Das SEMF-Festival am Jahresende ist immer ein guter Anlass, um das lokale Techno-Alltags-, Entschuldigung, Allnachtsgeschäft zu inspizieren. Techno, wo warst du dieses Jahr in Stuttgart? Wie geht’s dir? Was läuft gerade? Was läuft nicht? Was passiert 2014? Das alles fragten wir drei Stuttgarter DJs, zwei davon auch beim SEMF zu hören. Los geht's mit Marius Lehnert, Resident im Rocker 33 und beim Semf mit dabei.

Stuttgart - Das SEMF-Festival am Jahresende ist immer ein guter Anlass, um das lokale Techno-Alltags-, Entschuldigung, Allnachtsgeschäft zu inspizieren. Techno, wo warst du dieses Jahr in Stuttgart? Wie geht’s dir? Was läuft gerade? Was läuft nicht? Wohin geht der Weg? Was passiert 2014? Wir fragten drei Stuttgarter DJs, zwei davon auch beim SEMF zu hören, die allesamt nicht nur Platten (oder was auch immer) drehen, sondern über der DJ-Kanzel hinaus als in verschiedenen musikalischen Subgenres der Szene Veranstalter, Promoter, Produzent oder Booker aktiv sind. 

Los geht's mit Marius Lehnert, der unter anderem sagt: "Es wäre zu wünschen, dass die Subkultur wirklich mehr als ein Aspekt der allgemeinen Kultur gesehen wird.“

 

Marius Lehnert legt nicht nur zum vierten Mal in Folge beim SEMF auf, sondern ist neben einem gut gefüllten Gig-Kalender für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Rocker 33 zuständig. Da gab es freilich gerade in den letzten Wochen einiges zu tun. Nachdem der Club Ende November eigentlich das Filmhaus hätte räumen müssen, handelte OB Fritz Kuhn persönlich mit dem Hauseigentümer LBBW zwei Monate Verlängerung aus. Marius ist seit sechs Jahren Resident in der „schwarzen Seele der Stadt“ und veranstaltet dort ebenso die Reihe „Discotronic“.

Das KimTimJim musste früher zumachen als geplant, das Toy ist Geschichte, das Rocker hat gerade nochmals zwei Monate Aufschub bekommen – mit der Techno-House-Brille betrachtet war das Jahr 2013 eher nicht so dolle - oder täuscht der Eindruck?
Wenn man diesen Aspekt betrachtet, stimme ich sicherlich zu. Das hätten sich alle sicher ganz anders vorgestellt. Man darf ja auch nicht vergessen, dass der Geschichte dieser drei Clubs noch andere Kapitel vorangingen, zu nennen sind das Zapata, die Röhre, der Landespavillon oder natürlich auch das alte Rocker 33 im H7-Gebäude, alles Clubs, in denen man regelmäßig zu elektronischer Musik feiern konnte. Nichtsdestotrotz hatte das laufende Jahr schöne Seiten und es gab für mich persönlich, aber für das Rocker 33, wo ich aktiv bin, tolle Momente.

Kannst Du an dieser Stelle verraten, wie es mit dem Rocker nach Januar 2014 weitergeht?
Dazu kann ich aktuell leider nichts sagen, denn es gibt schlicht und einfach keine Neuigkeit mitzuteilen. Der momentane Stand der Dinge ist der, dass am 31. Januar 2014 Schluss ist und das Rocker 33 dann nach mehr als acht tollen Jahren Geschichte sein wird.

Was hältst du von dem momentan weit verbreiteten Singsang vom Untergang der „Subkultur“?
Natürlich ist da etwas dran. Man kann sich dem Eindruck nicht verwehren, dass von Seiten der Stadt und von Seiten der Eigentümer diverser Gebäude, in denen Clubs untergebracht sind, relativ wenig für den Erhalt dieser Subkultur getan wird. Erst jetzt, nachdem es einigen Druck von der Öffentlichkeit bzw. der Subkultur selbst gab, wurde zumindest die Politik und damit die Stadt hellhörig und hat wenigstens in Ansätzen ihr Bemühen gezeigt. Es wäre zu wünschen, dass die Subkultur wirklich mehr als ein Aspekt der allgemeinen Kultur gesehen wird, denn das ist wichtig und für eine Stadt wie Stuttgart elementar.

Was siehst du für musikalische Entwicklungen & Trends bei den Partys? Auch wenn du deine Gigs in Stuttgart und außerhalb vergleichst?
Man konnte bereits die letzten Jahre - gerade in Stuttgart - feststellen, dass die Partygänger sehr gezielt weggehen, wenn bekannte DJs, große Namen, gebucht sind. Der Hype um Acts wird immer größer und dadurch hat sich eine homogene Szene immer mehr abgeschafft. Dennoch kann das Stuttgarter Publikum gut feiern, gerade wenn ich es mit meinen auswärtigen Gigs vergleiche. An anderen Orten ist man allerdings oft mehr open-minded und befasst sich stärker mit der Szene und Musik an sich.

Man kann also 2013 wieder festhalten: Große, bekannte Bookings sind ausschlaggebend für den Erfolg eines Abends. Im Gegensatz dazu tun sich selbst manche kleine Läden mit einem Local-Programm schwer.
Yep. Es wäre sehr zu wünschen, wenn sich, wie ebenfalls gerade schon angedeutet, die Menschen hier intensiver mit der Musik auseinander setzen würden. Sicher gibt es ab und an Partys mit Locals, die erfolgreich sind, aber die Musik selbst rückt leider oft in den Hintergrund und die Person des DJs steht im Fokus, wobei mancher Local einige der großen Namen sicher an die Wand spielen könnte.

Man kann also sagen, dass ein gewisses Interesse fehlt und Techno sozusagen Event-Happening-Musik ist?
Leider ist es in vielen Fällen genau so. Sicher interessieren sich die Leute für die Musik, vieles bleibt allerdings an der Oberfläche. Ich habe oft in der Vergangenheit festgestellt, dass Stuttgart ein bis zwei Jahre hinterher hängt, was musikalische Trends und auch Acts angeht. Wenn man beispielsweise einen DJ bucht, der gerade international durchstartet und die Aufmerksamkeit der Fachmagazine oder -portale bekommt, Clubs in anderen Städten ausreichend füllt, ist es in Stuttgart meist ein Desaster. Wenige hier sind am Nabel der Zeit - da könnte der Aspekt der Event-Happening-Musik sicher ein Grund dafür sein. Elektronische Musik ist eben gerade "in", was man auch an vielen Popproduktionen hört, und das macht sich auch auf der Tanzfläche in den Clubs bemerkbar. Aber das wird sich sicher bald selbst wieder regulieren.

Fazit: Was erhoffst Du dir Techno-mässig für 2014?
Ein klein wenig Umsetzung der von mir angesprochenen und kritisierten Punkte wäre schön. Vielleicht entsteht ja auch etwas ganz Neues in Stuttgart im nächsten Jahr? Mit den Augen des Veranstalters betrachtet, wünsche ich mir einen Rückgang der Macht der Booking-Agenturen, die mittlerweile teils wahnwitzige Gagen für ihre Künstler aufrufen und auch sonst sich meist viel zu wichtig nehmen.

Du freust dich auf SEMF weil...
... SEMF jedes Jahr wirklich ein Highlight für mich ist. Ich bin jetzt zum vierten Mal nacheinander als DJ dabei und es war immer toll! Das wird auch dieses Jahr wieder so sein, daher ist die Vorfreude jetzt schon groß.

Nächster Gig: Samstag, 7. Dezember, Rocker 33, Discotronic mit Martin Buttrich und Marius Lehnert