Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Von der Fähigkeit zur Selbstironie zum Seelenfrieden: Woher kommt das ganze Glück in Ihrem Leben, Herr Oehler? „Im Leben geht es nicht darum, etwas zu lernen, sondern sich an das Leben zu gewöhnen“, sagt Oehler. Er sei jetzt 50 geworden und dankbar für jeden neuen Tag. „Egal was passiert: Jeder Tag ist ein guter Tag. So komme ich ganz gut durchs Leben.“ Und wenn der Stress zu viel wird, verabschiedet sich Oehler für ein paar Tage in ein buddhistisches Kloster ins Allgäu. „Mehrere Tage Meditation holen dich sprichwörtlich auf den Boden zurück. Beim letzten Mal habe ich nach vier Tagen im Schneidersitz zu meinem Meister gesagt, dass ich jetzt weiß, was nach dem Schmerz kommt: Ibuprofen. Danach bin ich heimgefahren.“ Sich selbst nicht ganz so ernst nehmen und den Buddhismus gleich mit dazu – vielleicht ist das Oehlers Erfolgsrezept.

 

Oehlers junges Team feiert seinen Buddha-Koch. „So einen Chef wirst du nie wieder kriegen, und das sage ich nicht, weil wir heute Besuch von der Stuttgarter Zeitung haben“, sagt der 21-jährige Dennis Joza. Joza wurde von einem Gastronomiemagazin zu den drei besten Jungköchen 2014 gewählt und verfügt über einen verehrungswürdigen Gaumen. Joza und Oehler diskutieren bei der Zubereitung diverser Beilagen auf Augenhöhe, der Ton bleibt immer sachlich. Oehler hat sogar Zeit für, nun ja, witzige Witze: „Was ist ein schwäbisches Fünfgang-Menü? Ein Rostbraten mit vier Viertele.“

Langsam zieht das Tempo wieder an. Der Schreiberling wird mit zwei Backblechen voller Ofenkartoffeln ruhig gestellt. Die Schalenkartoffeln werden halbiert, mit einem großen Löffel ausgekratzt, die Kartoffelinnerei wandert in eine Spätzlespresse und muss von dort in eine Schüssel gedrückt werden. Der Teig ist die Grundlage für die Schlutzkrapfen im vegetarischen Menü am nächsten Tag. Während dieser eindrucksvollen Lektion in Demut werden an den Posten daneben Artischocken, Chips und Gurken zu einer Kaltschale: Das ist die so einfache wie wunderbare Transformation von Materie namens Kochen.

Im Service werden derweil die großen Geschütze aufgefahren. Eine Oberin bringt die Magnum-Flasche Roederer Cristal in Stellung – was man halt so trinkt an einem Montagabend, um eine neue Woche voller Mühsal einzugrooven. Oehler entlässt seinen Ein-Tages-Praktikanten nach elf Stunden mit einem Schulterklopfen und den Worten, man sei nicht allzu negativ aufgefallen. Ein größeres Lob wurde in Schwaben nie zuvor ausgesprochen, der Schreiberling wertet das als Jobangebot und bekommt obendrauf zum Abschied eine Ausgabe Zen-Sprüche von Kodo Sawaki. Mit Widmung: „Jeder Tag ist ein guter Tag“, steht auf der ersten Seite des Büchleins.

Draußen im barocken Speisesaal der Speisemeisterei herrscht derweil vornehme Stille. Der Service trägt weiße Handschuhe. Die Gäste – Geschäftsleute mit Ehefrauen, ein einsamer Reisender, zwei mittelalte Damen und zwei Liebespaare unterschiedlichen Alters – genießen und haben nicht den Hauch einer Ahnung, wie die mittlerweile zehnköpfige Maschine hinter den Kulissen läuft und läuft und läuft. Der Rest ist Stille, feine, tiefe, genussvolle Stille, punktuell unterbrochen von einem Lachen des Sommeliers hier, von einem zufriedenen Seufzer über den Gruß aus der Küche da und einem fernen Klimpern des Geschirrs dort. Komponiert von einem kochenden Buddhisten, der die innere Mitte der Küche gefunden hat.

In einer Welt, in der Spitzenköche wie Rockstars verehrt werden, scheint es nur zu verständlich, wenn sich der ein oder andere Koch in seiner Küche auch wie ein Rockstar verhält. Anthony Bourdain, Ex-Junkie aus New York, eine Art Gegen-Jamie-Oliver und der vielleicht größte Rockstar unter den Köchen, beschreibt Küchen in seinen Büchern als Orte des extremen Nahkampfes. Hier fliegen Töpfe, Pfannen und Schlimmeres. Auch in der Region Stuttgart gibt es Augenzeugen zufolge Sterneköche, die ihre innere Unruhe durch fliegende Untertassen kompensieren müssen.

