„Dieses Ergebnis kommt nicht überraschend.“ Bernd Murschel spricht das aus, was die meisten im Gemeinderat denken. Denn dass sich die Fachleute mit Nachdruck für eine Seilbahn in Leonberg stark machen, das hatte niemand erwartet. Den Fraktionschef der Grünen ärgert vielmehr, dass durch die Machbarkeitsstudie „ein Jahr vergangen ist, in dem keine weiteren Aktivitäten entwickelt wurden.“

 

Das sieht auch Frank Albrecht von der Wählergruppe SALZ so, der von einem „vertrödelten Jahr“ spricht. Dieter Maurmaier wiederum hätte sich mehr konkrete Ideen für die Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs jenseits der Seilbahn gewünscht. „Das ist alles sehr nebulös“, kritisiert der FDP-Fraktionsvorsitzende.

Signalwirkung nach Stuttgart?

Foto: dpa
„Ich bin enttäuscht, dass wir von einer neuen Idee Abstand nehmen müssen“, sagt Christa Weiß. Angesichts der Kritik der Experten an der Fixierung des Busnetzes auf den Bahnhof verweist die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion auf ein früheres Fachgutachten: „Das war damals die Empfehlung eines Verkehrsplaners, der uns dringend geraten hatte, unsere Busse ganz auf die S-Bahn-Zeiten abzustimmen.“

Klare Worte wählt Wolfgang Schaal: „Die Machbarkeitsstudie ist ein vernichtendes Urteil, das aber vorhersehbar war“, sagt der Freie Wähler. „Wir hatten schon immer diese Bedenken.“ Tatsächlich hatte die Fraktion vor einem Jahr gegen die Machbarkeitsstudie gestimmt, die die Stadt nach Abzug der Landeszuschüsse rund 39 000 Euro kostet. Ein Gutes kann Schaal der Seilbahn doch abgewinnen: „Wir hatten ein tolles Motiv für unseren Wagen beim Pferdemarktumzug.“

Personalintensiv sei eine Seilbahn zudem: „An jeder Station braucht es zwei Mitarbeiter, die den Leuten beim Ein- und Aussteigen helfen“, weiß der österreichische Experte. „Da kommen leicht rund 60 Vollzeitkräfte zusammen.“ Albrechts Fazit: „Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist jenseits von Gut und Böse.“

(Lesen Sie hier: Der Traum von der individuellen Mobilität)

Mit der Streckenführung hat sich der Stuttgarter Verkehrsplaner Peter Sautter beschäftigt. Die Seilbahn hätte den Bahnhof, das Leo-Center und die Altstadt miteinander verbunden und außerdem zu den Autobahnabfahrten Ost und West geführt. Direkt am Bahnhof wäre eine Station aus technischen Gründen nicht möglich; der Zustieg erfolgte am Wertstoffhof.

Ein bequemer Umstieg von der Schiene auf die Hochbahn wäre also nicht gegeben. Für einen Park & Ride-Verkehr an den Autobahnabfahrten über die Berliner Straße und die Brennerstraße müssten an den Endpunkten jeweils Parkhäuser gebauten werden, die Sautter mit je 700 000 Euro veranschlagt. Doch ob diese Linien außerhalb der Rushhour ausreichend genutzt würden, bezweifelt der Experte.

Die Busse aus den Umlandgemeinden wären mit einer Seilbahn nicht überflüssig: „Die Stadt hätte damit ein jährliches Defizit von 5,7 Millionen Euro.“

Fixierung auf Bahnhof ein Hindernis

Die jetzige Fixierung des Bussystems auf den Bahnhof ist für Sebastian Beck vom Projektentwickler Drees & Sommer ein zentraler Schwachpunkt. Solange es keine innerstädtische Busverbindung vom Haldengebiet bis Eltingen gebe, „können die Autos ungehindert ihre Qualitäten ausspielen. Es ändert sich nichts“.

Trotz allem haben Seilbahnen auch Vorzüge: „Die Investitionskosten sind gering, die Bauzeiten kurz“, so der Fachmann Albrecht aus Österreich. Die Stationen seien „sehr robust“, mithin kaum reparaturanfällig. Die Planung allerdings sei ähnlich lang wie die einer Straßenbahnlinie. Seilbahnen sind nur für längere Distanzen interessant, sagt der Verkehrsplaner Sautter. Eine Verbindung von der Innenstadt übers Glemstal bis Höfingen wäre so eine. Allerdings akzeptiert der Verkehrsverbund solch ein Projekt nicht, weil es als Konkurrenz zur S-Bahn gesehen wird. Damit wären Fördergelder verbaut.

(Lesen Sie hier eine Expertenmeinung: „Seilbahn ist nicht per se gut oder schlecht“)

Neben den drei Experten hat auch die Firma Bosch die Studie eng begleitet, erweitert doch der Konzern sein hiesiges Zentrum für autonomes Fahren. „Für uns hat der Prozess sehr viel gebracht“, sagt Matthias Buck, der die Entwicklung des Leonberger Standorts leitet. „Wir haben vorher nicht darüber nachgedacht, wie die Verkehrsströme laufen. Die Untersuchungen haben uns die Augen geöffnet.“ „Wir sind Mobilitätsanbieter und Arbeitgeber“, sagt Buck. „Deshalb wollen wir die Verkehrsentwicklung mit unseren Möglichkeiten intensiv begleiten. Die Studie ist nur der Auftakt.“ Lob gibt es für den OB: „Herr Cohn ist sehr offen.“

Was sagen die Fraktionen?

