Marion Gentges besucht die Leonberger Einrichtung und macht sich ein Bild vom Jugendstrafvollzug in freien Formen.
Leonberg - Vorbeigefahren am Leonberger Seehaus sei sie schon des Öfteren. Jetzt packte Marion Gentges, die neue Justizministerin von Baden-Württemberg, die Gelegenheit am Schopf, um einen Einblick in den Jugendstrafvollzug in freien Formen zu bekommen. Die Einladung hatte sie von Tobias Merckle, dem geschäftsführenden Vorstand des Seehauses bekommen. „Mir war es wichtig, diesen Besuch möglichst rasch abzustatten, weil ich meine Wertschätzung gegenüber Ihrer Arbeit zum Ausdruck bringen möchte“, sagte die 49-jährige CDU-Politikerin, die aus dem Kinzigtal stammt.
Mit großem Interesse lauschte sie den einführenden Worten von Tobias Merckle, von Ingrid Steck, der Leiterin des Bereiches Opferhilfe und ambulante Maßnahmen, sowie den Ausführungen von Irmela Abrell, die den Strafvollzug in freien Formen leitet. Ein Blick auf den strukturierten Tagesablauf der 14- bis 23-jährigen Gefangenen ließ die Justizministerin doch staunen. Der Tag beginnt im Seehaus zweimal die Woche um 5.45 Uhr mit Frühsport. Nach einer kurzen Zeit der Stille ist Frühstück angesagt. Dann geht es weiter mit Putz- und Aufräumarbeiten, mit der beruflichen Ausbildung oder mit der Schule.
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Die Jugendlichen lernen zudem, wie sie sinnvoll mit ihrer Freizeit umgehen können. Ganz oben steht auch die Vermittlung von christlichen Normen und Werten sowie politische Bildung. Sie lernen Toleranz, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit Fleiß, Höflichkeit, Selbstbeherrschung und Pünktlichkeit. „In diesem Alter haben die Jugendlichen noch eine große Chance, ihr Verhalten verändern zu können. Deshalb ist es auch so wichtig, dass sie an die Hand genommen werden“, sagte Marion Gentges.
Der Ministerin schwebte in diesem Moment bereits eine Kooperation mit dem Seehaus vor. Das Justizministerium ist immer auf der Suche nach Partnern im Bereich der Straffälligenhilfe. Verurteilten, die eine verhängte Geldstrafe auch in Raten nicht bezahlen können, droht in der Regel eine Ersatzfreiheitsstrafe. Um diese abzuwenden, wurde in den 80er Jahren das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ ins Leben gerufen. Durch Leistung von gemeinnütziger Arbeit haben die Verurteilten die Möglichkeit, unnötige Gefängniserfahrungen zu vermeiden. Wer schon drin sitzt, kann – und diese Regelung ist neu – durch gemeinnützige Arbeit die Tage hinter Gittern verkürzen.
Merckle wünscht sich Trauma- und Opferberatungsstellen
„Hier könnte ich mir das Seehaus als Partner gut vorstellen“, sagte Marion Gentges. Nach zwei Stunden musste die Ministerin weiter zum nächsten Termin. Und sie bekam eine Wunschliste mit auf den Weg. Tobias Merckle sieht beispielsweise Bedarf, die opferorientierte Vollzugsgestaltung auszubauen sowie die Formen gemeinnütziger Arbeit auszuweiten und sozialpädagogisch zu begleiten. Und schließlich sollte jedem Opfer einer Straftat die Möglichkeit einer schnellen und unkomplizierten Hilfe zur Verfügung stehen. Hier wünscht Merckle sich Trauma- und Opferberatungsstellen in großen Kreisstädten.