Bei Oehler fliegt nur der Klöppel auf den Gong, der seine Mannschaft zu den gemeinsamen Mahlzeiten ruft. Sein Team ist jung, die Arbeitsatmosphäre konzentriert wie in einem Aschram in Nepal. Der Zeitungsredakteur, der sich für den Rest des Tages als Küchenjunge versucht, wird für Arbeiten eingesetzt, bei denen er kaum Schaden anrichten kann. Das heißt: Zum Warmmachen müssen 35 Äpfelchen geschält werden.

Das massenhafte Schälen von Äpfeln ist Meditation mit anderen Mitteln. Der Beat der Küche ist faszinierend. Links rattert das Messer rhythmisch, rechts wird heftig gerührt, dazu duftet der Kuchen. Die acht jungen Herren und eine junge Dame arbeiten konzentriert zusammen wie eine gut geölte Maschine. Kein Wort zuviel, kein Witz zu wenig. „Ich habe Laktose-Inkompetenz“, heißt es zwei Posten weiter, „Hauptsache, der Kuchen ist nicht inkontinent“, schallt es zurück. Zwischendrin schaut Oehler nach seinem Küchenjungen, streut ein paar Weisheiten ein – „man erkennt am Zustand der Lebensmittel den Zustand der Gesellschaft“ – und diskutiert kurz an, was das über Deutschland im Herbst 2014 angesichts von Massentierhaltung und Geschmacksverstärkern zu sagen hat.

Die Schönheit eines Steinbutts

Die Produkte, die in der Küche der Speisemeisterei verarbeitet werden, haben mit derlei Verfehlungen nichts gemeinsam. Oehler lässt seinen Praktikanten die Schönheit eines frischen Steinbutts bewundern. Hier filetiert der Chef noch selbst: Bei 70 Prozent Abfall kommt man am Ende auf einen astronomischen Preis für 100 Gramm Fisch. „Wenn ich beim Schneiden einen Fehler mache, will ich wenigstens selbst schuld sein.“ Das Filetieren hat Oehler wie Buddhas Lehre in Japan gelernt.

Der Küchenjunge ist derweil fertig mit der Apfel-Meditation und muss jetzt Rucola putzen. Hier wird jedes Blatt gestreichelt, auch dieser Schritt hat kontemplativen Charakter. Der Service macht in der Küche Meldung: „Endlich Gäste!“ Die gut geölte Maschine schaltet einen Gang hoch, um den Mittagstisch vorzubereiten. Damit der Novize nicht im Weg steht, bekommt er die vertrauensvolle Aufgabe, frische Doraden zu vakuumieren. Mit einem Stoßseufzer entzieht die Maschine der Packung den Sauerstoff. Danach werden die Fische schockgefrostet.

„Service bitte“, lautet das Mantra in den Stoßzeiten. Mit Pinzette und ruhiger Hand werden Grüße aus der Küche angerichtet, Süppchen dekoriert, Hauptgänge fertig zubereitet. Es zischt, es dampft, alles ist ein wenig größer als für den Eigenbedarf zuhause, zum Beispiel der Zehn-Liter-Kanister Rapsöl. In dieser Sterneküche wird nicht in Rätseln, sondern in Zahlen gesprochen: „Tisch 15 sind langsame Esser.“ – „Okay, die neun ist draußen?“ Und es duftet: die Pilze, ein Versprechen! Das Kartoffelpüree ist dem Chef dagegen noch nicht cremig genug, es wird feinjustiert.

Ein Slowfood-Huhn als Zwischensnack

Arbeitstage in der Speisemeisterei sind lange Tage. Um 10.30 Uhr geht es los, ab 12 Uhr kommen die Gäste, bis 16 Uhr ist konzentrierte Action angesagt, bis 18 Uhr heißt es Regenerieren und vor allem Putzen, Putzen, Putzen. Spitzenküche bedeutet immer auch Spitzenhygiene, es wird gewienert, dass einer schwäbischen Kehrwochenfanatikerin Tränen der Rührung kämen. Dann geht das Spiel wieder von vorne los, am Abend mit einer deutlich höheren Schlagzahl, weil die A-la-Carte-Auswahl eine größere Speisenbandbreite abverlangt. Feierabend ist nicht vor 23 Uhr.

Bevor der Abendtrubel losgeht, trommelt Oehler sein Team für einen Zwischensnack zusammen. Ein neuer Züchter hatte Porträts seiner Hühner per Mail geschickt und die Qualität in feinster Slowfood-Lyrik angepriesen. Ein Gockel wurde sozusagen als Belegexemplar gleich frei Haus mitgeliefert und von Oehler nur mit einem Hauch Salz und Pfeffer im Ofen zubereitet. Das Hühnchen muss das glücklichste der Welt gewesen sein, das Fleisch ist eine unverschämt intensive Geschmacksexplosion. Der Züchter wird sich noch am selben Tag über eine Bestellung freuen dürfen.

