Eigene Geschichten und Nachrichten werden für Medien immer wichtiger – deswegen startet der SWR nun eine große Recherche-Offensive. Um den Sitz der Investigativ-Truppe wurde intern hart gerungen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Stellenausschreibung des Südwestrundfunks (SWR) erregte einiges Aufsehen in der Medienbranche. Nicht nur einen Investigativ-Reporter sucht der Sender derzeit für eine neue Rechercheeinheit (neudeutsch „unit“ genannt), sondern gleich fünf auf einen Streich. Intern und extern fahndet er nach investigativ arbeitenden Journalisten mit „langjähriger Erfahrung“, Sicherheit in der Recherche und überdurchschnittlichen Fähigkeiten als Autor; erwünscht seien zudem „Fachwissen bzw. exklusive Kontakte in einem Spezialgebiet“. Aufgabe der Neuen sei die „investigative Recherche für den Südwesten und bundesweit“, ihre Enthüllungen sollten sie möglichst auf allen Ausspielwegen verbreiten – in Fernsehen, Hörfunk und Online. Dabei setze man auf eine enge Zusammenarbeit mit Autoren anderer Redaktionen, innerhalb und außerhalb des SWR.

 

Es ist der Startschuss für eine Offensive, von der der Intendant Peter Boudgoust schon länger spricht. Im Zuge des multimedialen Umbaus des Senders, der in vollem Gange ist, soll auch das journalistische Profil geschärft werden. „Eigen recherchierte Stories und News werden immer mehr zur Leitwährung in der modernen Medienwelt“, sagt ein Sprecher Boudgousts. In vielen Medienhäusern seien in den vergangenen Jahren Rechercheredaktionen und –verbünde entstanden. Auch der SWR wolle „seine publizistische Relevanz stärken und vermehrt auf eigene exklusive Recherchen setzen“. Eben dafür plane man das Rechercheteam mit bis zu sechs Investgativ-Reportern. Die Mittel dafür, so der Sprecher, würden durch Einsparungen an anderer Stelle erwirtschaftet. Im Zuge eines 2010 gestarteten, auf zehn Jahre angelegten Programms sollten die Kosten für Technik, Produktion, Verwaltung und Intendanz um bis zu 50 Prozent gesenkt werden – das schaffe neue Spielräume.

Neun Leute für Datenjournalismus

Im Grundsatz stößt das Vorhaben im Sender auf breite Unterstützung. Hierarchen und Verwalter gebe es schon genug, hört man in den Funkhäusern, da sei es nur zu begrüßen, wenn in Inhalte investiert werde. Doch über die Anbindung der neuen Rechercheeinheit wurde intern dem Vernehmen nach heftig gerungen. Zwei Standorte lieferten sich ein erbittertes Tauziehen: Baden-Baden und Mainz. Andocken ließen sich die „Investigativen“ hier wie dort.

In Baden-Baden sitzt die neunköpfige Redaktion „Datenjournalismus und Reporter“ unter Leitung des „Terrorismusexperten“ Holger Schmidt, die zum Beritt des Chefredakteurs Arthur Landwehr (früher Hörfunk, heute Nachrichten und Distribution) gehört. Hervorgegangen ist sie aus der einstigen Hörfunk-Redaktion „Reporter und Recherche“, die zwar immer wieder interessante Themen ausgrub, aber im Sender oft als Fremdkörper empfunden wurde.

Enge Verzahnung mit der „Report“-Redaktion

In Mainz residiert das alteingeführte Magazin „Report“ mit dem Fernseh-Chefredakteur Fritz Frey an der Spitze. Mit seinen Recherchen, lobte Boudgoust bei dem 2016 gefeierten 50-Jahr-Jubiläum, setze es „immer wieder Maßstäbe für den investigativen Journalismus“. Ob es um illegale Waffenexporte gehe, den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche oder Tierquälerei in Zuchtbetrieben – regelmäßig decke „Report“ Missstände auf. Zum Geburtstag gab es ein neues Studiodesign, das mit der „Signalfarbe gelb auf rauem Beton“ das investigative Profil unterstreichen soll.

Mainz machte denn auch das Rennen um den Sitz der multimedialen Rechercheeinheit. Man etabliere sie dort, wo mit „Report“ das „investigative Flaggschiff“ des SWR arbeite, sagt der Sprecher. Beide Redaktionen würden unterm Dach der Chefredaktion eng miteinander verzahnt. Aber auch mit den Baden-Badener Reportern und anderen SWR-Redaktionen sollten die Rechercheure eng zusammenarbeiten. Zuweilen wird auf den Senderfluren freilich gefragt, ob die beschauliche Landeshauptstadt wirklich der ideale Standort für die Reporter-Truppe sei; Rechercheure müssten sich doch eher an den Brennpunkten des Geschehens bewegen.

Zusammenarbeit nur themenbezogen

„Report“ gilt auch als Vorbild, was die Kooperation mit anderen Medien angeht. Wie das Magazin solle die neue Rechercheeinheit „projektbezogen mit Qualitätszeitschriften und –Zeitungen zusammenarbeiten“ – etwa Spiegel, Stern, Zeit oder Stuttgarter Zeitung/Nachrichten. Anders als beim Rechercheverbund von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung plane man aber keine institutionalisierte Kooperation, sondern wolle sich immer dann zusammentun, „wenn es sich thematisch anbietet“. Der SWR ist da ein gebranntes Kind: Als 2015 Pläne für eine intensive Kooperation mit der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“ durchgestochen wurden, gab es größere Aufregung in Medienszene und Landespolitik; bald darauf wurde alles relativiert.

Nun wird mit Spannung erwartet, wie groß der Andrang auf die ausgeschriebenen Stellen ist. An diesem Sonntag endet die Bewerbungsfrist für die künftigen Enthüller, am 2. Januar 2018 sollen sie bereits loslegen.