Sean Rainbird geht nach Dublin. In Stuttgart hat er als Direktror die Staatsgalerie wieder auf Kurs gebracht - aber manchem zu wenig Glanz.
Stuttgart - Die Stuttgarter Staatsgalerie braucht einen neuen Direktor. Am Mittwoch gab der Kunststaatssekretär im baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Jürgen Walter bekannt, dass Sean Rainbird , der das Museum seit dem 1. November 2006 leitet, im kommenden Jahr den Chefposten der irischen Nationalgalerie in Dublin übernehmen wird. Sean Rainbird, im Gegensatz zu seinen Vorgängern kein Beamter in Lebensstellung mehr, sondern mit einer Art Intendantenvertrag für sechs Jahre verpflichtet, hat um vorzeitige Auflösung seines Vertrages gebeten. Er wird, so steht zu vermuten, Stuttgart etwa ein halbes Jahr vor Vertragsablauf (31. Oktober 2012) verlassen.
An seinem Arbeitgeber liegt es nicht. Das Land hätte den Briten gern behalten. „Wir hatten Sean Rainbird eine Vertragsverlängerung um weitere fünf Jahre angeboten“, erklärte der Kunststaatssekretär am Mittwoch in einer Pressemitteilung. So blieb Jürgen Walter nur, dem scheidenden Museumschef „schon jetzt für seine außerordentlich engagierte und kompetente Arbeit an der Spitze der Staatsgalerie“ zu danken. Über den konkreten Zeitpunkt von Rainbirds Weggang sei man aber noch im Gespräch.
Eine „Herzensangelegenheit“
Sean Rainbird selbst möchte, wie er am Mittwoch gegenüber der Stuttgarter Zeitung sagte, die Ausstellung „Turner, Monet, Twombly“ – sicher ein Höhepunkt des kommenden Ausstellungsjahres in Stuttgart – noch persönlich eröffnen. Das sei ihm eine „Herzensangelegenheit“. Start der Schau ist am 10. Februar. Die Suche nach Rainbirds Nachfolger steht also unter erheblichem Zeitdruck. Übertragen wird sie einer Findungskommission unter Leitung des Staatssekretärs Jürgen Walter.
Was hat Dublin, was Stuttgart nicht hat? Das wird sich am Neckar nun mancher Kunstfreund fragen. Eine Antwort könnte lauten: Dublin hat Caravaggio, Vermeer und Velazquez – eine hochkarätige Sammlung, mit anderen Worten, die historischer orientiert ist und bei den alten Meistern mehr glanzvolle Namen aufzuweisen hat als die Staatsgalerie mit ihrem Moderne-Schwerpunkt. Das weitläufige Haus wird gerade saniert und modernisiert, und Sean Rainbird bezeichnet es als „große Ehre“ als Leiter einer Nationalgalerie berufen worden zu sein. Dennoch sei es „keine einfache Entscheidung“ gewesen, Stuttgart nach knapp sechs Jahren den Rücken zu kehren. Vor allem wegen seiner engagierten Kollegen hier gehe er mit „einem weinenden Auge“. Er habe aber das Gefühl, es sei der richtige Zeitpunkt für ihn, „weiterzuziehen“.
Spezialgebiet: deutsche Kunst
Auf den Chefsessel der Staatsgalerie kam Rainbird aus London, wo er fast zwanzig Jahre lang Kurator an der Tate Gallery gewesen war, Spezialgebiet: deutsche Kunst. Dem englischen Publikum hat er die Augen für Beuys, Beckmann und Kandinsky geöffnet, dem deutschen brachte und bringt er in seiner Stuttgarter Zeit britische Künstler wie John Constable, Edward Burne-Jones , William Turner und daneben – in der aktuellen Sonderausstellung des Museums – den schottischen Architekten der Neuen Staatsgalerie, James Stirling, näher. Unter seiner Ägide hat eine gewisse Anglisierung des Programms stattgefunden, das zuvor eher französisch und amerikanisch akzentuiert war. Zugleich ist ihm die Präsentation der Sammlungsbestände immer ein Hauptanliegen gewesen.
Der Brite war nicht untätig
In seine Zeit fallen die grundlegende Restaurierung und anschließende Ausstellung der „Grauen Passion“, eines Schlüsselwerks der Staatsgalerie von Hans Holbein d. Ä., die Jubiläumsschau zum 200. Geburtstag der Graphischen Sammlung, aus deren schier unermesslichen Beständen Rainbird wie kein Direktor vor ihm geschöpft hat, und die mit dem Württembergischen Kunstverein gemeinsam auf die Beine gestellte Ausstellung mit Werken des Videokünstlers Stan Douglas. In seine Zeit fallen aber auch die Neuordnung der Sammlung ebenso wie die Sanierung und der Umbau der Alten Staatsgalerie, die vor zwei Jahren aus ihrer jahrzehntelangen Zweckentfremdung befreit und für den Ausstellungsbetrieb reaktiviert wurde.
Man kann daher kaum behaupten, dass der Brite in seinen sechs Stuttgarter Jahren untätig gewesen sei. Und doch ist bis zuletzt in der Stadt immer auch eine gewisse Reserve gegenüber dem Briten zu spüren gewesen. Rainbird selbst berichtet zwar, dass er 2008, nach etwa anderthalb Jahren, nacheinander von mehreren Leuten in der Stadt ermuntert worden sei, doch möglichst lange zu bleiben – „das hat mir gezeigt, dass die Zeit des Abwartens, wie ich mich entwickeln würde, vorbei war“ –, aber die kritischen Stimmen, die nach den großen Publikumserfolgen der Achtziger und Neunziger, nach Gauguin, Monet, Manet, Kirchner und Picasso oder zumindest vergleichbaren „Knüllern“ fragten, sind nie ganz verstummt. Ihnen hat der zurückhaltende Engländer zu wenig Glanz entfaltet.
Mängel und Altlasten geerbt
Ignoriert wird dabei jedoch, dass Rainbird Mängel und Altlasten geerbt – und in Ordnung gebracht hat -, die seine Vorgänger zu verantworten gehabt hätten. Und dass mit der Überführung in einen Landesbetrieb, die ebenfalls unter Rainbird erfolgte, das finanzielle Risiko beim Museum liegt statt wie einstens beim Land.
Richtig manövrierfähig würde dieses größte und wichtigste Museum des Landes aber ohnehin nur, wenn es mehr Mittel zur Verfügung hätte. In der Jahrespressekonferenz Anfang 2011 blickte der Chef der Staatsgalerie denn auch sorgenvoll in die Zukunft, da nun auch die Rücklagen des Hauses schwänden. Mit dem jährlichen Zuschuss von 6,5 Millionen (nach Angaben des Kunstministeriums 7 Millionen) würden knapp die Personalkosten gedeckt. „Wünschenswert wäre ein Sockelbetrag für Ausstellungen“, sagte Sean Rainbird gestern der Stuttgarter Zeitung. „Wenn die Staatsgalerie der Museumsleuchtturm des Landes sein soll, muss sie entsprechend finanziert werden, sonst kann sie ihre Ziele nicht erreichen.“ Abseits von Zahlenspielen bleibt er aber dabei, dass die Staatsgalerie ein Museum ist, und keine Kunsthalle. „Eine Sammlung von dieser Bedeutung kann es sich gar nicht leisten, nicht mit ihren Beständen zu arbeiten.“