Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht im Bundestag über seine Vision der Ukraine nach dem Ende des Krieges. Die Wagenknecht-Partei und große Teile der AfD bleiben der Rede fern.

Berlin: Tobias Heimbach (toh)

Sie betreten den Plenarsaal des Bundestags gemeinsam. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gehen nebeneinander zur Mitte des Saals, wo sie Platz nehmen. Deutschland und die Ukraine, Seite an Seite, das ist das Signal, das von diesem Tag ausgehen soll.

 

Selenskyj ist eingeladen, im Bundestag zu sprechen, nicht zum ersten Mal. Schon drei Wochen nach Russlands Überfall auf die Ukraine redete er im Bundestag, damals per Video zugeschaltet. Seine Kernbotschaft damals: „Bitte helfen Sie uns.“ Diesmal war der Fokus seiner Rede ein anderer. Selenskyj sprach von seiner Vision für sein Land nach einem möglichen Ende des Krieges. Dabei betonte er, dass die Ukraine Teil der EU werden solle. „Europa wird ein glückliches Haus für unsere Kinder und unsere Kindeskinder sein“, so Selenskyj.

Der ukrainische Präsident sagte, dass sich sein Land den Frieden wünsche. Allerdings stellte er klar: „Wir werden diesen Krieg zu unseren Bedingungen beenden.“ Russland müsse die volle Verantwortung für die Aggression tragen und auch Zahlungen leisten für die Schäden, die durch den Krieg entstanden seien.

Um den Wiederaufbau des Landes ging es auch bei der Konferenz, zu der die Bundesregierung in diesen Tagen eingeladen hat und die auch Selenskyj besuchte. Kanzler Olaf Scholz (SPD) eröffnete sie am Morgen und fand dabei anerkennende Worte für das angegriffene Land. Er lobte die Widerstandskraft der Ukrainer im Krieg, versprach langfristige Hilfen und bekräftigte, dass die Ukraine der EU beitreten solle. Scholz sagte: „Russland wird nicht durchkommen mit seinem imperialistischen Krieg.“

Doch der Wiederaufbau der Ukraine wird eine Herausforderung. Nicht nur, weil immer noch täglich Bomben und Raketen auf Kraftwerke und Wohnhäuser niedergehen, sondern auch weil ein normales Wirtschaftsleben unter Kriegsbedingungen kaum möglich ist: Viele Männer sind an der Front, die Energieversorgung bricht immer wieder zusammen. Auf der Konferenz sollen Lösungen gefunden werden, wie man Infrastruktur wiederherstellen und den Fachkräftemangel bekämpfen kann.

Schätzungen gehen davon aus, dass der Wiederaufbau mehr als 450 Milliarden Euro kosten könnte. Scholz forderte deswegen auch, dass mehr privates Kapital in die Ukraine fließen soll. Der Kanzler machte auch deutlich, dass dieser Wiederaufbau Schutz vor weiteren Luftangriffen braucht, also weitere Waffen zur Luftverteidigung. „Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss“, sagte er.

Auch bei Selenskyjs Rede im Bundestag war Scholz anwesend und applaudierte immer wieder. Etwa als der ukrainische Präsident Parallelen zwischen dem Schicksal seines Landes und der Zeit der deutschen Teilung vor 1989 zog. Diese Zeit sei für Deutschland schmerzhaft gewesen. Die Ukraine wolle dieses Schicksal nicht teilen. „Sie können verstehen, warum wir so gegen die Versuche Russlands kämpfen, uns zu teilen und die Ukraine zu teilen“, rief Selenskyj.

Immer wieder klatschten die Abgeordneten des Bundestages, der an diesem Tag voll war wie selten. Allerdings gab es auch leere Plätze. Von der AfD kamen lediglich vier Abgeordnete, die Vertreter des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erschienen gar nicht. Angeblich, weil Selenskyj „auf eine offene Eskalation des Krieges“ setze.

Dagegen betonte Selenskyj mit Blick auf die Friedenskonferenz in der Schweiz am kommenden Wochenende: „Wir wollen der Diplomatie eine Chance geben und haben etwa 100 Staaten versammelt. Die Ukraine hat niemals nur auf die Stärke der Waffen gesetzt.“

Mit Blick auf die Zeit nach einem Ende des Krieges forderte Selenskyj Sicherheitsgarantien für sein Land. Diese könnten nur darin liegen, dass die Ukraine künftig vollwertiges Mitglied der EU wird.

Selenskyj schloss die Rede mit dem Ruf „Slava Ukraini“, „Ruhm der Ukraine“. Die Abgeordneten des Bundestags erhoben sich und applaudierten minutenlang. Dann verließ Selenskyj den Saal, zusammen mit Steinmeier. Seite an Seite.