Die Bäckerei Rau und die angeschlossene Gastwirtschaft „Beggahaus“ sind aus Ebersbach-Roßwälden nicht wegzudenken. Am Wochenende feiert der Betrieb seinen 150. Geburtstag.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Ebersbach - Schleckermäuler kommen an dieser Tortentheke nicht vorbei. Die Auslage springt einen förmlich an. Es gibt nichts, was es nicht gibt – und noch einiges mehr. Das Brotregal der Bäckerei Rau im Ebersbacher Teilort Roßwälden lässt ebenfalls keine Wünsche offen. Die Auswahl ist riesig. Wie viele Sorten es sind? – Genau vermag das, zumindest auf Anhieb, niemand zu sagen. „Auf jeden Fall ist alles frisch“, versichert Martin Fischer, den seine Nichte Christina Speißer als „gute Seele das Ladens“ bezeichnet.

 

In der Backstube wirbelt Christinas Mutter Dorothea. Und Oma Johanna, die alle Welt nur unter dem Namen d’Hanne vom Beggahaus kennt, hilft, wo’s klemmt. Bis vor einigen Jahren hat die 77-Jährige noch die angeschlossene Gastwirtschaft umgetrieben. Jetzt steht dort ihr Enkel Joachim Speißer hinter der Theke und seine Frau Priska in der Küche. Der Traditionsbetrieb in der Dorfstraße ist Familiensache – seit 150 Jahren, in der sechsten Generation und seit jeher am gleichen Fleck. Nachdem der Urururopa von Christina und Joachim Speißer bereits 1832 ein Haus mit Backstube erbaut hatte, machte sein Schwiegersohn Johann Georg Rau 1864 daraus eine Bäckerei mit Gaststube.

Seit sechs Generationen in Familienbesitz

Frank Sautter, der Geschäftsführer der zuständigen Bäckerinnung, kennt in der gesamten Region Stuttgart nichts Vergleichbares: „Es gibt zwar rund eine Handvoll Betriebe, die ein ähnliches Alter haben. Immer am gleichen Standort und nach wie vor in Familienbesitz, das ist aber schon etwas Einzigartiges.“ Umso erstaunlicher sei dies, wenn man die Entwicklung der Branche berücksichtige, fügt er hinzu. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl unserer Innungsbetriebe aufgrund von Schließungen oder Übernahmen durch Filialisten um rund 30 Prozent verringert“, zitiert Sautter aus der Statistik.

Was die Bäckerei Rau mitsamt dem Beggahaus angeht, scheidet dieses Schicksal vorerst aus. 2011 hat der heute 27 Jahre alte Betriebswirt Joachim Speißer mit seiner gleichaltrigen Gattin die Wirtschaft übernommen. Und seine nur zwei Jahre ältere Schwester ist nach ihrer Meisterprüfung als Konditorin ebenfalls in den elterlichen Betrieb zurückgekehrt, nachdem sie zuvor als Chef-Pâtissière im Stuttgarter Sterne-Restaurant Speisemeisterei gearbeitet hat. Dort war im übrigen auch Priska Speißer als Köchin beschäftigt. „Und wenn nichts Außergewöhnliches passiert, ist das Beggahaus für uns beruflich die Endstation“, betonen alle drei unisono.

Bodenständiges mit Pfiff und extravagente Torten

Dass das klappen wird, davon geht das Trio aus. „Wir wollen aus der Wirtschaft kein Top-Lokal machen, sondern den bestehenden Charakter bewahren. Hier sollen weiterhin die unterschiedlichsten Leute zusammenkommen“, erklärt Joachim Speißer. „Vom pausemachenden Handwerker bis zum Stammtischler, vom Kaffee-Kränzchen bis zur Familienfeier“, ergänzt seine Ehefrau. Was sie nicht sagt: durch das angebotene Wochen-Menü kommen auch Gourmets, die auf Bodenständiges mit Pfiff stehen, auf ihre Kosten.

Und auch in Sachen Bäckerei und Konditorei läuft es rund. Um sich mit Brot und Brötchen, mit Kuchen und Torten einzudecken, nimmt die Kundschaft auch weite Wege in Kauf: nicht nur aus den Nachbarorten, sondern sogar aus Kirchheim und Göppingen kommt sie. Christina Speißers extravagante Hochzeitstorten finden gar Abnehmer bis hinauf auf die Alb oder hinüber in den Schwarzwald. Und auch medial ist die junge Beggahaus-Generation gut aufgestellt. Während Priska Speißer immer wieder in die Kochsendung von Michael Branik auf SWR 4 eingeladen wird, ist ihre Schwägerin regelmäßig bei „Kaffee oder Tee“ im SWR-Fernsehen gefordert.

„Das Seltsame an allem ist, dass wir da immer irgendwie reinrutschen, ohne selber aktiv zu werden“, wundert sich Christina Speißer. Für ihren Bruder ist das indes logisch: „Uns hat ja auch niemand dazu gedrängt, die Familientradition fortzusetzen. Wir machen das, weil es so gekommen ist und weil wir es wollen.“ Seine Frau und seine Schwester nicken. Und Oma Hanne setzt ein schelmisches Lächeln auf.