Die Nebenabsprachen mit der CDU seien ein Fehler gewesen, sagt der Ministerpräsident. Es bleibt offen, ob er die Sache an sich meint – oder nur, dass sie öffentlich wurden.

Stuttgart - Der Nachsommer klebt noch auf der Haut, auch der Ministerpräsident zeigt bei der Kleiderwahl den „mittleren Weg“ einer den klimatischen Bedingungen Rechnung tragenden, jedoch noch amtsangemessenen Gesittung. Er trägt bei seinem ersten Auftritt vor der Landespresse nach den Ferien ein den Schlips entbehrendes, kurzärmeliges Hemd, das in einem reinen, unschuldigen Weiß gehalten ist. Am Freitag war Winfried Kretschmann aus Griechenland zurückgekehrt, Sonne im Herzen, Homer im Sinn, und eine Prise Sand in den Schuhen.

 

Vergangenen Sommer hingegen war der Regierungschef tapfer schwitzend durchs Land gewandert, der Vorwahlkampf forderte seinen Tribut. Diesmal verhielt es sich anders, Kretschmann ließ nicht viel von sich sehen und hören. Kann ja auch mal ganz gut so sein. Eine Woche Schottland bei der Tochter, eine Woche Hellas, dazwischen ein Interview und ein ganz zufällig bekannt gewordenes Abendessen mit der Kanzlerin. Dazwischen viel langes Nachdenken. Das ist wichtig im dem Nachdenken wenig förderlichen Politikbetrieb. Vor Jahren allerdings wäre Kretschmanns seinerzeitiger Stellvertreter Nils Schmid von der SPD noch fast gevierteilt worden, als bekannt wurde, dass er fünf Wochen am Stück im Urlaub in der Türkei viel und lange nachdachte.

Kretschmann entrückt

Kretschmann erscheint solchen kleinlichen Invektiven längst entrückt. Und doch wirkt er, der mit zunehmender Amtszeit vermehrt ungehalten auf Kritik reagiert, in der Pressekonferenz ungewohnt kleinlaut. Die trotz der Sommerpause deutlich vernehmliche und anhaltende Kritik an den Nebenabsprachen mit der CDU hinterließ doch ihre Spuren. Mag sein weißes Hemd hinsichtlich seines Waschmaschinenstatus auch porentief rein sein, in der Vorstellung seiner Umwelt bilden sich doch imaginäre Flecken darauf ab.

In mehreren Wellen waren in den vergangenen Wochen detaillierte Absprachen zwischen Grünen und CDU bekannt geworden, von denen in dem mit großem Brimborium vorgestellten und auf Parteitagen beschlossenen Koalitionsvertrag nichts zu lesen gewesen war. Den Höhepunkt bildete eine denkwürdige Aufstellung, auf der sich Grüne und CDU das Vorschlagsrecht für einflussreiche Positionen vom Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs bis zu den Geschäftsführerposten beim Flughafen Stuttgart oder der Landesmesse auf den Fildern aufteilten.

Ungute Nebenwirkungen

Im Juli hatte Kretschmann die Geheimabsprachen noch offensiv verteidigt: „Schreiben Sie: Auch Kretschmann mauschelt“, diktierte er der Journaille in die bereitwillig gezückten Blöcke. In der Politik müsse man eben auch mal dealen und Absprachen „hinter den Kulissen“ treffen. Doch jetzt lässt sich der Regierungschef anders vernehmen. Er habe viele Reaktionen wahrgenommen und selbst darüber nachgedacht. Kretschmann spricht von „unguten Nebenwirkungen“, wobei nicht ganz klar wird, ob er damit die Nebenabsprachen meint oder allein die Tatsache, dass diese nicht geheim blieben. Jedenfalls schätzt er die Angelegenheit als „nicht vertrauensfördernd“ ein – und fügt hinzu: „Ex post würde ich es so nicht mehr machen, sondern eine andere Form wählen, zumal man damit rechnen muss, dass die Dinge in die Öffentlichkeit gehen“. Er ringt sich sogar zu dem Eingeständnis durch, dass ein „erheblicher Vertrauensschaden verursacht“ worden sei, auch wenn da nicht „irgendwelche unkorrekten Dinge“ ausgemauschelt worden seien. Und dann sinniert der Ministerpräsident nicht ohne Kümmernis, dass eine Politik ohne Deals und Geheimabsprachen das Regierungshandeln doch erheblich erschwere.