Noch ist unklar, warum ein 26-Jähriger sechs Menschen aus seiner Familie getötet haben soll. Der mutmaßliche Mörder sitzt seit Samstag in Untersuchungshaft. Er schweigt bisher.

Rot am See - Nach den tödlichen Schüssen auf sechs Menschen in Rot am See (Kreis Schwäbisch Hall), kämpft ein 68-Jähriger noch immer um sein Leben. Sein Zustand habe sich nicht verändert, sagte ein Sprecher der Polizei am Sonntag. Der Mann war am Freitag in einem Gasthaus angeschossen worden. Überlebt hat auch eine 64-Jährige, vermutlich die Ehefrau des lebensgefährlich Verletzten. Auch sie muss wegen ihrer Schussverletzungen noch immer in einem Krankenhaus behandelt werden.

 

Der mutmaßliche Schütze, der 26 Jahre alte Sohn des Gastwirts, in dessen Lokal sich die Tragödie abspielte und der bei dem Angriff ums Leben kam, sitzt seit Samstag in Untersuchungshaft. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft sechsfachen Mord und versuchten Mord in zwei Fällen vor. Das Motiv für den Angriff innerhalb der Familie sorgt in dem kleinen hohenlohischen Ort indes für Rätselraten.

Immer mal wieder bekamen sich Vater und Sohn in die Haare

Nichts sei ungewöhnlich gewesen bei den Nachbarn, sagt Rebin Ahmad Aziz, höchstens vielleicht, dass sich Vater und Sohn immer mal wieder lautstark in die Haare bekommen hätten. „Zwei Sturköpfe eben“, sagt der 39-Jährige und zieht an seiner Zigarette. Er kann es kaum glauben, dass sich nur eine Tür weiter eine Familientragödie ereignet hat, die seinen Heimatort im Nordosten Baden-Württembergs bundesweit in die Schlagzeilen gebracht hat. „Da hat ein Sohn seine ganze Familie ausgelöscht“, sagt Aziz und schaut kopfschüttelnd auf das gelbe Nachbarhaus, in dem Kripobeamte am Samstagnachmittag mit Koffern ein- und ausgehen.

Sechs Menschen sind am Freitag in dem Gasthaus Deutscher Kaiser im 5300-Einwohner-Ort Rot am See erschossen worden. Der 26-Jährige, der in der Wohnung über dem Lokal wohnte, soll seine Eltern, seine 62 Jahre alte Tante, seinen 69-jährigen Onkel sowie seine jeweils 36 Jahre alten Stiefgeschwister getötet haben, so teilen es die Polizei und die Staatsanwaltschaft Ellwangen mit. Für die Tat benutzte er laut den Ermittlern eine halbautomatische Waffe, eine Pistole vom Kaliber neun Millimeter, die er als Sportschütze legal besaß.

Der Wirt war bekannt in dem Flecken

Die Autos der Mutter und ihrer Kinder mit dem Kennzeichen OG – das steht für den Ortenaukreis – hat die Polizei mit rot-weißem Plastikband abgesperrt. Die Rollläden des Gasthauses sind heruntergelassen. Nachbar Rebin Ahmad Aziz kannte den erschossenen 65-jährigen Wirt seit vielen Jahren, wie wohl die meisten hier in dem Flecken. Die beiden duzten sich. „Er hat immer gearbeitet. Erst hat er die Schweine im Stall versorgt, dann bis spät in den Abend die Kneipe gemacht“, sagt Aziz. Hinter ihm dampft der Misthaufen auf dem großen Grundstück des Wirts.

