Wenn das Geld knapp wird, spart mancher an der Ehrlichkeit. Das spüren auch Landwirte, Obstbauern und andere Direktvermarkter, die beim Verkauf ihrer Waren auf die Redlichkeit der Kunden setzen.

Rems-Murr: Chris Lederer (cl)

Vertrauen wird großgeschrieben. Wer beim Bauernhof Siegle in Sechselberg einkauft, kann das rund um die Uhr tun. An sieben Tagen in der Woche. Milch gibt es frisch aus dem Automaten. Aber auch Kartoffeln und Kürbisse, Eier und Nudeln, Dosenwurst, Mehl und Marmelade, Speiseeis und sogar selbst gemachte Schrundensalbe warten auf Abnehmer. Gleich daneben liegen auf einem kleinen Tisch ein Taschenrechner, Bleistift und Block parat für diejenigen, die sich mit dem Kopfrechnen vielleicht ein bisschen schwerer tun. Mit ständigem Personal darf man in der kleinen Holzhütte nicht rechnen, aber Siegles wohnen nebenan, falls mal was fehlt, muss man nur klingeln. Und wer etwas kauft, der wirft sein Geld in die kleine rote Blechkassette: das Vertrauenskässle.

 

Die meisten Kunden sind ehrlich

So funktioniert das seit 2016, seitdem gibt es das Verkaufshäusle an der Oststraße 16. Und so funktionierte das auch meistens gut. Bis vor wenigen Wochen bei den täglichen Abrechnungen immer mehr Geld fehlte. „Wir füllen jeden Abend Waren auf und machen dann eine kleine Inventur“, sagt Jessi Siegle. Dabei mussten sie und ihre Mutter Erika feststellen, dass die Fehlbeträge immer größer wurden. Als sie in den zweistelligen Bereich gingen, war Schluss: „Ich habe einen Zettel aufgehängt, dass, wenn es so weitergeht, wir den Laden schließen müssen“, sagt Jessi. Und ihre Mutter ergänzt: „Wir machen faire Preise und haben geringe Gewinnspannen, da wird nicht viel verdient.“ Der Milchautomat für 15 000 Euro habe sich noch lange nicht amortisiert. „Wir machen das Lädle ja auch ein Stück weit zum Vergnügen für uns und zur Freude unserer Kundschaft.“

Wenn aber immer mehr Geld fehle, dann höre der Spaß auf. „Es gibt Stammkunden, die rufen an, wenn sie es mal nicht passend haben, manche hinterlassen einen Zettel und zahlen beim nächsten Mal – alles kein Problem. Aber mit zwei Eierboxen rauslaufen, nur eine bezahlen und dann so tun, als wäre nichts, das geht zu weit.“ Viele Stammkunden seien ehrlich und hätten besorgt auf den Zettel reagiert, aber auch Verständnis zum Ausdruck gebracht. Und wer weiß, vielleicht zeigen bei den schwarzen Schafen die Schließungsdrohung und verstärkten Stichprobenkontrollen Wirkung. Fest steht: „Es hat sich in den vergangenen Tagen wieder deutlich gebessert – wenn es so bleibt, machen wir weiter“, sagt Erika Siegle.

Pause wegen schlechter Bezahlmoral

Langjährige Erfahrungen mit Vertrauenskassen und damit auch mit der Bezahlmoral seiner Kunden hat Heiko Gruber vom gleichnamigen Obstbaubetrieb in Berglen. Neben vier Fachgeschäften pflanzen er und seine Mitarbeiter jährlich zig Blumenzwiebeln auf Feldern in Welzheim, Bürg, Michelau, Endersbach und dem sogenannten Rettichkreisel in Rudersberg. „Wenn bei den Leuten das Geld im Geldbeutel abnimmt, dann sinkt auch die Ehrlichkeit“, bringt er es auf den Punkt. Seit 20 Jahren vermarkten Grubers die Blumen zum Selberschneiden. Angefangen bei Tulpen im April über Gladiolen im Sommer bis zu Dahlien und Chrysanthemen im Herbst reicht das Angebot. „Als von der D-Mark auf den Euro umgestellt wurde, hat der Diebstahl so zugenommen, dass wir zwei, drei Jahre pausiert haben.“ Mittlerweile laufe das Geschäft mit den Schnittblumen wieder. „In der Regel machen wir gute Erfahrungen und haben auch eine sehr treue und ehrliche Stammkundschaft“, sagt er. Einmal habe eine Frau statt Geld ein Glas Honig hinterlassen.

