Bei den Landesministerien landen immer mehr „schwierige Bürgeranfragen“. Nun lässt die Regierung die Bürgerreferenten schulen, wie sie damit umgehen. Das Seminar liefert schon im Vorfeld Gesprächsstoff.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Winfried Kretschmann verteidigte die Mühen der Mitsprache. „Wenn man das Engagement der Bürger lobt“, dozierte der Grünen-Ministerpräsident kürzlich vor Journalisten, „dann muss man auch ihre Aufmüpfigkeit in Kauf nehmen.“ Doch die von ihm ausgerufene „Politik des Gehörtwerdens“ ermuntert offenbar immer mehr Regierte, sich bei der Regierung mehr als nur aufmüpfig Gehör zu verschaffen.

 

Wie mit den Geistern umgehen, die man rief – darum geht es Anfang kommender Woche bei einem von der Führungsakademie des Landes veranstalteten Seminar, zu dem Kretschmanns Staatskanzlei die Bürgerreferentinnen und -referenten der Ministerien eingeladen hat. Einen Tag lang sollen sie lernen, mit „schwierigen Bürgeranfragen“ – so die offizielle Sprachregelung – etwa am Telefon angemessen umzugehen. Intern ist von „psychisch auffälligen“ und „aggressiven“ Anrufern die Rede, weshalb die Fortbildungsofferte per Flurfunk flugs zugespitzt wurde: Die Ministerialen würden darin geschult, „mit Querulanten und Verrückten fertig zu werden“. Solche Begriffe weist ein Regierungssprecher natürlich weit von sich. Doch dass es ein Problem gibt, bestätigt er.

Immer mehr Bürger mit persönlichen Problemen

Offiziell sollen die Bürgerreferenten erste Anlaufstelle für Rat suchende Bürger sein: sie nehmen deren Anliegen auf und weisen ihnen den Weg zur richtigen Stelle. „Bei ihm können sie sich auch beschweren, wenn sie sich nicht angemessen behandelt fühlen“, steht so oder ähnlich auf den Internetseiten der Fachressorts.

Nicht nur im Staatsministerium landen bei der Bürgerreferentin indes „regelmäßig schwierige Bürgeranfragen“, melden sich Menschen „auch mit persönlichen Problemen“; dies betreffe bereits 60 Prozent der Fälle, sagt der Sprecher. Da geht es etwa um angebliche Fehlurteile der Justiz oder um nicht immer ganz rationale Verfolgungstheorien. Den Kollegen in den Ressorts, ergab eine regierungsinterne Recherche, ergehe es ebenso. Auch dort gingen „ähnlich gelagerte Anfragen und Telefonate“ ein, deren Anteil sich aber von Haus zu Haus stark unterscheide. Entsprechend groß war die Resonanz auf das Seminarangebot, 15 Bürgerreferenten sind angemeldet.

Schulung mit Psychologin und Rollenspielen

Laut Staatsministerium sollen sie lernen, „verantwortlich mit solchen Kontaktaufnahmen umzugehen und gut und richtig zu reagieren.“ In der Regel seien die Beamten dafür nicht ausgebildet, die entsprechende Kompetenz wolle man ihnen nun vermitteln. Das Schulungsziel habe die Führungsakademie wie folgt formuliert: „Die Teilnehmenden werden gestärkt im Umgang mit schwierigen Bürgeranfragen, Widerständen und Konflikten. Sie gewinnen mehr Sicherheit in der Durchführung kritischer Gespräche und bei der schriftlichen Beantwortung schwieriger Fragen.“

Referentin ist nach Angaben der Kaderschmiede des Landes eine Psychologin, die „langjährige Erfahrung und Expertise im Bereich des Konflikt-, Kunden- und auch Stressmanagements hat“. Sie arbeite mit verschiedenen Lernmodulen und praktischen Übungen, etwa Rollenspielen oder Gruppendiskussionen. Auch bei „hoch-emotionalen Telefonanrufen“ sollten die Bürgerreferenten sachlich-konstruktiv reagieren und „frühzeitig deeskalierende Maßnahmen“ einsetzen; selbst in angespannten Situationen dürfe der Gesprächsfaden nicht abreißen. Zugleich erhielten die Ministerialen Tipps, wie sie „etwa auf persönliche Beleidigungen professionell reagieren können.“ Damit, so das Ziel, werde die Verwaltung gestärkt auf dem Weg zu einem „besseren und qualifizierteren Bürgerdialog.“

Sonderlehrgang zur Bürgerbeteiligung

Daran ist der Führungsakademie unter ihrem neuen Präsidenten Ralph Bürk (Grüne) auch sonst gelegen. Auf Initiative von Kretschmanns Staatsrätin Gisela Erler wurde zusammen mit den Beamtenhochschulen Kehl und Ludwigsburg ein Lehrgang zum Thema Bürgerbeteiligung entwickelt. Etwa 150 Fach- und Führungskräfte aus der Verwaltung haben daran bereits teilgenommen und die 15 Seminartage absolviert. Derzeit, sagt ein Sprecher, werde der Lehrgang „überarbeitet und an neueste Anforderungen angepasst“.