Bei der Regatta Vendée Globe kämpfen mehrere Boote noch um den Sieg. Der Deutsche Boris Herrmann könnte als erster Nicht-Franzose das Rennen gewinnen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Die Whiskyflasche blieb zu. Am sturmumtobten Kap Hoorn wollte sich Boris Herrmann eigentlich einen kräftigen Schluck aus der Pulle gönnen, bevor er mit seiner Rennjacht auf die Zielgerade über den Atlantik in Richtung Norden einschwenken würde. Doch dann waberte dichter Nebel über dem Ozean und hüllte die gefürchteten Felsen der Südspitze Südamerikas in ein graues, undurchdringliches Nichts. Es hätte sich in jenem Augenblick „falsch angefühlt“, diesen Meilenstein zu feiern, beschreibt der deutsche Segler seine Enttäuschung. Also tippte ein ziemlich frustrierter Boris Herrmann seinen neuen Kurs in den Computer, der die Ruderanlage des Bootes steuert. Dann beschrieb der Bug der Seaexplorer im Nebel eine leichte Linkskurve und zeigte schließlich nach Norden in Richtung Les Sable-d’Olonne, dem seit Monaten ersehnten Start- und auch Zielhafen an der französischen Atlantikküste.

 

80 Tage alleine auf See

Rund 40 000 Kilometer hatte das Teilnehmerfeld der Vendée Globe zu jenem Zeitpunkt bereits hinter sich. 33 Boote waren Anfang November in Frankreich in See gestochen, mindestens acht von ihnen mussten bereits aufgeben und werden das Ziel nicht erreichen, zu hart sind die Anforderungen an Mensch und Ausrüstung. Der Kurs führt einmal rund um den Erdball, vorbei am südafrikanischen Kap der Guten Hoffnung und am Kap Leeuwin in Australien. Der legendäre Wettbewerb findet alle vier Jahre statt und wird wegen der günstigen Bedingungen im Südpazifik Anfang November gestartet. Gesegelt wird übrigens Einhand, also alleine – wobei segeln nicht der treffende Begriff für diese Art der Fortbewegung ist.

Die hochgezüchteten Boote vom Typ Imoca 60 fliegen eher über das Wasser. Möglich machen das kleine Tragflächen (Foils), die wie bei Flugzeugen an der Seite des Schiffes angebracht sind und bei günstigem Wind und schneller Fahrt die rund acht Tonnen schweren und 18 Meter langen Carbon-Boote fast völlig aus dem Wasser heben. Damit sind Spitzengeschwindigkeiten von über 60 km/h möglich. Brauchte der Sieger des ersten offiziellen Rennens im Jahr 1990 noch 109 Tage für die insgesamt rund 45 000 Kilometer lange gefahrenreiche Strecke, werden dieses Mal die ersten Boote nach etwa 80 Tagen in Les Sables d’Olonne zurückerwartet.

Knapp an der Katastrophe vorbei

Während der ganzen Fahrt dürfen die Teilnehmer allerdings keinen Hafen anlaufen und müssen alle anfallenden Reparaturen selbst vornehmen. So begab es sich es, dass Boris Herrmann während eines Sturms den fast 30 Meter hohen Mast seines Schiffes erklimmen musste, um das gerissene Großsegel zu reparieren. Das Problem: Der Mann hat Höhenangst. Vorher hätte er sich eine solche Aktion nie zugetraut, verrät der 39-Jährige. „Aber ich hatte keine andere Wahl.“

Weniger Glück im Sturm hatte sein Konkurrent Kevin Escoffier. Der Franzose sendete mitten aus dem Südpolarmeer plötzlich ein Notsignal, das kurz darauf abbricht, der Skipper war verschollen. Sicher war nur, dass er nach einem starken Wassereinbruch seine Rennjacht PRB aufgeben musste und 840 Seemeilen südwestlich von Kapstadt in eine Rettungsinsel umgestiegen war. Nach Stunden dann die erlösende Nachricht: Der Segler Jean Le Cam hatte seinen Landsmann in einer dramatischen Rettungsaktion an Bord holen können. Was Escoffier von der Havarie berichtete, gleicht dem Drehbuch eines Horrorfilmes. „Es war total verrückt“, sagte er. Das Schiff sei von den ungeheuren Naturgewalten „einfach zusammengefaltet“ worden. „Sie kennen sicher die Filme von Schiffsuntergängen, das war so ähnlich – nur schlimmer“, erzählte Escoffier von den Sekunden des Untergangs.

