Was tun, wenn sich die Bevölkerung schlagartig um fast ein Drittel vermehrt. Beim Siedlungsbau nach dem Krieg hat sich die städtebauliche Struktur einiger Kommunen im Remstal deutlich verändert.

Rems-Murr-Kreis - I bin en dr Batschka beim Heinz“ – wenn sich Mitte der 1960er-Jahre ein junger Remstäler aus Geradstetten derart von Mama und Papa verabschiedete, dann hatte er keineswegs vor, den Zug ins ungarisch-jugoslawische Grenzgebiet zu nehmen. Er wollte schlicht den Kumpel jenseits der Rems im Geradstettener Süden besuchen – „en dr Siedlung driba“. An „Siedlung“ oder „Batschka“ war dabei keineswegs etwas Anrüchiges, dort wohnten einfach viele zum Kriegsende aus ihrer Heimat vertriebene Ungarndeutsche.

 

Die Nachkriegs-Wohnbezirke auf der anderen Flussseite – das ist eine städtebauliche Struktur, die sich im Remstal in einigen Ortschaften findet. In Grunbach ist in den 1950er-Jahren ein quasi gleichartiger Wohnbezirk südlich der Rems entstanden. In Endersbach starteten 1950 die Bauarbeiten an 15 Doppelhäusern mit 60 Wohnungen. Die „Paprika-Siedlung“ wurde sie von manchen Bewohnern neckisch genannt, ebenso wie zum Beispiel die Anfang der 1950er-Jahre ebenfalls neu entstandene Waiblinger Rinnenäckersiedlung. „Hafenviertel“ haben die Remsanwohner im Endersbacher Trappeler später ihr Domizil spaßeshalber selbst genannt.

Es musste einfach etwas geschehen

Es musste einfach etwas geschehen, nachdem sich die Bevölkerung in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs um bis zu einem Drittel vergrößert hatte. Geradstetten etwa verzeichnete zum Kriegsende 1642 Seelen, bis 1950 kamen bei 2160 Bürgern mehr als 500 Neubürger dazu, zum überwiegenden Teil Flüchtlinge. 211 neugebaute Häuser – eben auch südlich der Rems – listet eine alte Ortschronik für jene Jahre auf – „fünf gemeindeeigene Vierfamilienhäuser machten der Not der Barackenbewohner ein Ende“. In Endersbach waren es zum Kriegsbeginn 1671 Einwohner und im Jahr 1950 derer 2638.

Die Unterbringung in den ersten Jahren nach dem Krieg in Notlagern und Baracken oder als Einquartierung in Privathäuser war teils katastrophal. In Stetten diente die alte Glockenkelter zehn Jahre lang fünf Familien im Winter als eiskalter Unterschlupf. In Endersbach waren Flüchtlingsfamilien unter anderem im einstigen HJ-Heim neben der Jahnhalle untergebracht. Sie konnten zur Selbstversorgung den nahen Sportplatz als Gemüsegarten nutzen.

Selbstversorgung, das war auch ein Stichwort bei der Planung der neuen Wohnstellen für die Neubürger. Ganz typisch seien da die Doppelhäuser mit Garten und Hühner-, beziehungsweise Hasenstallgewesen, die 1950 in Endersbach den Kern der Wohnsiedlung Trappeler gebildet hätten, sagt der Architekt Thomas Auch, der selbst teils dort aufgewachsen ist. Opa Hekeler hatte dort eines der ersten Gebäude mit seiner aus Marienbad im Sudetenland stammenden Frau und Familie bezogen. Hekeler selbst galt, nachdem er zwei Jahre lang dort stationiert gewesen war, in der alten Heimat quasi als kriegsvertriebener Endersbacher Altbürger.

84 Pfennige je Quadratmeter Bauland

Die Kreisbaugesellschaft hat dort 1950/51 die 15 Doppelhäuser mit 60 Wohnungen errichtet, die 250 Personen Unterkunft boten. Der von der Kommune mit 84 Pfennigen je Quadratmeter festgelegte Bodenpreis und staatliche Fördermittel ermöglichten es den Interessenten, mit einem Eigenkapital zwischen 1300 und 2500 Deutschen Mark ein neues Zuhause zu erwerben.

Ein Ghetto sei das Trappeler trotz seiner Lage etwas abseits des Ortskerns nie gewesen, wurde vor fünf Jahren extra betont, als beim Trappelerfest im Juni der 60. Geburtstag der Siedlung gefeiert wurde. Das natürlich deutlich größere Trappeler sei „eine Erfolgsgeschichte geworden“, sagten diejenigen, die dort feierten.

Einige Kilometer remsabwärts war anfangs der 1950er-Jahre die Waiblinger Rinnenäckersiedlung eine der größten Vertriebenensiedlungen des Landes. Die Stadt hatte den Baugrund zur Verfügung gestellt und die Erschließungskosten zum Großteil übernommen. Der Grundstein wurde im August 1953 gelegt. Zunächst entstanden 90 Zweifamilienhäuser, bei denen die Bauherren auch selbst Bauträger waren und sich verpflichten mussten, jeweils eine Mieterfamilie aufzunehmen. Unter der Bedingung, dass die Hälfte den Waiblinger Wohnungssuchenden zur Verfügung gestellt würde, genehmigte die Stadt dann im Jahr darauf den Bau von 200 weiteren Wohnungen in der Siedlung.

In Bezug auf die Rinnenäckersiedlung war in der Lokalzeitung dann 1960 von einer Trabantenstadt die Rede. Infrastruktureinrichtungen fehlten in den ersten Jahren völlig. Laut einer in den 1990er-Jahren durchgeführten Feldanalyse zum Waiblinger Süden sahen sich die Menschen dort aber im positiven Sinn als eine „verschworene Gemeinschaft“.