Seniorchef von Börlind „Kinder müssen den Mut haben, einen zur Seite zu schieben“
Michael Lindner, Seniorchef des Naturkosmetikherstellers Börlind, hat an seine Kinder übergeben – ein schwieriger Prozess, über den er nun ein Buch geschrieben hat.
Michael Lindner, Seniorchef des Naturkosmetikherstellers Börlind, hat an seine Kinder übergeben – ein schwieriger Prozess, über den er nun ein Buch geschrieben hat.
Die eigenen Kinder als Nachfolger? Eigentlich wunderbar, doch dass viele Emotionen im Spiel sind und ein eingefleischter Firmenpatriarch erst einmal umdenken muss, ist die Kehrseite der Medaille. „Die Kinder müssen den Mut haben, einen zur Seite zu schieben“, sagt Michael Lindner, Seniorchef des Schwarzwälder Naturkosmetikherstellers Börlind und Vertreter der zweiten Generation.
Dass ihm dieser Satz so leicht über die Lippen kommt, ist keine Selbstverständlichkeit. Bereits im Jahr 2020 hat der 76-Jährige das Familienunternehmen mit Sitz in Calw an seine Kinder Nicolas und Alicia Lindner übergeben, jetzt hat er ein Buch geschrieben, bei dem die Übergabe im Mittelpunkt steht. „Wir sind Unternehmer, keine Unterlasser“ ist eine Generationengeschichte, die im Mühlacker Stieglitz Verlag am 4. November erscheint. Den Generationswechsel bezeichnet Michael Lindner „als seinen größten Kampf“.
Das „Loslassen“ habe sieben Jahre gedauert. „Wenn einer sagt, er hat problemlos übergeben, das gibt es nicht. Es gibt immer Konflikte“, ist Michael Lindner überzeugt. Mitunter muss er noch selber den Kopf schütteln, wenn er an die Anfänge der Übergabe denkt. „Ich war dominant, ich war Mister Börlind, schließlich wusste nur ich, wie es geht“, sagt er. Und dann machen es die Jungen plötzlich anders. Dass ihm das schwerfiel, daraus macht der Seniorchef keinen Hehl. „Es war ein schwieriger Lernprozess“, sagt er mit einer Offenheit, die verblüfft. Ohne Coach von außen – daran lässt er keinen Zweifel – hätte es nicht geklappt.
1978 trat der Betriebswirt in zweiter Generation in die Börlind-Geschäftsführung ein, 1996 als alleiniger Geschäftsführer, ab 2003 als Alleininhaber. Dass eines seiner vier Kinder mal in die Firma einsteigt, war zwar sein Wunsch, aber nie ein Muss. 2013 kam Sohn Nicolas ins Unternehmen, durchlief verschiedene Abteilungen und übernahm später das Marketing, Tochter Alicia folgte ein Jahr später.
Dass die beiden etwas in die Wege leiteten, ohne den Seniorchef zu fragen, empfand Michael Lindner damals freilich als respektlos, machte gar Entscheidungen rückgängig. Es gab Auseinandersetzungen zuhauf. 2016 warf Sohn Nicolas hin und ging erst mal als Backpacker nach Südamerika. Alicia – zwischenzeitlich schwanger – musste sich anhören, ob sie das denn schaffe.
„Es gab einfach zu viele Situationen, in denen wir aneinander hochgingen“, sagt Alicia Lindner – wegen Entscheidungen, die in Frage gestellt oder rückgängig gemacht wurden. So habe es beispielsweise auch Mitarbeiter gegeben, denen sie und ihr Bruder vertrauten, die aber vom Vater in Frage gestellt wurden. Andererseits habe dieser Mitarbeiter auf seine Seite gezogen, wodurch Fronten gegen die beiden Nachfolger entstanden seien. „Es schepperte auf allen Ebenen“, beschreibt sie die Spitze des Konflikts.
„Als Geschäftsmann war er schon ein Egomane. Als Privatperson weniger. Aber er war eben zu 85 Prozent Geschäftsmann“, sagt Nicolas Linder über seinen Vater und setzt noch eins drauf: „Er hat sich nichts sagen lassen. Von niemandem.“ Beide Kinder waren sich einig: „Wir müssen nicht in die Firma kommen. Wir finden überall einen Job.“ Ohne Coach von außen hätte es nicht funktioniert, sagt Seniorchef Lindner. Nicolas Lindner machte dem Vater eine klare Ansage: „Wenn Du nicht komplett rausgehst, geh ich nicht rein.“ Hart verdauliche Kost für den Patriarchen, als den er sich rückblickend selbst bezeichnet.
„Einerseits wünscht man sich die Kinder als Nachfolger. Sind sie dann da, beanspruchen sie natürlich ihren Platz und der Vater muss zur Seite treten. Genau das war mein Dilemma, mit dem ich fertig werden musste“, gesteht er ein. Corona entpuppte sich in dem Prozess „als Glücksfall“. Michael Lindner und seine Frau Daniela waren geschäftlich in den USA, als die Grenzen dicht gemacht und Flüge gestrichen wurden. Zuhause haben die beiden Nachfolger die Geschäfte geführt – anders als er, aber erfolgreich. Ein Aha-Erlebnis für den Senior.
Wie wichtig bei einem Generationswechsel im Unternehmen ein Familienchoach ist, macht er immer wieder deutlich. Zumal man auch die Interessen der Kinder, die nicht in der Firma seien, berücksichtigen müsse. Die ganze Familie treffe sich einmal im Jahr regelmäßig zum Coaching. Das hilft. Man rede oft aneinander vorbei, der eine empfinde manche Aussage als Angriff, dabei seien die Standpunkte gar nicht so weit voneinander entfernt, beschreibt es Michael Lindner. Auch eine Familiencharta und ein Unternehmensleitbild helfen.
Die vier Kinder halten zu gleichen Teilen insgesamt 48 Prozent am Unternehmen. Michael Lindner, der seit vielen Jahren in Stuttgart wohnt, verfolgt die Geschicke der Firma als Beisitzer im Beirat von Börlind und respektiert längst die Entscheidungen der dritten Generation. „Sie machen es anders als ich, aber auch gut“, sagt er.
Ursprünge
1955 gründet Annemarie Lindner mit ihrem Mann Walter den Familienbetrieb. Sie selbst leidet unter Hautproblemen – das ist der Anstoß für sie, Kosmetikerin zu werden und ihre eigenen Pflegeprodukte herzustellen und damit zur Pionierin für Naturkosmetik zu werden.
Partner
Nach der Flucht in den Westen kommt Geschäftspartner Hermann Börner ins Boot, fortan ist es die Börlind GmbH mit ihrer Marke „Annemarie Börlind Natur-Hautpflege“. Der Name des Unternehmens setzt sich aus den Familiennamen Börner und Lindner zusammen.
Familie
Sohn Michael Lindner tritt 1978 als Vertreter der zweiten Generation ins Unternehmen, ab 2003 ist er Alleininhaber, 2020 übergibt er endgültig an die dritte Generation. Der Umsatz – mit den Marken Annemarie Börlind und Dado Sens – liegt bei rund 60 Millionen Euro.