Horst Seehofer hat Angela Merkel und der Bundesregierung, zu der seine Partei gehört, in den letzten Monaten eine ganze Menge zugemutet. Jetzt spricht er von der „Herrschaft des Unrechts“, die sich breit mache. Das geht vielen zu weit.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Mit dem römischen Senator Marcus Porcius Cato dem Älteren (234–143 v. Chr.) hat Horst Seehofer unter anderem gemeinsam, dass man ihn wie den römischen Konservativen unbedingt zu den Hartnäckigen in der Politik zählen muss. Rhetorisch konnten sich die Römer zur Zeit des Dritten Punischen Krieges darauf verlassen, dass Cato jedwede Rede (ob sie der Steuergesetzgebung oder was auch immer galt) mit dem Satz beendete: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ (im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss).

 

Catos Karthago ist Seehofers Obergrenze in der Flüchtlingsdebatte. Darüber hinaus beherzigt er eine Grundregel antiker Rhetorik, die darauf hinausläuft, dass der Zuhörer neben gewissen Konstanten Abwechslung am liebsten hat. Und Seehofer kann nicht nur dynamisch variieren, wobei uns die Passauer Brüllorgie in diesem Jahr dankenswerterweise erspart bleibt. Im Alltäglichen ist Seehofer eher ein Knurrer, Rauner, vermag aber auch das Nicht-mehr-Vorhandensein der Stimme ziemlich effektvoll einzusetzen. Im Januar in Kreuth, um Auskunft zu Positionen seiner Partei in der Flüchtlingspolitik gebeten, zog er es mitunter vor, aufs Stichwort hin (Bundeskanzlerin Merkel, CSU immerhin an der Regierung in Berlin beteiligt, christliches Selbstverständnis, etc.) einfach zu schweigen – und in die Landschaft zu schauen.

Manchmal schweigt er einfach

Im Fernsehen ist so etwas, wie Fernsehleute sagen würden: tödlich. Seehofer aber überlebte die betreffenden „Tagesthemen“, den staunend-sprachlosen Moderator und Kreuth überhaupt munter wie selten. Selbst als er vor den Landtagsabgeordneten bei deren Tagung kurz kollabierte (was bei Seehofers Krankheitsakte nie eine Kleinigkeit ist), redete er weiter, bis der Arzt kam, und immer noch, als der Mediziner schon wieder weg war.

Dann wurde es eine Drohpose

Zuletzt um Kopf und Kragen geredet hat sich Seehofer in Moskau. Sein Auftritt als Außenpolitiker gehörte dabei ins Fach „Gut gemeint, völlig falsch angepackt“ – wie seinerzeit der inhaltlich anders geartete Werbungsversuch beim CSU-Parteitag im letzten November.

Seehofer hatte damals, vollkommen zu Recht, Angela Merkel nach deren schwacher, schwesterlich unaufmerksamer Rede signalisieren wollen: Wir (Bayern) können langsam nicht mehr! Heraus kam eine Drohpose: Wir könnten auch anders! Was danach bewiesen wurde – und womöglich in der Sache auf eine Verfassungsklage des Freistaats Bayern gegen die Bundesregierung hinausläuft, deren Mitglied die CSU ist. Noch.

Wie sehr Seehofer Herr seiner Urinstinkte (weniger seiner Sinne) ist, beweist die neueste, gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ geäußerte Unterstellung, in Deutschland sei gerade wieder die DDR, wenn nicht Schlimmeres ausgebrochen: „Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“

Mehr als Seehofers Rollenprosa

Seehofer und seine Entourage haben den Text gegengelesen. Sie wissen, was das heißt: Herrschaft des Unrechts = Unrechtsstaat, eine Wortwahl, die – alle weiter zurückreichenden Konnotationen außen vor – der frühere Bundespräsident Heinrich Lübke im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 verwendet hat.

Man kann den Unrechtsstaat deuten, wie man juristisch-philosophisch will: am Ende heißt der Begriff, dass die Gleichheit der Menschen nicht mehr gesichert wird. Das ist jenseits aller von Seehofer gerne inszenierten Rollenprosa – und mehr als ein „übler Missgriff“ (SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann), den die substanziell auch schwer schwimmende SPD begrifflich reflexhaft bemüht. Es ist würdelos.

Di Fabio warnt vor Kluft in der Gesellschaft

Man kann fundamentale Kritik aber auch ganz anders vorbringen, und der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio (selbst Sohn italienischer Einwanderer), auf dessen formale Einwände gegen Teile der Flüchtlingspolitik sich die CSU demnächst berufen will, sagt nun erneut (in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“), es gebe „keine unbegrenzte Aufnahmepflicht für Staaten“, worauf sich die CSU in der Obergrenzendiskussion gestützt hatte.

Di Fabio, der im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, warnt auch vor einer „Erosion alltagskultureller Voraussetzungen“, ist aber lediglich für „geordnete Grenzkontrollen“, weil er ohnehin eine „Fragmentierung der Gesellschaft“, also größere Klüfte zwischen gesellschaftlichen Gruppen, befürchtet. Trotz allem setzt der Verfassungsrechtler immer noch darauf, dass die offene Gesellschaft nicht das Freund-Feind-Schema als Denkmuster etablieren wird. Ein Schema, an dem wiederum die CSU derzeit teils besinnungslos strickt. Gerne beruft sich der Jurist di Fabio im Übrigen auf das Werk des Renaissancephilosophen Giovanni Pico della Mirandola, dessen bekanntester Aufsatz die Würde des Menschen adelt. Mirandolas Motto hieß: „Denn wir können es, wenn wir wollen.“