Ein kulturpolitischer Coup: Jahrelang schlummerte Teherans einzigartige Sammlung moderner Kunst im Keller, weil sie islamische Regeln verletzt. Die internationale Öffnung des Landes ermöglicht nun, dass sie im Ausland gezeigt wird – in Deutschland. Im Dezember öffnet die Schau in Berlin und wird das Kunstereignis des kommenden Winters.

Teheran - Wajid Mollanoroozis Augen leuchten. „Vom ersten Tag an war das mein wichtigstes Ziel“, schmunzelt er. Seit Frühjahr 2014 steht der füllige 50-jährige an der Spitze des Teheraner Museums für Gegenwartskunst, welches 1977 noch kurz vor der Islamischen Revolution eingeweiht worden war. Seitdem lagern in den Katakomben des Hauses einzigartige Kunstschätze, die alle politischen Wirren schadlos überstanden. Und so besitzt der Iran heute die wohl bedeutendste Sammlung westlicher Gegenwartskunst außerhalb Europas und den USA. Nach vierzig Jahren im Verborgenen soll sie Anfang Dezember nun erstmals außerhalb des Landes gezeigt werden – und zwar in Berlin.

 

Einst zusammengetragen von der Frau des letzten persischen Schahs, Farah Diba Pahlavi, verschwanden die Werke nach dem Sturz des Monarchen in der Unterwelt des Museums, dessen Architektur den traditionellen Windtürmen iranischer Wüstenstädte nachempfunden ist. Oben in den Ausstellungsräumen dominierten fortan revolutionäre Gemälde, linientreue einheimische Bilder, Teppiche, Kalligrafien sowie traditionelle Miniaturmalerei.

Zwanzig Jahre lang waren die weltberühmten Werke des Impressionismus und Kubismus, der Op Art, Pop Art und Minimal Art als Ausdruck westlicher Dekadenz verpönt. Erst nach der Wahl des kunstsinnigen Reformpräsidenten Mohammed Chatami 1998 kamen kleinere Teile der Sammlung, die insgesamt 1500 Arbeiten umfasst, für jeweils einige Wochen wieder ans Tageslicht. Zwanzig Werke von Pablo Picasso, Edvard Munch und Auguste Renoir, auf denen Nacktheit zu sehen ist, sind allerdings bis heute für das iranische Publikum tabu, darunter Renoirs „Gabrielle à la chemise ouverte“, ein zartes Frauenporträt mit entblößten Brüsten, das einst das Schlafzimmer des Schahs geschmückt haben soll. Von Francis Bacons Triptychon „Two Figures Lying on a Bed with Attendants“, einer homoerotischen Dreier-Szene, musste 2005 nach Protesten islamischer Moralwächter der mittlere Teil noch während der Vernissage entfernt und wieder zurück in das Kellerdepot geschafft werden.

Der Besucher wird gewarnt: „Bitte Vorsicht, das ist ein Picasso!“

Ein spiralförmiger Wandelgang wie im New Yorker Guggenheim Museum führt hinunter in die sagenumwobene Schatzkammer, deren Chefwächter seit 1996 Ehsan Abbasi ist. Den langen, doppelbärtigen Tresorschlüssel für die schwere Eisentür hütet der untersetzte, grauhaarige Mann wie seinen Augapfel. Drinnen im fensterlosen Neonlicht rauscht die Klimaanlage. An der Kopfwand auf Styroporstützen lehnt Picassos 2,14 Meter hohes „The Painter and his Model“ von 1927.

„Bitte Vorsicht, das ist ein Picasso“, warnen Abbasi und seine Mitarbeiter höflich jeden, welcher der kostbaren Leinwand auch nur etwas nahe kommt. Mit gekonntem Schwung ziehen sie die rollenden Gitterwände heraus, dicht an dicht belegt mit Arbeiten von Claude Monet, Max Ernst, Mark Rothko, Pablo Picasso, Francis Bacon, Victor Vasarely, Roy Lichtenstein und Andy Warhol. Dreißig dieser Meisterstücke mit einem Marktwert von 1,5 Milliarden Euro plus dreißig Arbeiten iranischer Künstler werden in der Gemäldegalerie auf dem Kulturforum an der Spree zu sehen sein, darunter Jackson Pollocks „Mural on Indian Red Ground“ von 1950. Es gilt als das Hauptwerk des amerikanischen Aktionskünstlers und als ein Schlüsselbild des abstrakten Expressionismus.

Die Idee für das kühne Projekt geboren wurde in Gesprächen zwischen Majid Mollanoroozi und seinem Frankfurter Kollegen Max Hollein, dessen Vater Hans 1977 das Teheraner Museum für Glas und Keramik entwarf, und der kürzlich von der Schirn nach San Francisco wechselte. Über ein Jahr lang feilte das deutsch-iranische Duo hinter verschlossen Türen an seinem kreativen Coup, bis beide im Herbst vergangenen Jahres auch die Politik einweihten. Die Kosten für Versicherung und Transport teilen sich die deutsche und die iranische Regierung.

„Berlin steht vor einer Kunstsensation“, meint der Experte

Im März 2017 sollen die Bilder von Berlin aus weiter nach Rom zum Nationalmuseum wandern. Insgesamt vier bis fünf Jahre will der Teheraner Museumschef seine Kunst-Juwelen durch die Welt touren lassen, mit der Tate Gallery in London, auch mit Museen in Paris, New York und Washington gibt es bereits Gespräche. „Ich habe keinen Zweifel, diese Kunst wird die Welt verzaubern. Sie kann die Gräben zwischen unseren Nationen überwinden“, sagt Mollanoroozi, der dekorative Malerei studierte und während der achtjährigen Präsidentschaft des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad beruflich kalt gestellt war.

„Erstmals wird eine Sammlung vorgestellt, die in ihrer Zusammensetzung und in ihrer Geschichte einzigartig ist“, frohlockt auf deutscher Seite der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger. Noch nie sei ein westliches Museum in der Lage gewesen, die in Teheran gesammelte, weitestgehend verborgene europäische und amerikanische Moderne zu zeigen und sie iranischer Malerei gegenüberzustellen. „Berlin steht vor einer Kunstsensation“, ist sich Parzinger sicher.

Einen dunklen Schatten auf die Zusammenarbeit jedoch wirft die dubiose Rolle von Majid Mollanoroozi beim diesjährigen Holocaust-Karikaturenwettbewerb in Teheran. Bei der Preisverleihung am 30. Mai im Sarcheshmeh-Kulturzentrum stand er zusammen mit den Organisatoren auf einer mit Hakenkreuzen drapierten Bühne, um den vier prämierten Holocaust-Leugnern ihre Urkunden zu überreichen. Den Ausstellungsvertrag mit Berlin hatte er gerade zwei Wochen zuvor im Beisein von Außenminister Frank-Walter Steinmeier unterschrieben. Als Ehrengast zur Ausstellungseröffnung lud ihn Berlin nun wieder aus. Stattdessen kommt Ali Moradkhani, einer von Irans Vizekulturministern.