Mit seinem Sieg beim Ironman erfüllt sich Sebastian Kienle aus dem schwäbischen Mühlacker einen Lebenstraum. 8 Stunden und 14 Minuten war er unterwegs. Danach feiert er. Und erklärt, warum er vor dem Zielstrich stehen blieb.

Hawaii - Es ist wirklich Geschmackssache, ob diese üppige Stachelkrone noch zeitgemäß ausschaut. Aber niemals würde sich ein Triathlet dagegen wehren, sie im Zielkanal des Ironman Hawaii über den Kopf gestülpt zu bekommen. Zum einen sind in diesem Moment alle Widerstandkräfte ohnehin erlahmt, zum anderen gehört das beim Triumph in Kailua-Kona dazu wie das Schwimmen (3,8 Kilometer) im tückischen Pazifik, das Radfahren (180 Kilometer) in glühender Lavawüste oder das Laufen (42 Kilometer) auf flirrendem Asphalt.

 

Also hat Sebastian Kienle seiner Strubbelfrisur nach dem Kraftakt noch diese Kopfbedeckung zugemutet, nachdem er sich als vierter Deutscher überhaupt zum Weltmeister hat krönen lassen. „Ich bin so gottfroh, dass es geklappt hat“, stammelte der 30-Jährige überglücklich.

Und so aufgewühlt der im baden-württembergischen Mühlacker beheimatete Sieger nach seinen 8:14,18 Stunden und mehr als fünf Minuten Vorsprung vor dem US-Amerikaner Ben Hoffman (8:19,23) war, räumte er ein, dass er vor drei Wochen in seinem Apartment am Alii Drive Tränen vergossen habe. „Da habe ich wieder so ein Scheißtraining gehabt, dass ich dachte, ich schaffe das nie.“

Grenzgänger am Gipfel

Das emotionale Wellental gehört zu dieser Spezies wie eine asketische Lebensweise in einer trainingsintensiven Extremsportart. Eisenmänner sind Grenzgänger am Gipfel. Seriös sind für die Langstreckenspezialisten ganzjährig allenfalls zwei Wettbewerbe möglich. Der intelligente, fleißige und extrem wortwitzige Kienle hat es sogar geschafft, in diesem Jahr den als Europameisterschaft ausgewiesenen Ironman Frankfurt und die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Zuvor hatte Kienle oft genug vom perfekten Tag gesprochen, den es auf Big Island bräuchte, um sich im Beisein seiner Lebensgefährtin Christine Schleifer einen Traum zu erfüllen – nun war es nachträglich das perfekte Resultat.

Dass er vor dem Zielstrich stehen blieb, erklärte er so: „Ich habe die Scheuklappen aufgehabt bis ganz zum Schluss.“ Bis 100 Meter vor dem Ende habe er Vorsicht walten lassen. „Ich hatte noch Angst, einen Krampf zu bekommen oder hinzufallen.“ Kienle – Typ „coole Socke“ – verkörpert einen Ausdauersportler, dessen Leistungsentwicklung nachvollziehbar ist. Er hat in dieser Saison nicht nur mehr als ein Dutzend unangemeldeter Kontrollen über den Nada-Testpool hinter sich, sondern in der Vergangenheit stets meinungsstark seine Haltung im Antidopingkampf vertreten. War er doch vor zwei Jahren der Einzige, der sich mit der WTC anlegte, als diese glaubte, mit Lance Armstrong ein Zugpferd für ihre Sportart gewinnen zu können.

Nicht mehr so idealistisch wie früher

Auch wenn vom einst idealistischen Spirit des 1978 entstandenen Events eingedenk der geschäftsmäßigen Vermarktung des geldgierigen Triathlon-Weltverbands (WTC) nicht mehr viel geblieben ist, hält das Ambiente den Mythos aufrecht. Und daran hat Kienle, der in Ansbach internationales Management studiert, gerne erinnert: „Mit diesem Rennen kann man sich unsterblich machen.“ So wie vor ihm Thomas Hellriegel (1997), Faris Al-Sultan (2005) und Normann Stadler (2004 und 2006). „Es gibt nur ein begrenztes Zeitfenster, und ich wusste, dass ich es draufhabe“, sagte der Vorjahresdritte, „aber es gibt welche, die werden mehrmals Dritter und Zweiter, aber schaffen es nie, den Sack zuzumachen.“

Eine Anspielung auf den unglücklichen Rostocker Andreas Raelert, der mit Magenproblemen ins Ziel wankte und mittlerweile mit 38 Jahren von der nachrückenden Generation überholt worden ist. Dass die deutschen Perspektiven auch für die Zukunft prächtig sind, lag nicht nur am Berliner Nils Frommhold, der als 29-Jähriger starker Sechster wurde, sondern vor allem an Umsteiger Jan Frodeno, der sich als prominente wie professionelle Figur von der Kurzdistanz kommend in der Szene auf Anhieb etabliert hat. Beinahe tragisch, dass der Peking-Olympiasieger bei seinem zweiten Ironman ein Drama durchmachen musste, um wie in Frankfurt nun erneut Dritter (8:20,32) zu werden. Diesmal war es zunächst eine Reifenpanne, die den Saarbrücker wertvolle Minuten kostete, dann eine Zeitstrafe wegen Windschattenfahrens. „Das hat mich mental angehauen“, gab der 33-Jährige zu, der noch viel Potenzial hat. Gut möglich also, dass die komische Krone bald zwischen deutschen Charakterdarstellern hin- und herwandert.