Ob alt oder jung: Ein Schlaganfall kann alle treffen. Christian Förch, Neurologie-Chef in Ludwigsburg, spricht über ein manchmal verkanntes Thema – und darüber, warum sich im Kreis Ludwigsburg jetzt eine Selbsthilfegruppe gründet.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ein Schlaganfall kann jeden treffen – auch junge Leute. Im Interview erzählt Christian Förch, seit Juni Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie in Ludwigsburg, warum die Probleme der Patienten oft nach der Reha erst richtig beginnen, weshalb sich jetzt eine neue Selbsthilfegruppe im Kreis gründet und wie für ihn die Schlaganfall-Versorgung der Zukunft aussieht.

 

Herr Förch, wird die Gefahr, einen Schlaganfall zu erleiden, unterschätzt?

Ältere Menschen haben das Risiko durchaus auf dem Radar. Es ist ja bekannt, dass die Gefahr mit dem Lebensalter zunimmt, und die Hausärzte machen eine entsprechende Vorsorgediagnostik: Sie untersuchen den Blutdruck, den Blutzucker und die Cholesterinwerte und machen EKGs, um zu schauen, ob die Patienten Vorhofflimmern haben. Es gilt bei den älteren Menschen, die Gefahr zu erkennen, sie prophylaktisch anzugehen und die Risikofaktoren einzustellen.

Haben die jüngeren Menschen die Gefahr ebenso auf dem Schirm?

Nein, bei ihnen ist das Thema leider deutlich weniger präsent, obwohl auch bei ihnen Schlaganfälle auftreten können, selbst wenn das Risiko geringer ist. Wir haben im Jahresverlauf immer wieder jüngere Patienten mit teils schweren Lähmungen oder Sprachstörungen. Ursache für Schlaganfälle in jüngerem Alter sind weniger die Arteriosklerose oder das Vorhofflimmern, sondern zum Beispiel Verletzungen der Gefäßinnenwand, die etwa nach Unfällen auftreten können. An diesen inneren Verletzungen der Arterienwand können sich Embolien bilden, die nach oben schießen und Schlaganfälle verursachen können. Genauso wie bei jüngeren Menschen mit einem Foramen ovale, einem „Loch im Herzen“ auf Vorhofebene, auch einmal ein Thrombus durchrutschen, im Gehirn landen und einen Schlaganfall auslösen kann. Bei jüngeren Menschen ist es deshalb ebenso wichtig, schnell zu handeln, wenn akute Schlaganfall-Symptome auftreten.

Heißt das, als jüngerer Mensch kann man weniger vorbeugen, aber das Umfeld muss umso achtsamer sein, um im Notfall schnell zu reagieren?

Genau. Es geht vor allem darum, neurologische Ausfälle als Schlaganfallsymptome wahrzunehmen. Wenn zum Beispiel ein jüngerer Mensch nicht sprechen kann oder plötzlich Lähmungserscheinungen hat, was man gerne auch mal für Migränesymptome hält, muss man schnell handeln. Auch jüngeren Menschen können wir mit unseren Therapien, also mit einer Gerinnsel auflösenden Therapie oder einem Kathetereingriff, immer nur in den ersten Stunden effektiv helfen, in denen noch Hirngewebe zu retten ist.

Ist eine Schlaganfall-Aufklärung also gesamtgesellschaftlich wichtig?

Auf jeden Fall. Deshalb haben wir zum Weltschlaganfalltag eine Aktion in den sozialen Medien gestartet, in der wir den Schlaganfall auch für ein jüngeres Publikum zum Thema gemacht haben. Etwa mit einem kleinen Quiz, aber auch, indem wir typische Schlaganfallsymptome dargestellt und erklärt haben, wie man sich richtig verhält und was zu tun ist, bis die Rettungskräfte kommen. Aber auch, was man lassen sollte. Auf diesem Weg versuchen wir, Lücken zu schließen und gerade junge Leute zu sensibilisieren.

Inwieweit kann man sein persönliches Schlaganfall-Risiko verringern?

Den größten Risikofaktor Alter kann man natürlich nicht mindern. Aber die üblichen Gefäß-Risikofaktoren wie Blutdruck, Blutzucker, Cholesterin und das Körpergewicht im Blick zu behalten und an gesunde Ernährung, hinreichend Bewegung und Nikotinverzicht zu denken: Das sind die Schlüsselfaktoren, wenn man Primärprophylaxe betreiben möchte. Und die ist dringend angeraten. Abhängig von den Befunden wird man mit Ultraschall beobachten, ob sich Engstellen an den Halsschlagadern ausbilden, und dann entsprechend die Risikofaktoren und die Medikamente adjustieren. Genauso wie man versuchen muss, Patienten mit Herzrhythmusstörungen zu identifizieren, die Embolien auslösen können. Grundsätzlich sollten hoher Blutdruck und Herzrhythmusstörungen nie ignoriert werden.

Warum kommt der Impuls, eine Selbsthilfegruppe zu gründen, gerade jetzt?

Ich bin, nachdem ich hier als Chefarzt begonnen habe, auch Regionalbeauftragter der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe geworden. Die Selbsthilfe zu unterstützen, ist Teil dessen, was ich in meinen Funktionen konzeptionell zur Stärkung der Versorgung von Schlaganfallpatienten in der Region beitragen will. Schlaganfallversorgung besteht ja aus mehreren Komponenten. Man muss dafür sorgen, dass die Patienten so schnell wie möglich in die Klinik kommen. Dort hat man mit der Thrombolyse und der Thrombektomie hervorragende Therapieverfahren, durch die ein Teil der Patienten eine deutliche Verbesserung der Symptome zeigt und durch die sich die Gefahr von Pflegebedürftigkeit und Behinderung reduziert. Aber das gelingt nicht bei allen Schlaganfallpatienten. Manche behalten neurologische Ausfälle zurück und kommen mit diesen in die Reha. Danach werden sie nach Hause ins familiäre und berufliche Umfeld entlassen. Und dann beginnen für die meisten Patienten erst die wirklichen Probleme.

