit des berüchtigten Drogenbosses zu schmeicheln. „Penn hat sich zum nützlichen Idioten machen lassen“, schrieb das Nachrichtenportal Vox. Dazu kommt, dass Penn Guzman nicht gerade hartnäckig befragt hat. Die Aussage des Mannes, der eine ganze Region terrorisierte, dass er Gewalt nur anwende, wenn es für sein Geschäft nötig sei, blieb unhinterfragt – genauso wie seine Behauptung, dass erst die Nachfrage das Drogenproblem erzeuge und nicht das Angebot.

Kritische Reporter schweben in Mexiko in Todesgefahr

Das alles schmeichelte Guzman ebenso wie die Tatsache, dass ein Filmstar zu ihm ins Dschungelversteck gereist kam. Einen Redakteur der „Washington Post“ veranlasste das dazu, auf Twitter daran zu erinnern, „wie Chapo mit echten Journalisten umgeht.“ Erst vor kurzem hatte die Zeitung einen Artikel darüber veröffentlicht, dass mexikanische Journalisten ständig um ihr Leben fürchten müssen. Kritik an den Kartellen könne fatale Folgen haben.

Offenkundig sucht der „Rolling Stone“ weiterhin die Sensation um jeden Preis sucht – obwohl er sich derzeit mit einer 25-Millionen-Dollar-Klage konfrontiert sieht, weil eine Reporterin bei einer Story über sexuellen Missbrauch an US-Universitäten einfach Vorfälle erfunden hatte. Das hat Sean Penn nicht. Dafür ist sein großer Scoop aber abgesehen von seiner eigenen Abenteuergeschichte auch belanglos.