Beistelltischchen als Geschenk

Bei den großen Blumenfeldern sei es nicht immer einfach, genau festzustellen, ob jeder Pflücker jede Pflanze ordnungsgemäß bezahlt, denn manche der gepflanzten Blumenzwiebeln würden gar nicht sprießen, andere wiederum verblühten ungepflückt – aber grob überschlagen könne man Einsatz und Ertrag schon. „Außerdem machen wir Stichproben auf den Feldern und schauen, ob die Kunden auch bezahlt haben.“ Ein unbekannter Kunde habe für eine schöne Überraschung gesorgt: „Sie oder er hat uns ein Beistelltischchen an der Blumenkasse hingestellt, damit man beim Bezahlen die Blumen ablegen kann, das war sehr nett.“ An seinem Stand am Rettichkreisel oberhalb von Rudersberg werden neben den Gewächshäusern mit Schnittblumen während der Saison auch Sträuße für 6 Euro angeboten. Da lasse sich schon einfacher feststellen, ob bezahlt werde oder nicht. „Sagen wir mal so: Seit die Videokamera dort hängt, haben wir zehn bis fünfzehn Prozent mehr in der Kasse.“ Durchweg positiv bewertet Gruber die Anschaffung zweier Verkaufsautomaten, die seit einem Jahr am Kreisel stehen und neben Obst, Gemüse und Getränken unter anderem auch Eier und Marmelade bieten.

Bar zahlen oder per Paypal

Vor gut vier Wochen hat Janina Uetz ihr Selbstbedienungslädle an der Riedstraße 65 in Remshalden-Grunbach eröffnet. Auf Vertrauensbasis bietet die 31-Jährige dort selbst gemachte Kränze, Gestecke, Dekoartikel, Blumen sowie diverse Geschenke und Mitbringsel an. „Wir wollten einen kleinen Laden machen und haben dann kein Personal gefunden“, sagt Uetz, die wegen ihrer beiden Kinder und verschiedener Workshops, die sie leitet, nicht selbst hinter einer Bedientheke stehen kann. „Wir bieten in unserem Lädle mehr als hundert Artikel, die im Schnitt zwischen 5 und 50 Euro kosten.“ Bezahlt wird bar ins Kässle oder per Online-Überweisung via Paypal. Die Erfahrungen der ersten Wochen seien fast ausschließlich positiv, sagt Uetz. „Die meisten Leute sind ehrlich und bezahlen direkt oder eben per Überweisung.“ Nur an einem Tag gab es bislang eine Enttäuschung. „Ich habe eine Frau mit großer Tüte weggehen sehen und mich schon gefreut, dass sie einiges eingekauft hat“, erzählt Uetz, die direkt neben dem Lädle wohnt und arbeitet. „Als ich dann in der Kasse nachgeschaut habe, bin ich erschrocken, weil gar kein Geld drin war.“ Auch später habe die dreiste Diebin den fälligen Betrag nicht überwiesen.

Ein Spiegel für mehr Ehrlichkeit

Entmutigen lässt sich die junge Mutter von dem Tiefschlag nicht. „Die meisten Leute freuen sich über das Angebot und sind auch ehrlich.“ Und für die anderen hängt mittlerweile eine Videokamera, die das Geschehen überwacht. „Die Kamera hatten wir schon vor dem Vorfall bestellt, sie wurde nur leider nicht rechtzeitig geliefert.“

Familie Siegle in Sechselberg hat übrigens den Ratschlag erhalten, über dem Kässchen einen Spiegel aufzuhängen. Kunden, die in ihr Gesicht schauen, seien ehrlicher beim Bezahlen. Aufgehängt wird bei Siegles allerdings kein Spiegel – sondern ebenfalls eine neue Videokamera.