Worin bestehen sie?

Beruf und Freizeitaktivitäten können oft nicht mehr in gewohntem Maße wahrgenommen werden, Reisen fallen aus, es entwickeln sich Depressionen oder Anpassungsstörungen: Es ist eine ganz große Problemzone, die man nur über eine starke Selbsthilfe und über eine enge Vernetzung von Selbsthilfe, Hausärzten, niedergelassenen Neurologen und den Schlaganfall-Experten in der Klinik gut abfedern kann. Deswegen ist es wichtig, dass Kliniken sich nicht nur auf die ersten zwei, drei Tage der Akut-Therapie fokussieren, sondern eine integrative Versorgung anstreben, die den Patienten auch nach der Entlassung Hilfe und eine Anlaufstelle bieten. Das ist die Zukunft: Dass man die Fälle ganzheitlich betrachtet, vom Beginn der Symptome bis nach der Rückkehr des Patienten in sein gewohntes Umfeld.

Aber wie kann den Patienten da konkret geholfen werden?

Es gibt moderne Versorgungskonzepte, etwa ein Modellprojekt mit Stroke-Lotsen in Niedersachsen. Das sind speziell ausgebildete Personen aus dem Pflegebereich, die sich der Patienten poststationär annehmen, sie ein Jahr lang nach ihrem Schlaganfall begleiten und professionelle Unterstützung leisten. Bei der weiteren Diagnostik, der Planung der Therapien oder der Reha, bei der Wiedereingliederung, bei der Kommunikation mit den Kostenträgern, und und und. Diese Stroke-Lotsen kümmern sich um all die Probleme, die die Schlaganfallpatienten im Alltag haben. Solche integrativen Versorgungskonzepte, die politisch ja auch gewollt sind, wären gerade in einem Landkreis und einem Klinikum wie Ludwigsburg, wo wir viele Schlaganfallpatienten im Jahr behandeln, absolut wünschenswert. Wir haben bislang zwar noch kein Modellprojekt wie in Niedersachsen etabliert, aber ich werde mich mit aller Kraft für eine solche Schnittstellen übergreifende Versorgung einsetzen. Und dafür ist eine starke Selbsthilfe, die von einem Expertenteam der Klinik unterstützt wird, wichtig. Deshalb ist am Donnerstag auch mein ganzes Team dabei, zum Beispiel mit Vorträgen über Mobilisation, Ergotherapie oder Logopädie.

Sind sozial schwache Menschen oder solche mit Migrationshintergrund bei Selbsthilfegruppen weniger vertreten, weil es für sie schwieriger ist, sich Hilfe zu holen, oder Krankheit in mancher Kultur als Schwäche oder Schmach gilt?

Das ist ein absolut wichtiger Punkt: Selbsthilfe muss sich so aufstellen, dass sie Anlaufpunkt für Menschen mit verschiedensten Hintergründen sein kann. Sie darf sich nicht zum Selbstzweck abschotten, sondern muss offen sein und sich um alle gesellschaftlichen Gruppen kümmern, aus denen sich die Schlaganfallpatienten und ihre Angehörigen rekrutieren.

Schlaganfall im Fokus

Große Expertise
Professor Christian Förch wurde 1973 in Neckarsulm geboren, studierte Humanmedizin in Heidelberg und absolvierte seine neurologische Facharztausbildung am Uniklinikum Frankfurt. Am Massachusetts General Hospital in Boston/USA legte er einen Forschungsaufenthalt ein. Seit 1. Juni 2022 ist Förch Chefarzt der Klinik für Neurologie im Klinikum Ludwigsburg. Seine klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte sind Schlaganfall, neurologische Intensivmedizin und Multiple Sklerose. Förch ist Preisträger des Schlaganfall- und Neurointensiv-Preises der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

Viele Betroffene
Das Problem betrifft viele: Am Ludwigsburger Klinikum der Regionalen Kliniken Holding (RKH) werden rund 1700 Schlaganfall-Patienten pro Jahr behandelt.

Mögliche Symptome
Auf einen Schlaganfall können einseitige Lähmungserscheinungen, Sprach- und Schluckstörungen, Schwindel, plötzliche Sehstörungen oder Koordinationsschwierigkeiten hindeuten.

Richtige Reaktionen
Die RKH-Fachleute empfehlen: Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte bei der betroffenen Person bleiben. Den Zeitpunkt, an dem die Symptome begannen, notieren und durchgeben. Den Patienten beruhigen und seine Kleidung lockern. Bei Bewusstsein der Person den Oberkörper etwas hochlagern, bei Bewusstlosigkeit in die stabile Seitenlage bringen. Atmung und Puls überwachen und notfalls Wiederbelebungsmaßnahmen vornehmen.

Falsches Verhalten
Das Klinikum rät: Bei auftretenden Schlaganfall-Symptomen nicht auf eine mögliche Besserung warten, sondern sofort den Notruf wählen. Der betroffenen Person keine Medikamente, Nahrung oder Getränke geben – wegen möglicher Schluckstörungen besteht Erstickungsgefahr. Die Person nicht selbst ins Krankenhaus zu transportieren versuchen.