Nach dem Tod eines 27-Jährigen aus Neuenburg hat die Polizei erste Ermittlungergebnisse bekannt gegeben: das Opfer wurde von Vater und Bruder der vergewaltigten Frau in eine Falle gelockt. Der Mann erlitt 23 Messerstiche, einige davon waren tödlich.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Neuenburg - Die Gewalttat auf dem Pendlerparkplatz bei Neuenburg (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald), bei dem am Mittwochabend ein 27-Jähriger zu Tode kam, war nach Ansicht der Freiburger Staatsanwaltschaft „gemeinschaftlich begangener Mord“. Der Leitende Oberstaatsanwalt Dieter Inhofer gab zusammen mit der Freiburger Kriminalpolizei am Freitag erste Einzelheiten preis, wie sich das Tatgeschehen am Vorabend von Fronleichnam, etwa um 18.30 Uhr unmittelbar an der französischen Grenze, zwischen Bundesstraße 378 und Eisenbahnlinie, auf dem Parkplatz abgespielt haben kann.

 

Dem Mord vorausgegangen war eine Vergewaltigung. Der am Mittwochabend getötete Mann soll eine Woche zuvor, am 12. Juni, eine 26 Jahre alte Frau brutal missbraucht haben. Die deutsche Staatsangehörige libanesischer Abstammung hat den Vergewaltiger am nächsten Tag bei der Polizei angezeigt, sie kannte ihn aus der gemeinsamen Schulzeit. Die Staatsanwaltschaft Freiburg erließ Haftbefehl. Sie ist auch davon überzeugt, dass die Tat so stattfand, wie sie die Frau angezeigt hat.

Doch der seit Januar dieses Jahres wohnsitzlose deutsche Staatsbürger ohne Migrationshintergrund war untergetaucht, zuvor war er in Neuenburg gemeldet. Er ist Polizei und Justiz wegen mehrerer Eigentumsdelikte bekannt. Das letzte Verfahren resultiert aus dem Herbst 2013, er stand noch unter Bewährungsauflagen aus einem zurückliegenden Verfahren. Zuletzt soll er sich in Frankreich aufgehalten haben. Der 17-jährige Bruder der vergewaltigten Frau soll über die Tat außerordentlich aufgebracht gewesen sein, berichtete Staatsanwalt Inhofer. „Er war in großer Wut“, andere Familienmitglieder hätten ihn vergeblich zu beschwichtigen versucht.

Das Opfer ist offenbar bewusst zum Parkplatz gelockt worden

Über einen gemeinsamen Bekannten soll der Bruder der Vergewaltigten das Treffen mit dem mutmaßlichen Täter arrangiert haben, nachdem dieser bei dem Bekannten eine Bestellung für Haschisch aufgegeben hatte. Die Anbahnung des Geschäftes geschah offenbar über soziale Medien, Facebook oder WhatsApp. Das spätere Opfer wurde demnach bewusst und mit dem Vorsatz, die Vergewaltigung zu rächen, auf den Pendlerparkplatz nahe der französischen Grenze gelockt.

Der 27-Jährige soll arglos mit dem Fahrrad zu dem Parkplatz gekommen sein, um das Rauschmittel abzuholen. Dort wurde er von dem 17-jährigen Bruder und dem 48-jährigen Vater seines Vergewaltigungsopfers sowie einem 21 Jahre alten Bekannten der Familie erwartet. Ein weiterer, 18 Jahre alter Bekannter der Familie war wohl ebenfalls in der Nähe des Tatorts, ihm könne aber kein Tatbeitrag zugeordnet werden. Deshalb wurde er im Gegensatz zu Vater und Sohn und dem 21-jährigen Freund nicht in Untersuchungshaft genommen.

Die Obduktion ergab, dass 23 Stiche zum Tod geführt haben

Der 17-Jährige hat bei den Vernehmungen gestanden, mit dem Messer auf den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Schwester eingestochen zu haben. Die Tatwaffe ist bisher nicht gefunden worden. Die Obduktion ergab 23 Stiche, die lebenswichtige Organe getroffen und zum Tod des 27-Jährigen geführt haben. Danach flohen die Täter. Mitglieder einer französischen Reisegruppe verständigten Polizei und Rettungsdienste – weil sie im französischen Mobilfunknetz waren, kamen deshalb zuerst die französischen Retter an, doch ihre Versuche, den Attackierten zu reanimierten, hatten keinen Erfolg.

Die deutsche Polizei wurde ihrerseits von der Familie des 21-jährigen Bekannten der libanesischen Familie angerufen. Ihr Sohn hatte zu Hause von dem furchtbaren Geschehen auf dem Parkplatz berichtet und sei völlig verstört gewesen. Er wurde als Erster festgenommen, danach Vater und Bruder der Vergewaltigten. Beide sind in Haft und werden weiter vernommen, es soll erhebliche Diskrepanzen in den Aussagen geben. Die Polizei hofft auf weitere Zeugenaussagen, auch von Passagieren eines Zuges, der exakt zur Tatzeit vom elsässischen Mühlhausen Richtung Neuenburg am Tatort vorbeifuhr.

Die verdeckte Ermittlung der Polizei wirft Fragen auf

In der Region ist unterdessen die Frage aufgetaucht, warum die Polizei die Fahndung nach dem mutmaßlichen Vergewaltiger seit dem 13. Juni nicht öffentlich gemacht, sondern nach eigenen Angaben verdeckt ermittelt hat. „Das liegt auch im Interesse des Opferschutzes“, sagte der Kriminaloberrat Michael Granzow. Unbeantwortet bleibt die Frage, warum Telekommunikation und Internetmedien des Flüchtigen nicht überwacht wurden, obwohl dies bei einer schweren Vergewaltigung rechtlich möglich wäre. So hätte die Polizei über die  Anbahnung des Rauschgiftgeschäftes Kenntnis erlangen können. Die Art und Weise und die Mittel der Fahndung würden von Fall zu Fall sorgfältig abgewogen, betonte Granzow, Einzelheiten darüber werde man nicht preisgeben.