Ein 2000 Kilometer langer Endspurt

Inzwischen haben die Führenden auf ihrem Rückweg nach Les Sables-d‘Olonne den Äquator zum zweiten Mal überquert und liefern sich auf den letzten 2000 Kilometern ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. „Es ist ein schönes Gefühl, wieder auf der heimischen Nordhalbkugel zu sein“, sagte Herrmann erleichtert, nach einem zuletzt von Flautenlöchern und Sturmböen durchsetzten Kurs wieder etwas ruhigeres Fahrwasser zu erreichen – Gefahren lauern allerdings auch dort. Die Segler haben zwar Kameras installiert, mit denen sie die See rundum im Blick haben, Kollisionssysteme warnen vor unerwarteten Hindernissen wie im Wasser treibende Container und ein spezieller Pieper soll schlafende Wale aufwecken – das alles ist aber keine Garantie für eine unfallfreie Fahrt.

Nur wenige Tage vor Zielankunft liegt Herrmann, der sich selbst als „eher ängstlichen Segler“ beschreibt, auf dem zweiten Platz und könnte als erster Nicht-Franzose nach dem Sieg greifen. Mit seiner risikoärmeren Wettkampfstrategie bewahrte er seine Hightech-Jacht während schwerer Wetterkapriolen im Südpolarmeer vor Schäden und könnte davon nun profitieren.

Der Grund: Die Rivalen Charlie Dalin und Thomas Ruyant (LinkedOut) müssen beide mit gebrochenen Backbord-Foils zurechtkommen. Der ebenfalls gut platzierte Louis Burton (Bureau Vallée 2) hat kleinere Foils als Herrmann, was bedeutet, dass der Deutsche bei guten Bedingungen wesentlich schneller unterwegs sein kann. „Rang zwei fühlt sich gut an für die Moral, aber ich habe keine Festbuchung für einen Podiumsplatz“, sagte der 39-Jährige am Donnerstag. „Es wird sehr eng. Es wird eine harte Woche, auf die ich mich aber freue.“

Der Traum vom kühlen Bier

Einen Traum wird sich für den Herrmann aber ziemlich sicher erfüllen: Ankommen! Ein solches Rennen sei am Ende nicht nur ein Sieg über alle Gefahren, sondern auch über sich selbst, sagt der Skipper. Und wenn der Hamburger Mitte kommender Woche in Les Sables-d‘Olonne wieder festen Boden unter den Füßen hat, wird er sich seinen im Moment größten Wunsch erfüllen können: in Ruhe ein kaltes Bier trinken und nach 80 Tagen Einsamkeit endlich wieder mit Menschen reden.

Namensgeber des Einhand-Segelrennens über 24 000 Seemeilen ist das westfranzösische Département Vendée in Frankreich. Gestartet wird alle vier Jahre im Küstenort Les Sables-d’Olonne im November, weil zu dieser Jahreszeit die meteorologischen Verhältnisse im Südpazifik am günstigsten sind. Fixpunkte der Strecke sind das Kap der Guten Hoffnung, Kap Leeuwin und Kap Hoorn. Damit die Teilnehmer nicht einen gefährlichen Weg durch das Eismeer der Antarktis einschlagen, müssen noch einige andere Wegepunkte abgesegelt werden. Weil es in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Unfällen kam, wurden die Sicherheitsstandards immer wieder verschärft. So muss sich das Boot etwa nach dem Durchkentern selbst wieder aufrichten.