Der Sohn sei vor ein paar Jahren wieder eingezogen unter das Dach des mehrstöckigen Hauses. Zuvor hatte er wohl bei seiner Mutter gewohnt. Der 26-Jährige sei einer gewesen, der kaum gesprochen habe, sagt Aziz. Mit einem alten Fahrrad sei er oft durch den Ort geradelt, bekleidet mit Jogginghose – und manchmal ohne Ziel. Angeblich habe er ein Fernstudium begonnen, oft habe er Stunden vor dem Computer zugebracht. In der Familie habe man ihn „Loser“ genannt – einer, der wenig auf die Reihe bekommt. Die Mutter lebte getrennt vom Vater. Mit ihr, so habe man sich im Flecken erzählt, habe sich der Sohn nicht so gut verstanden, berichtet Aziz. Die 56-Jährige sei am Donnerstag von ihrem Wohnort, nach Medieninformationen handelt es sich um Lahr, nach Rot angereist. Mehrere Familienmitglieder wollten gemeinsam zu einer Beerdigung im Osten Deutschlands fahren: Die Mutter der 56-Jährigen war gestorben.

„Der 26-Jährige sah ganz ruhig aus“

Aziz hat beobachtet, wie die Polizei den mutmaßlichen Täter vor dem Haus festgenommen hat: „Der war auf den Knien und hielt die Hände hoch.“ Die Polizei habe sich versichert, dass er unbewaffnet sei, dann hätten sie ihm auf dem Gehweg Handschellen angelegt. „Der war gar nicht aufgeregt“, beschreibt Aziz den 26-Jährigen, „er sah ganz ruhig aus.“ Auch Bürgermeister Siegfried Gröner staunt, wie unbeteiligt der mutmaßliche Mehrfachmörder wirkte. Er habe ihn nach der Schießerei gesehen: „Er war völlig teilnahmslos und introvertiert.“ Keiner könne sich bisher ein Motiv vorstellen. „Da hat sich überhaupt nichts angedeutet“, betont Rots parteiloser Rathauschef. Die Menschen in der Kommune seien geschockt, sagt Gröner weiter. Am Montag wolle er sich mit Gemeinderäten und Vertretern der Kirchen beraten, wie es weitergehen soll.

„Vermutlich wird es einen Trauergottesdienst geben“, sagt Gröner. Er hat am Samstagnachmittag Nachbarn besucht, die sich um Überlebende der Schießerei gekümmert haben. Die zwei Kinder der ermordeten Stiefschwester, zwölf und 14 Jahre alt, habe der Schütze entkommen lassen, erzählt Gröner. „Er hätte die Möglichkeit gehabt, auch sie zu töten.“

Die Menschen in Rot am See sind geschockt

Die Anteilnahme in Rot am See ist groß, ständig kommen Menschen vorbei, die Blumen vor der Eingangstür der Gaststätte und auf dem Gehweg ablegen. Viele haben Gedenkkerzen entzündet und vor dem Haus abgestellt. „Wir haben das alles vom Schulbus aus gesehen, der durfte nicht weiterfahren“, sagt ein 15-Jähriger, der mit drei Freunden vorbei gekommen ist, „das bewegt uns sehr.“ Das Haus des Onkels und der Tante des Schützen liegt gleich um die Ecke, neben einem vollen Schälchen mit Katzenfutter liegt ein Rosenstrauß.

Keinen Tag später muss die Polizei wieder ran

Für den Bürgermeister sind es extreme Tage. Kaum 24 Stunden nach den tödlichen Schüssen wird er wieder alarmiert, wieder muss die Polizei ran: Es sollen schon wieder Schüsse gefallen sein. Ein Spezialeinsatzkommando wird angefordert. Die Polizisten nehmen schließlich einen 38-Jährigen fest.

Der Mann soll sich zuvor in einer Wohnung verschanzt haben, dort finden die Beamten Schreckschusswaffen. Auf richterliche Anordnung wird der 38-Jährige in die Psychiatrie gebracht. „Die beiden Fällen haben gar nichts miteinander zu tun“, versichert der Bürgermeister, „auch wenn das manche glauben.“ Bis wieder Ruhe einkehrt in Rot am See, wird es noch eine ganze Weile dauern.