Längere Öffnungszeiten für das Café 72 kommen bei der Nachbarschaft nicht gut an.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Seelberg - Zweimal die Woche sollen ab Mai die Öffnungszeiten im Café 72 an der Waiblingerstraße 30 testweise verlängert werden. Dies entschied ein Runder Tisch, an dem Stadt- und Bezirksbeiräte, Straßensozialarbeiter, die Polizei und das Ordnungsamt teilgenommen hatten. Ziel ist es, die Situation vor dem Cannstatter Bahnhof zu entschärfen. Der Vorplatz hat sich zu einem Treffpunkt für Wohnungslose entwickelt, die dort Alkohol konsumieren. Streitereien untereinander und Pöbeleien gegenüber Passanten sind an der Tagesordnung.

 

Doch genau wie die Ladenbesitzer rund um den Bahnhof wollen auch die Nachbarn des Café 72 nicht noch mehr Ärger vor ihrer Haustür. Ein Nachbarschaftstreffen mit Mitarbeitern des Cafés, Anwohnern und Straßensozialarbeiter der Ambulanten Hilfe trug nicht viel zur Klärung der Situation bei. Der Auslöser für das gemeinsame Treffen war ein Brief, der in der Nachbarschaft kursierte. Bewohner der Kreuznacher Straße schreiben darin, dass sie den Ansatz der Stadt, „die unerwünschten Personen in das Café 72 und damit in die Wohngebiete zu verbannen“ für einen völlig verfehlten Lösungsansatz halten.

Für Konfliktstoff sorgten aber nicht nur die geplanten verlängerten Öffnungszeiten, montags bis 18 Uhr und donnerstags bis 20 Uhr, sondern bereits die aktuelle Situation vor dem Café für Wohnungslose. Daniel Wegner, der an der Kreuznacher Straße lebt, kritisierte vor allem, dass Tatsachen geschaffen wurden, ohne die Nachbarn zu informieren. Deshalb habe sich eine Gruppe formiert, welche den Brief in Umlauf gebracht habe. „Unsere Aktion richtet sich definitiv nicht gegen das Café 72“, sagte er. Er stehe aber der Verlagerung der prekären Situation vor dem Bahnhof ins Wohngebiet mehr als skeptisch gegenüber. „Das passt für mich nicht“, betonte er.

Anwohner befürchten noch mehr Eskapaden

Positiv zur Kenntnis genommen haben die Anwohner das Engagement der Café-Mitarbeiter und der Ambulanten Hilfe, die verlängerten Öffnungszeiten sinnvoll mit Angeboten zu füllen. Doch das Grundproblem bleibt bestehen: Für die meisten Anwohner ist die derzeitige Situation schon untragbar. Mit der Verlängerung der Öffnungszeiten und der Verlagerung der Szene an die Kreuznacher Straße befürchten sie noch mehr Eskapaden. „Meine beiden Kinder haben jetzt schon Angst, direkt am Café vorbeizulaufen“, erzählte eine Nachbarin. Besonders die Hunde der Café-Besucher sorgten allgemein für großen Unmut und Angst. „Uns ist vor allem wichtig, dass sich die Situation vor dem Café entspannt. Das Draußensein muss eliminiert werden“, ergänzte Anwohner Norman Hnida.

Das Nachbarschaftstreffen sollte zur Aussprache dienen, eine Lösung ist es nicht. „Das können wir auch nicht leisten“, sagt Klaus Obert, Bereichsleiter Sucht- und Sozialpsychiatrische Hilfen beim Caritasverband Stuttgart. Er empfahl den Anwohnern, bei massiven Pöbeleien oder Ärger sofort Polizei oder Ordnungsamt zu verständigen und sich insgesamt an den Bezirksbeirat zu wenden. Aus seiner Sicht wird sich die Situation an der Kreuznacher Straße durch das Projekt nicht verschlechtern. „Diese Menschen lassen sich nicht einfach versetzen“, sagt Obert.

Diese Ansicht teilte auch Manuel Borrego Beltran von der Ambulanten Hilfe. „Diese Menschen möchten genau da sein, wo viele andere sind. Man kann sie nicht einfach verpflanzen“, betonte Beltran, der sich als „Streetworker der ersten Stunde“ vorstellte. Auch ein Abbau der Bänke am Bahnhof schaffe da keine Abhilfe. „Diese Menschen werden deshalb nicht aufhören zu trinken und arbeiten gehen“, sagte er. Dennoch werden die Mitarbeiter der Ambulanten Hilfe und die Sozialarbeiter des Café 72 versuchen, den Ärger so gering wie möglich zu halten, versprach er.

Verlängerte Öffnungszeiten nur ein dreimonatiger Test

Zunächst sind die verlängerten Öffnungszeiten jedoch nur ein dreimonatiger Test. „Wenn das nicht funktioniert, ist das Projekt gescheitert“, sagte Michael Knecht von der Ambulanten Hilfe.

Mittlerweile hat sich auch die CDU-Ratsfraktion der Sache angenommen. In einem aktuellen Antrag fordern die Christdemokraten, einen Bericht im Sozialausschuss. Dabei soll die Verwaltung unter anderem die Frage klären, wie sichergestellt werden kann, dass während der Öffnungszeiten und danach keine Trinkgelage vor dem Café gefeiert werden.