24 Stunden Ludwigsburg – in einer 24-teiligen Serie erzählen wir, wie die Ludwigsburger und die Gäste der Stadt leben und arbeiten. Zwischen 14 und 15 Uhr schneidet der Wengerter Dennis Bühler am Steilhang bei Poppenweiler die Reben – mit grandiosem Blick über das Neckartal.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Ludwigsburg - Der Ausblick ist einmalig. Trotzdem will kaum jemand tauschen mit Dennis Bühler. Der junge Mann ist Wengerter, und viele seiner Rebstöcke wachsen auf den schmalen Terrassen am Steilhang oberhalb des Neckars auf Neckarweihinger und Poppenweiler Markung. Wenn Bühler die Rebschere einen Moment zur Seite legt und sich umschaut, dann sieht er die Staustufe, das Naturschutzgebiet Zugwiesen, das Neckarfreibad und den Kirchturm von Poppenweiler.

 

An diesem strahlend schönen Wintertag gegen 14 Uhr ist Bühler zusammen mit seinem Opa Wilfried Kleinle, dem Seniorchef des Weinguts Kleinle, mit dem Auto von Poppenweiler zum Wengert gefahren. Das ungleiche Duo hat die Gerätschaften, die für den anstehenden Rebschnitt benötigt werden, die super steile Treppe hinauf geschleppt. Der Junior stutzt die jungen Triebe. Der Opas sammelt das Schnittgut ein und bildet Häufchen, die später hinunter zur Straße geschleppt und dann weggekarrt werden müssen.

Noch bis voraussichtlich Ende Februar werden diese Arbeiten in dem mehrere Jahrhunderte alten Weinberg dauern. Im März, sagt Bühler, werden die Ruten dann gebogen, damit die Trauben im Sommer gut wachsen können.

Ein stetiges, dumpfes Brummen der Autos im Neckartal

Die Sonne lacht vom Himmel. Auf dem Neckar gleitet ein Frachtschiff vorbei. Und die Autos auf der Schnellstraße am Ufer erzeugen ein stetiges, dumpfes Brummen, das die Idylle am Ludwigsburger Stadtrand aber nicht weiter stört.

Besonders hart werde die Arbeit im Herbst, erzählt Bühler, denn während der Weinlese müssen alle Trauben in Zubern die knapp 400 steilen Treppenstufen hinter getragen werden. Das gehe ordentlich an die Substanz. Muskelkater am Abend sei garantiert. Wer so einen Wengert im Steilhang bewirtschaftet, der braucht kein Fitnessstudio. Habe aber einen ungleich höheren Aufwand als ein Kollege mit einem flacheren Weinberg, sagt Bühler.

Das Land gebe für den Erhalt der uralten Kulturlandschaft am Steilufer des Neckars zwar einen kleinen Zuschuss, aber das Geld reiche hinten und vorne nicht. Ohne die unentgeltliche Hilfe von vielen Verwandten und Bekannten, speziell während der Lese, wäre es nicht möglich, mit diesem schönen, aber arbeitstechnisch gesehen sehr unpraktischen Weinberg finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen.

Immer mehr Wengerter geben ihre Stückle im Steilhang auf

Die Stadt Ludwigsburg lasse gelegentlich einen kleinen Zuschuss für die Sanierung der alten Wengertmauern springen, sagt Dennis Bühler, er wünsche sich aber mehr Engagement seitens der Verwaltung. Seine Familie erhalte immerhin ein Stück Ludwigsburger Lokalgeschichte. Der Weinbau-Meister, der auch bei seinem renommierten Kollegen Jochen Beurer im Remstal gelernt hat, fürchtet, dass ohne weitere finanzielle Unterstützung noch mehr Parzellen in den steilen Weinbergen eines Tages so aussehen werden wie das Areal nebenan. Dort wuchern die Pflanzen. Der Kollege, dem diese Rebstöcke gehören, hat ganz offenkundig die Arbeit eingestellt.

Dass immer mehr Wengerter ihre Stückle im Steilhang nicht mehr bewirtschaften, das bereite auch ihm Probleme, erzählt Bühler. Denn die Pflanzenschutzmittel könnten nur mit einem Hubschrauber ausgebracht werden, und die Kosten für diese Flüge müssten sich immer weniger Weinguter aufteilen.

Dennis Bühler schneidet, schneidet und schneidet, seit fast einer Stunde, sein Opa sammelt die Triebe ein. Vögel zwitschern. An das Brummen des Straßenverkehrs im Tal hat man sich längst gewöhnt. Auf der anderen Seite des Neckars schlendern ein paar Spaziergänger vorbei, vermutlich erfreuen sie sich auch am Anblick der Weinberge.

Vor rund 40 Jahren ein paar Ar vom Vater übernommen

Dann macht Wilfried Kleinle eine kurze Pause, beginnt von früher zu erzählen. Er und seine Frau hätten vor rund 40 Jahren ein paar Ar von seinem Vater übernommen. Mitglied bei einer Weinbaugenossenschaft wollten die beiden aber nicht werden. Die Preise, die damals für die Trauben bezahlt wurden, seien zu niedrig gewesen. Kleinle schwelgt in Erinnerungen und schmunzelt. Also hätten er und seine Gattin beschlossen, den Wein selbst zu vermarkten. Eine Besenwirtschaft wurde eröffnet. Heute werde der Wein auch im eigenen Hofladen verkauft. Zudem baue die Familie Dinkel, Weizen und Mais an.

Wilfried Kleinle sagt, er komme oft in die Weinberge am Neckarufer. Mitunter setzt sich der 74-jährige Senior ganz spontan ins Auto und fährt zur Arbeit. Wenn der Opa auf dem Hof mal vermisst wird, dann ist den anderen meistens klar: er ist bestimmt mal wieder die steilen Stufen in dem Weinberg hinauf gestiegen, werkelt im Wengert – und genießt ab und zu den einmaligen Blick über das Neckartal. In solchen Momenten will Wilfried Kleinle ganz bestimmt mit niemandem tauschen.