In ihrem Buch versucht Eva Herman, mit ihren Gegnern abzurechnen. Sie stilisiert sich zum Opfer einer Gesellschaft, die Andersdenkende ausgrenzt.

Stuttgart - Eva Herman hat ein Buch geschrieben. Nein, beteuert sie im Vorwort, dieses Buch sei kein Racheakt. Wer ihre Geschichte kennt, mag das kaum glauben. Es ist jetzt zweieinhalb Jahre her, dass die ehemalige "Tagesschau"-Sprecherin ihren Job und damit auch ihre gesellschaftliche Stellung verlor. Am Anfang stand ein Satz, der, so befand ein Gericht, falsch zitiert wurde. Es ging um die Frage nach Hermans Verhältnis zum Nationalsozialismus. Das "Hamburger Abendblatt" hatte im September 2007 bei einer Pressekonferenz zu ihrem Buch "Das Arche-Noah-Prinzip" die Behauptung herausgehört, dass nicht alles schlecht gewesen sei im Dritten Reich. "Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter."

Herman dementierte, das je so gesagt zu haben und zog vor Gericht. Mit Erfolg. Das Zitat sei "eine sinnentstellende Zusammenfassung", befand das Oberlandesgericht Köln. Am 27. Juli 2009 gewann sie den Berufungsprozess gegen die Axel Springer AG. Vor dem Gesetz ist sie seither rehabilitiert. Doch Herman reichte das nicht. Sie wollte zurück auf den Bildschirm. In einem quälend langen Prozess versuchte sie, sich beim NDR wieder einzuklagen. Erfolglos.

So weit der Hintergrund. Man muss ihn skizzieren, um ihr neues Buch einzuordnen. Es heißt "Die Wahrheit und ihr Preis - Meinung, Macht und Medien" und ist eine Abrechnung mit ihren Gegnern. Auf 288 Seiten stilisiert sie sich zum Opfer einer Gesellschaft, die Andersdenkende ausgrenzt. Die bekannte "Tagesschau"-Sprecherin: ein Opfer böswilliger Journalisten?

Herman hatte sich rhetorisch vergallopoert


Als sich Eva Herman in der besagten Pressekonferenz im September 2007 rhetorisch vergaloppiert, ist sie seit zwanzig Jahren als TV-Moderatorin im Geschäft. Sie weiß, wie man ein Thema lanciert: erst eine provokante These in die Welt setzen, dann auf das Echo antworten. Hätte sie es sonst zur Bestsellerautorin gebracht?

Eine Karrierefrau, die ein Loblied auf die Vollzeitmutter und bekennende Nur-Hausfrau singt. Dass sie selber das Gegenteil von dem vorlebte, was sie predigte, machte sie nicht gerade glaubwürdig. Doch sie glaubte, ein Thema gefunden zu haben, mit dem sie sich in der gesellschaftlichen Debatte profilieren konnte. Ein Missverständnis, wie sich zeigen sollte. Mit ihrem Plädoyer für die Rückkehr zu einem vorsintflutlichen Mutterbild eckte sie fast überall an. Vielleicht lag es weniger an ihrer Ansicht als an dem staatstragenden "Tagesschau"-Tonfall, in dem sie diese vortrug. Dass sie sich damit doppelt angreifbar machte, ist ihr offenbar noch immer nicht bewusst. Nach Anhaltspunkten für die Erkenntnis, dass sie ihren Absturz auch selber zu verantworten hat, sucht man in ihrem Buch jedenfalls vergeblich.

So hält sie es auch heute noch für eine "brillante Idee", am 9. Oktober 2007 der Einladung in die Talkshow ihres Kollegen Johannes B. Kerner gefolgt zu sein. Was machte sie damals so zuversichtlich? In der Zwischenzeit war sie auf eine Aufzeichnung mit ihren Äußerungen bei der Pressekonferenz im September 2007 gestoßen, die zu ihrer Entlassung beim NDR geführt hatten: "Wir müssen vor allem das Bild der Mutter auch in Deutschland wieder wertschätzen lernen, das ja leider mit dem Nationalsozialismus und der darauffolgenden 68er-Bewegung abgeschafft wurde. Mit den 68ern wurde damals praktisch alles, das alles, was wir an Werten hatten ... Es war eine grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volks ins Verderben geführt hat. Das wissen wir alle. Aber es ist damals eben das, was gut war, und das sind Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt - das wurde abgeschafft." Herman schreibt, dieses Originalzitat sei ihre Chance gewesen, sich zu rehabilitieren. "Endlich kann ich den furchtbaren Irrtum aufklären." Selten ist jemand optimistischer seiner eigenen öffentlichen Demontage entgegengegangen. Nicht ohne Genugtuung konstatiert sie, dass ihr nach dem Rauswurf bei Kerner eine Welle der Solidarität entgegengeschwappt sei. Tausende bombardierten den ZDF-Fernsehrat mit wütenden Beschwerden.

Der Leser ihres neuen Buchs weiß nicht so recht, worüber er sich mehr wundern soll: über ihre Naivität oder die Chuzpe, sich nachträglich zur tragischen Heldin zu stilisieren. Es ist, als werde man noch einmal Zeuge eines Grusicals: die verlorene Ehre der Eva H.

Hermans Fall kein Lehrstück für die Mediengesellschaft


"Ins Abseits gelabert", so betitelte damals die "Süddeutsche Zeitung" Hermans Bericht über diesen denkwürdigen Auftritt. Den Autor, Hans Leyendecker, stellt sie jetzt als zweiten Vorsitzenden des investigativen Netzwerks Recherche stellvertretend für alle anderen Kritiker an den Pranger. Mehrfach habe sie der "Redaktionschef der Süddeutschen Zeitung" "in seinem täglich erscheinenden Bayernblatt" beleidigt, behauptet Herman. Sie stelle sich die Frage, "ob in jenem großen journalistischen Netzwerkgeflecht die abweichende Einzelmeinung eines Journalisten überhaupt eine Chance hätte". Spätestens hier offenbart sich die größte Schwachstelle des Buches: Herman versucht, ihren Fall zum Lehrstück über die Mediengesellschaft umzumünzen. Und das geht schief.

Leyendecker ist nicht Chefredakteur der SZ, er hat auch nur ein einziges Mal über den Fall berichtet - nach dem Skandalauftritt bei Kerner. Auch war der leitende politische Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" fair genug, die wirren Erklärungen der Moderatorin in voller Länge abzudrucken, mit dem Hinweis, dass Herman vor sich selbst in Schutz genommen werden müsse, weil sie "beim Denken leicht oszilliert". So ist das mit der Wahrheit. Sie kann schrecklich banal sein.

Eva Herman: Die Wahrheit und ihr Preis - Meinung, Macht und Medien, Kopp-Verlag, 288 Seiten, 19,95 Euro.