Stuttgart - Sale, Sale, Sale: Prangten früher diese Wörter an den Schaufenstern der großen Modeketten, war es um Sabrina Tomasi geschehen. Den verlockenden Angeboten widerstehen? Fast unmöglich: „Ich habe früher in Massen gekauft“, erzählt die 22-Jährige. Sogenannte Fast Fashion – Mode, bei der neue Kollektionen nur kurz, in geringer Qualität und zu einem günstigen Preis angeboten werden – landete immer wieder in ihren Einkaufstüten.
Umweltschutz als Motivation für den Secondhandkauf
Heute ist das anders: Oft kauft die Stuttgarter Studentin Kleidung aus zweiter Hand – online auf Secondhand-Plattformen. Angebote gibt es inzwischen genug: Zalando, About You, H&M – Unternehmen, die sonst für Fast Fashion bekannt waren, haben das Potenzial des Markts für Mode aus zweiter Hand erkannt. Aus gutem Grund: Der Handel mit neuer Kleidung stagniert in vielen Ländern, auch in Deutschland. Und der weltweite Umsatz mit gebrauchter Mode soll von 23 Milliarden Euro im Jahr 2019 auf etwa 52 Milliarden Euro im Jahr 2024 steigen – so das Ergebnis einer Studie des Marktforschungsinstituts Global Data, im Auftrag eines Online-Gebrauchtwarenhändlers.
Das würde zwar nur ein Prozent des gesamten Modemarkts ausmachen, doch die Zukunft scheint der Secondhandmode zu gehören. „Es ist nachhaltiger, als neue Kleidung produzieren zu lassen“, sagt Sabrina Tomasi und spricht damit jenen Punkt an, weswegen in jüngster Zeit viele Konsumenten Secondhandkleidung für sich entdeckt haben. In einer Kundenumfrage des Online-Gebrauchtwarenhändlers Momox gaben 86 Prozent der Befragten als Grund für den Kauf von Kleidung aus zweiter Hand an: Es ist gut für die Umwelt.
Modeexperten sind skeptisch, ob der Trend nachhaltig ist
„Die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit ist in der Vergangenheit immer weiter gestiegen“, sagt Heiner Kroke, Geschäftsführer der Momox GmbH, nach eigenen Aussagen Europas führendes Unternehmen für Re-Commerce, dem Online-Handel mit Gebrauchtwaren. Bewegungen wie Fridays for Future hätten das Thema Klimaschutz noch stärker in den Mittelpunkt gerückt. Aber auch die Coronapandemie habe zu einem Umdenken beim Kleiderkauf geführt: „Wahrscheinlich, weil man sich bei so einer Bedrohungssituation damit auseinandersetzt, was langfristig wichtig ist. Das freut uns natürlich sehr“, sagt Kroke.
Doch ist der Secondhandhandel tatsächlich so umweltfreundlich und nachhaltig wie ihn viele Modeunternehmen anpreisen? Experten haben da ihre Zweifel: „Secondhand bedeutet nicht automatisch nachhaltig“, sagt Elena Patten, Professorin für Fashionmanagement an der Macromedia-Hochschule in Stuttgart. Denn: „Der exzessive Konsum von Kleidung aus zweiter Hand hat schlimme Folgen für die Umwelt. Vor allem, wenn massenhaft Ware im Internet hin- und hergeschickt wird.“
Zalando hat den Handel mit Secondhandmode für sich entdeckt
Bei Momox stößt diese Kritik auf Unverständnis: „Ich kann es nicht nachvollziehen, weil sehr viel Kleidung unbenutzt in den Kleiderschränken liegt. Die wird typischerweise danach zu Putzlappen verarbeitet, nicht noch mal genutzt, sondern mit Neuware ersetzt“, sagt Geschäftsführer Kroke und fügt hinzu: „Wenn jetzt ein Teil dieser Kleidung in einen zweiten Lebenszyklus kommt, dann ist das auf jeden Fall umweltfreundlicher, als neu zu produzieren.“
Auch das Online-Kaufhaus Zalando, das seinen Kunden seit September vergangenen Jahres eine Secondhand-Plattform zum Kaufen und Verkaufen von gebrauchter Kleidung bietet, widerspricht dem Argument der Expertin: „Im Vergleich zu Neuware spart der Kauf eines Pre-owned-Artikels massiv Ressourcen ein, die üblicherweise bei der Herstellung von Mode entstehen“, sagt Jade Buddenberg, Nachhaltigkeitsexpertin bei Zalando. Pre-owned-Fashion nennt das Unternehmen seine Secondhandkleidung, um sich von der Konkurrenz abzuheben.
Werbekosten sparen durch Secondhand-Angebot?
Per App können die Kunden ihre ausgemusterten Kleidungsstücke fotografieren, die Marke eintragen – und schon macht ihnen Zalando ein Angebot, zu welchem Preis sie die Ware abkaufen würden. Nachdem der Kunde seine Kleidung eingeschickt und Zalando die Kleidungsstücke geprüft hat, bekommt der Verkäufer einen Gutschein, den er entweder im Online-Shop einlösen oder an eine gemeinnützige Organisation spenden kann.
„Wir wollen, dass diese Art des Wiedereintauschens mehr Mainstream wird“, sagt Buddenberg. Für Jochen Strähle, einer der weltweit einflussreichsten Modeexperten von der Hochschule Reutlingen, ist das ein smarter Schachzug, um dem Unternehmen einen vermeintlich grünen Anstrich zu verpassen: „Die machen das nicht, um die Umwelt zu schonen, sondern um Geld zu verdienen.“ Der Kunde befindet sich durch den Secondhandkauf oder -verkauf ohnehin schon auf der Website – und könnte im selben Zug neue Ware kaufen. Das spart Werbekosten, sagt Strähle.
Kann Kleidung aus zweiter Hand an das Niveau von Fast Fashion rankommen?
Vor allem junge Menschen sind eine wichtige Zielgruppe der Modeunternehmen. Jene, für die die Kleidung aus zweiter Hand zur Alternative für Fast Fashion geworden ist – wie es Elena Patten beobachtet: „Secondhand-Shopping ist für einige zum Freifahrtschein geworden, dem alten Kaufverhalten des Massenkonsums treu zu bleiben – ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben“, sagt sie.
Für die Zukunft erwartet die Professorin deshalb ein massives Wachstum des Secondhandsegments: „Manche sprechen sogar davon, dass es innerhalb der nächsten zehn Jahre an das Niveau von Fast Fashion herankommen könnte.“ Dieser Annahme will Modeexperte Strähle nicht zustimmen, er glaubt, dass sich durch den Trend viel mehr das Kaufverhalten der Kunden ändere: „Man überlegt sich dann im Vorfeld, welche Bekleidung später welchen Wert hat, wenn man sie wieder verkauft.“ Anders als bei klassischer Fast Fashion, die am Ende meist im Mülleimer landet.
So könne auch der Handel mit Secondhandkleidung die Modeindustrie nachhaltiger machen, glaubt Elena Patten: „Wenn sich der Konsum dahin entwickelt, dass man weniger, aber dafür hochwertigere Mode kauft, die langlebiger ist und bei Bedarf repariert wird.“
Sabrina Tomasi hat ihr Kaufverhalten schon verändert: Sie denkt bei jedem Kauf darüber nach, welchen Mehrwert ihr das neue Kleidungsstück wirklich bietet. Und was ist mit den verlockenden Sale-Angeboten? „Da habe ich mich deutlich zurückgenommen“, sagt die Studentin.