Zeit für eine Teepause. Die Kochprofis sind so erfolgreich, dass der Vertrag mit RTL 2 jüngst um drei Jahre verlängert wurde, genauso wie der Mietvertrag der Speisemeisterei. Man könnte sagen, es läuft bei Frank Oehler derzeit ganz gut. „Das Team muss funktionieren, auch wenn ich nicht da bin“, sagt Oehler lapidar, nippt an seinem Schälchen Tee und nickt zufrieden. Und wie passen Grüner Tee und gelber Porsche zusammen? Der gelbe Porsche sieht aus, als würde ihn die Christel von der Post zum Transport besonders eiliger Einschreiben nutzen. Oehler lächelt. Und tatsächlich, an der Seite hat Spaßvogel Oehler ein Post-Zeichen aufgeklebt.

Buddha gegen Stress

Von der Fähigkeit zur Selbstironie zum Seelenfrieden: Woher kommt das ganze Glück in Ihrem Leben, Herr Oehler? „Im Leben geht es nicht darum, etwas zu lernen, sondern sich an das Leben zu gewöhnen“, sagt Oehler. Er sei jetzt 50 geworden und dankbar für jeden neuen Tag. „Egal was passiert: Jeder Tag ist ein guter Tag. So komme ich ganz gut durchs Leben.“ Und wenn der Stress zu viel wird, verabschiedet sich Oehler für ein paar Tage in ein buddhistisches Kloster ins Allgäu. „Mehrere Tage Meditation holen dich sprichwörtlich auf den Boden zurück. Beim letzten Mal habe ich nach vier Tagen im Schneidersitz zu meinem Meister gesagt, dass ich jetzt weiß, was nach dem Schmerz kommt: Ibuprofen. Danach bin ich heimgefahren.“ Sich selbst nicht ganz so ernst nehmen und den Buddhismus gleich mit dazu – vielleicht ist das Oehlers Erfolgsrezept.

Oehlers junges Team feiert seinen Buddha-Koch. „So einen Chef wirst du nie wieder kriegen, und das sage ich nicht, weil wir heute Besuch von der Stuttgarter Zeitung haben“, sagt der 21-jährige Dennis Joza. Joza wurde von einem Gastronomiemagazin zu den drei besten Jungköchen 2014 gewählt und verfügt über einen verehrungswürdigen Gaumen. Joza und Oehler diskutieren bei der Zubereitung diverser Beilagen auf Augenhöhe, der Ton bleibt immer sachlich. Oehler hat sogar Zeit für, nun ja, witzige Witze: „Was ist ein schwäbisches Fünfgang-Menü? Ein Rostbraten mit vier Viertele.“

Langsam zieht das Tempo wieder an. Der Schreiberling wird mit zwei Backblechen voller Ofenkartoffeln ruhig gestellt. Die Schalenkartoffeln werden halbiert, mit einem großen Löffel ausgekratzt, die Kartoffelinnerei wandert in eine Spätzlespresse und muss von dort in eine Schüssel gedrückt werden. Der Teig ist die Grundlage für die Schlutzkrapfen im vegetarischen Menü am nächsten Tag. Während dieser eindrucksvollen Lektion in Demut werden an den Posten daneben Artischocken, Chips und Gurken zu einer Kaltschale: Das ist die so einfache wie wunderbare Transformation von Materie namens Kochen.

Im Service werden derweil die großen Geschütze aufgefahren. Eine Oberin bringt die Magnum-Flasche Roederer Cristal in Stellung – was man halt so trinkt an einem Montagabend, um eine neue Woche voller Mühsal einzugrooven. Oehler entlässt seinen Ein-Tages-Praktikanten nach elf Stunden mit einem Schulterklopfen und den Worten, man sei nicht allzu negativ aufgefallen. Ein größeres Lob wurde in Schwaben nie zuvor ausgesprochen, der Schreiberling wertet das als Jobangebot und bekommt obendrauf zum Abschied eine Ausgabe Zen-Sprüche von Kodo Sawaki. Mit Widmung: „Jeder Tag ist ein guter Tag“, steht auf der ersten Seite des Büchleins.

Draußen im barocken Speisesaal der Speisemeisterei herrscht derweil vornehme Stille. Der Service trägt weiße Handschuhe. Die Gäste – Geschäftsleute mit Ehefrauen, ein einsamer Reisender, zwei mittelalte Damen und zwei Liebespaare unterschiedlichen Alters – genießen und haben nicht den Hauch einer Ahnung, wie die mittlerweile zehnköpfige Maschine hinter den Kulissen läuft und läuft und läuft. Der Rest ist Stille, feine, tiefe, genussvolle Stille, punktuell unterbrochen von einem Lachen des Sommeliers hier, von einem zufriedenen Seufzer über den Gruß aus der Küche da und einem fernen Klimpern des Geschirrs dort. Komponiert von einem kochenden Buddhisten, der die innere Mitte der Küche gefunden hat.