Die Vendée Globe gilt als die härteste Segelregatta der Welt. Nonstop geht es einmal um den Erdball. Boris Herrmann ist der erste Deutsche, der an dem Rennen teilnehmen darf.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - War es ein schlafender Wal? Ein herrenloser Übersee-Container oder ein im Wasser treibender Baumstamm? Jérémie Beyou weiß es nicht. Die Kollision in der Sturmnacht auf dem Atlantik hatte für den Franzosen allerdings fatale Folgen. Das Ruder an seiner Rennjacht wurde schwer beschädigt und der Favorit muss das Rennen abbrechen und zum Start zurückkehren, während seine 32 Mitkonkurrenten bei der härtesten Regatta der Welt weiter um den Sieg segeln.

 

Der Kurs geht einmal rund um den Erdball und es wird wahrscheinlich nur knapp über die Hälfte der Starter wieder am Ausgangspunkt im westfranzösischen Les Sables d’Olonne eintreffen – zu hart sind die Bedingungen für Mensch und Boot. Alle vier Jahre findet der legendäre Wettbewerb statt und wird wegen der günstigen Bedingungen im Südpazifik Anfang November gestartet. Gesegelt wird übrigens Einhand, also alleine - wobei segeln nicht der treffende Begriff für diese Art der Fortbewegung ist. Die hochgezüchteten Boote vom Typ Imoca 60 fliegen eher über das Wasser.

Mit Tempo 60 über das Meer gleiten

Möglich machen das kleine Tragflächen, die wie bei Flugzeugen an der Seite des Schiffes angebracht sind und bei günstigem Wind und schneller Fahrt die rund acht Tonnen schweren und 18 Meter langen Carbon-Boote fast völlig aus dem Wasser heben. Damit sind Spitzengeschwindigkeiten von über 60 km/h möglich. Brauchte der Sieger des ersten offiziellen Rennens im Jahr 1990 noch 109 Tage für die gefahrenreiche Strecke von fast 45 000 Kilometern, werden dieses Mal die ersten Boote in spätestens 75 Tagen in Les Sables d’Olonne zurückerwartet.

Mit Seefahrer-Romantik hat die Vendée Globe nichts zu tun. Boris Herrmann erklärt, dass er die meiste Zeit des Rennens unter Deck sei. Er werde zwischen Schlafkoje, Navigationstisch und der elektrischen Seilwinde zum Einstellen der Segel pendeln. Das Steuern übernimmt der Autopilot, der das viel genauer mache als jeder Mensch, sagt der 39 Jahre alte Hamburger, erster Deutscher, der mit seiner Jacht „Seaexplorer“ an der Regatta teilnehmen darf.

Wenn Warnsysteme nicht warnen

Überspitzt formuliert hat Herrmann während des Rennens einen Bürojob, denn er sitzt vor dem Computer, überwacht die Wetter- und Windvorhersage, um den besten Kurs zu berechnen oder kontrolliert die Daten, die anhand von Sensoren den Druck in den Segeln und am Kiel anzeigen. Über mehrere Kameras hat er die raue See im Blick und Kollisionssysteme warnen ihn vor unerwarteten Hindernissen, ein spezieller Pieper soll schlafende Wale aufwecken. Das funktioniert allerdings nicht immer, wie das Missgeschick seines Konkurrenten Jérémie Beyou beweist.

Nur zu größeren Manövern verlässt Boris Herrmann alle paar Stunden die enge Kajüte, was dann allerdings eine gefährliche Angelegenheit ist. Würde er mitten auf dem Meer über Bord gespült, würde die „Seaexplorer“, gesteuert vom herz- und hirnlosen Autopiloten, unbeirrt weiter ihren Kurs ziehen. Auf Hilfe könnte Boris Herrmann in solch einer Situation nicht hoffen, denn meist sind die Teilnehmer der Vendée Globe viele hundert oder sogar tausend Meilen vom Land entfernt. Zwei Mal werden die Boote den Äquator überqueren, vorbei geht es am Kap der Guten Hoffnung vor Südafrika, dann in Richtung Kap Leeuwin in Australien und schließlich wird das Kap Hoorn an der Südspitze Argentiniens umrundet. Die meiste Zeit verbringen die Segler im rauen Südpolarmeer, nördlich der Eisgrenze, wenn sie einmal rund um die Antarktis segeln.

Stresstest für Körper und Geist

Das Rennen ist eine große übermenschliche Herausforderung für den Körper. Die physische und psychische Belastung ist enorm. Geschlafen wird in Intervallen von einer Stunde, in komplizierten Situationen auch nur von 15 Minuten, manchmal gar nicht. Nach der Sturmnacht, als Jérémie Beyou einen Gegenstand rammte, zeigte sich auch Segel-Profi Boris Herrmann, der sein ganzes Leben auf dem Wasser verbracht hat, ungewöhnlich nachdenklich. „Ich wurde von Sorgen und Zweifeln aufgefressen“, berichtete der Hamburger in einem Video auf Twitter. „Ich habe mir die ganze Zeit Fragen gestellt, zum Beispiel, ob ich schneller oder langsamer fahren soll.“ Solche Sorgen habe er zuvor nie gehabt, sagte Herrmann. „Ich konnte überhaupt nicht schlafen. Ich habe viel gehadert. An einem Punkt war ich so müde, dass ich nicht einschlafen konnte.“ Alles in allem gehe es ihm aber gut, in den nächsten Tagen wolle er es in die Top Ten schaffen.

Werbung für den Klimaschutz

Ziel des Deutschen ist es aber nicht nur, so weit vorne wie möglich zu landen. Auf dem Segel seines Schiffes ist zu lesen: „A race we must win“. Gemeint ist der Klimaschutz, für den sich Herrmann engagiert. Während der gesamten Regatta sammelt er laufend Umweltdaten, die zur Erforschung des Klimawandels herangezogen werden. Aus diesem Grund war es für ihn eine Ehre, im Jahr 2019 mit der Umweltaktivistin Greta Thunberg auf seinem Schiff von Plymouth nach New York zu segeln, was ihn auch weit außerhalb des Segelsports bekannt machte. Er habe die junge Frau als unglaublich „inspirierende Person“ erlebt, sagt der 39-Jährige. Sie war es auch, die während der Überfahrt im Innern der „Seaexplorer“ überall kleine, versteckte Zeichnungen auf der Bordwand hinterlassen habe. Zwei habe er schon gefunden, verrät Boris Herrmann. Für die Suche nach den restlichen Botschaften der schwedischen Umwelt-Ikone kann er sich Zeit lassen. Die ersten Teilnehmer der Vendée Globe werden Mitte Januar im Hafen von Les Sables d’Olonne zurückerwartet.