Seit sechs Jahren gibt es in Bietigheim-Bissingen eine Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige im Landkreis Ludwigsburg. Die Betroffenen berichten von Verlockungen, Fernsehwerbung – und warum ein Spielautomat auch ein Ventil ist.

Bietigheim-Bissingen - Es fängt meist mit einem Erfolgserlebnis an. So wird man reingelockt“, erzählt Hans-Joachim Petri. Er spricht über die Anfänge einer Spielsucht, wie sie sich etwa in Spielhallen äußert. Der Markgröninger weiß, wovon er spricht. Er hat vor sechs Jahren die nach seinem Kenntnisstand bis heute einzige Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige im Landkreis aufgebaut. Jeden Freitag um 18 Uhr treffen sich dazu 15 bis 18 Männer und Frauen am Japangarten in Bietigheim bei der Psychosozialen Beratungs- und ambulanten Behandlungsstelle für Suchtgefährdete und Suchtkranke vom Kreisdiakonieverband Ludwigsburg.

 

Petri selbst ist seit 2010 „spielfrei“, wie man Spielsüchtige nennt, die nicht mehr spielen. Gemeinsam mit seinem Stellvertreter Andreas Leide ist er das Gesicht der ansonsten anonymen Gruppe. „Als Spielsüchtiger ist man immer ein Experte“, sagt Petri und meint die Probleme, Sorgen und Ausflüchte anderer Spielsüchtiger. „Die Selbsthilfegruppe bietet ein Level an persönlicher Anteilnahme und Unterstützung, das wir als Therapeuten gar nicht liefern können“, erklärt Suchttherapeut Matthias Liegl, der in der Einrichtung in Bietigheim arbeitet. Etwa fünf Prozent aller Fälle, die in die Einrichtung kommen, haben mit Spielsucht zu. Also 30 bis 40 Menschen pro Jahr suchen wegen Problemen auf diesem Gebiet die Beratung auf. In die Selbsthilfegruppe könne man aber auch direkt kommen.

World of Warcraft ist kein Glücksspiel

„Durch das Internet und die ständige unbewachte Möglichkeit zu spielen ist das Problem in den vergangenen Jahren noch größer geworden“, erläutert Liegl. Wichtig sei ihm aber auch, abzugrenzen. „Immer wieder bekommen wir auch Anrufe besorgter Eltern, deren Sohn etwa ständig World of Warcraft im Internet spiele. Das ist aber nicht die Spielsucht, die wir meinen“, sagt Liegl. Von Glücksspielen spricht man laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, wenn für die Möglichkeit einer Gewinnchance ein Einsatzgeld verlangt wird und der Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Verlieren bedeutet auch immer, dass man Geld verliert.

Wie groß das gesellschaftliche Problem wirklich ist, zeigen Zahlen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, ein Zusammenschluss der in der Suchthilfe und Suchtprävention tätigen Verbände: Danach setzte der Glücksspiel-Markt 2017 mehr als 46 Milliarden Euro in Deutschland um. Dabei sind etwa Spielbanken (6,7 Milliarden Euro), Automaten (etwa 31 Milliarden Euro) und der Toto- und Lotto-Block (sieben Milliarden Euro) erfasst. Laut Liegl gibt es deutschlandweit 180 000 krankhafte Spieler und 330 000 Menschen mit problematischem Spielverhalten. Zahlen zum Landkreis liegen nicht vor, aber man gehe von einem Bevölkerungsanteil von 0,9 Prozent aus. Das hieße für den Landkreis, dass fast 5000 Menschen mit Spielsucht direkt zu kämpfen haben. „Außerdem geht man davon aus, dass pro Spielsüchtigem zehn bis zwölf weitere Menschen in dessen Umfeld davon betroffen sind“, sagt Liegl.

Ein Spielsüchtiger hat im Schnitt bis zu 50 000 Euro Schulden

Familie und Freunde ahnten oftmals zunächst gar nichts von dem Suchtproblem. „Spieler sind Weltmeister im Lügen“, erklärt Petri. Schließlich müsse man das Spielen verheimlichen, also Ausreden für Zeit und Geldaufwand ausdenken, damit es nicht auffliegt. Genau das sei eine der Stärken der Selbsthilfegruppe. Weil jeder dort schon einmal in der Situation gewesen sei, kenne man alle Ausflüchte. Dass die Spielsucht dabei ein bestimmtes Geschlecht oder Milieu stärker treffe, stimmt nur zum Teil, erklären die drei Experten. „Wir haben vom Schichtarbeiter bis zum Ingenieur alle Klassen dabei“, sagt Leide. Mittlerweile nehme auch die Zahl der weiblichen Spielsüchtigen zu. Viele Spieler verspielten ihr komplettes Gehalt und machten hohe Schulden. Bis zu 50 000 Euro Schulden habe ein Spielsüchtiger durchschnittlich, fügt Liegl an.

Durch ein anfängliches Erfolgserlebnis gerate man hinein in die Sucht, Auslöser seien aber immer tiefer gehende Probleme. „Das ist das verlockende an Spielhallen etwa. Da kann ich komplett abschalten, meist sind dort ja auch die Scheiben verdunkelt. Da kann ich meine Probleme verdrängen. Der harte Schlag kommt dann immer wieder, wenn ich rausgehe und mich der Probleme wieder bewusst werde“, erklärt Petri. Bei ihren Treffen erzählen sich Teilnehmer der Selbsthilfegruppe immer, wie die Woche gelaufen ist und was sie beschäftige. „Wenn ich da ein Ventil habe, über meine Sorgen zu reden, muss ich nicht den Spielautomaten dazu nutzen“, sagt Petri.

Der Gesetzgeber ist gefordert

Werbung
Hans-Joachim Petri und Andreas Leide von der Selbsthilfegruppe Glücksspiel fordern, dass der Gesetzgeber härter gegen das Glücksspiel vorgeht. „Es kann nicht sein, dass sich berühmte Fußballer dafür hergeben, für Sportwetten zu werben“, sagt Leide. Grundsätzlich sei vor allem das Thema Wetten viel zu präsent. „Ich kann kein Fußballspiel angucken, ohne Werbung für Sportwetten zu sehen“, klagt auch der Therapeut Matthias Liegl. Neben strengeren Regulierungen in Bezug auf die Werbung seien auch strengere Kontrollen in den Spielhallen nötig.

Kontrollen
Die Spielhallen müssten stärker reguliert werden, sagt Hans-Joachim. Ähnlich wie in Spielbanken sollte es einheitliche und landesweit gültige Listen von Spielsüchtigen geben, denen der Zugang verwehrt wird. Leide nennt das Nachbarland Belgien als Vorbild. Dort seien alle Spielautomaten mit dem Internet verbunden. Dort dürfe man nur mit einer persönlichen Bankkarte spielen. Außerdem gebe es ein Tageslimit, das Spieler an den Automaten nicht überschreiten dürfen.

Hilfsangebote
Zum sechsjährigen Bestehen der Selbsthilfegruppe in Bietigheim-Bissingen wird am kommenden Donnerstag, 7. November, ein Infoabend veranstaltet. Dabei werden die verschiedenen Hilfsangebote vorgestellt. Zeit und Ort: 18.30 Uhr, Am Japangarten 6 in Bietigheim-Bissingen.