„Dieses Ergebnis kommt nicht überraschend.“ Bernd Murschel spricht das aus, was die meisten im Gemeinderat denken. Denn dass sich die Fachleute mit Nachdruck für eine Seilbahn in Leonberg stark machen, das hatte niemand erwartet. Den Fraktionschef der Grünen ärgert vielmehr, dass durch die Machbarkeitsstudie „ein Jahr vergangen ist, in dem keine weiteren Aktivitäten entwickelt wurden.“

Das sieht auch Frank Albrecht von der Wählergruppe SALZ so, der von einem „vertrödelten Jahr“ spricht. Dieter Maurmaier wiederum hätte sich mehr konkrete Ideen für die Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs jenseits der Seilbahn gewünscht. „Das ist alles sehr nebulös“, kritisiert der FDP-Fraktionsvorsitzende.

Signalwirkung nach Stuttgart?

Foto: dpa
„Ich bin enttäuscht, dass wir von einer neuen Idee Abstand nehmen müssen“, sagt Christa Weiß. Angesichts der Kritik der Experten an der Fixierung des Busnetzes auf den Bahnhof verweist die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion auf ein früheres Fachgutachten: „Das war damals die Empfehlung eines Verkehrsplaners, der uns dringend geraten hatte, unsere Busse ganz auf die S-Bahn-Zeiten abzustimmen.“

Klare Worte wählt Wolfgang Schaal: „Die Machbarkeitsstudie ist ein vernichtendes Urteil, das aber vorhersehbar war“, sagt der Freie Wähler. „Wir hatten schon immer diese Bedenken.“ Tatsächlich hatte die Fraktion vor einem Jahr gegen die Machbarkeitsstudie gestimmt, die die Stadt nach Abzug der Landeszuschüsse rund 39 000 Euro kostet. Ein Gutes kann Schaal der Seilbahn doch abgewinnen: „Wir hatten ein tolles Motiv für unseren Wagen beim Pferdemarktumzug.“

Der Oberbürgermeister jedoch ist nicht zum Scherzen aufgelegt. „Die Studie war eine Mehrheitsentscheidung und hat Signalwirkung nach Stuttgart, wo auch über eine Seilbahn diskutiert wird“, erinnert Martin Georg Cohn an den Ratsbeschluss vom Dezember des vergangenen Jahres.

Dass die Stadtspitze eine Präsentation öffentlich zeigt, von der sie sich andere Ergebnisse erhofft hatte, ist für den OB ein Ausdruck von Transparenz: „Es zeichnet eine Verwaltung aus, wenn sie Informationen ungefiltert nach draußen gibt und sie nicht schönredet.“

Kommentar

Die aufgeregte Debatte ist mit dem Urteil der Experten endgültig verpufft. Doch Häme ist fehl am Platz. Dafür sind die Probleme zu groß, findet Thomas K. Slotwinski:

„Nein, überraschend ist die Erkenntnis, dass eine Seilbahn für die Leonberger Verkehrsprobleme keine Lösung ist, wirklich nicht. All die Kritikpunkte, die die Fachleute jetzt amtlich bestätigt haben, waren schon vorher Gegenstand zahlreicher Erörterungen. Jene Kritiker, die in der Seilbahn-Idee des OB eher Show- als Sachaspekte gesehen haben, behalten also in gewisser Weise recht.

In gewisser Weise deshalb, weil der Cohn’sche Vorstoß immerhin einen ganz wesentlichen Effekt erzielt hat: Die Diskussion über den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs hat wesentlich an Dynamik gewonnen. Es wird nicht mehr nur über kürzere Taktzeiten gesprochen, sondern über gänzlich neue Wege nachgedacht.

Das hat auch viel mit der Firma Bosch zu tun, die offenbar doch sehr viel enger in die Untersuchungen eingebunden war, als es das Unternehmen wie auch die Stadt zugegeben haben. Der Umstand, dass Bosch in Leonberg an neuen Mobilitätsmodellen arbeitet und den hiesigen Standort stadtbildverändernd ausbauen will, hat die Drähte zwischen der Niederlassungsleitung in der Poststraße und der Chefetage im Rathaus offenbar sehr viel öfter glühen lassen als bisher anzunehmen war. Jedenfalls hat Martin Georg Cohn sehr viel Druck aus dem Kessel lassen können, indem er im Gemeinderat einen Bosch-Abgesandten verkünden ließ, dass dessen Unternehmen lokale Mobilitätskonzepte gemeinsam mit der Stadt kreieren will.

Man kann trefflich darüber streiten, ob all das wirklich knapp 40 000 Euro – so viel kostet die Stadt die Seilbahn-Studie – wert war. Andererseits sind schon sehr viel größere Summen für alle möglichen Gutachten ohne erkennbaren positiven Effekt ausgegeben worden.

Wenn es nun gelingt, die Impulse aus der Studie, gepaart mit der Expertise des Weltunternehmens Bosch, zur Basis der weiteren Planungen zu machen, könnte endlich das gelingen, an dem es seit Jahrzehnten mangelt: einem zukunftsfähigen Verkehrskonzept für die ganze Stadt.“