Hans Müller ist ein Kind von Auswanderern in die Schwäbische Türkei, das bis heute auf der Suche nach der Herkunft seiner Familie ist.

Region: Corinna Meinke (com)

Heiningen - Wenn Hans Müller an den Abschied in seiner alten Heimat denkt, verschlägt es dem jetzt in Heiningen im Kreis Göppingen ansässigen Ungarndeutschen vor Rührung immer noch die Sprache. Der 78-jährige Auswanderer-Spross stammt aus Villany, einem in    Südungarn gelegenen überwiegend deutschsprachigen Dorf mit 2500 Seelen, das zur Schwäbischen Türkei zählt. Gemeint ist die einst größte deutsche Sprachinsel in Ungarn, deren Name auf die schwäbische Kolonisation seit dem 18. Jahrhundert hinweist, auch wenn neben Schwaben auch Pfälzer, Franken, Hessen und Bayern einwanderten. Und diese Region in Ungarn war für Hans Müller die Heimat.

 

Ein Abschied auf Dauer

Als der kleine Hans 1946 mit seiner Familie auf das Pferdefuhrwerk stieg, das die Müllers zu den Deportationszügen nach Deutschland – und in seinem Fall nach Göppingen – brachte, ahnte der damals Achtjährige nicht, dass dies ein Abschied auf Dauer sein würde. Gewundert hat er sich allerdings, dass sein bester Freund nicht am Fenster stand, als sie an dessen Haus vorbeifuhren. „Die Kinder hat man ferngehalten“, sagt Müller. Vielleicht lag es aber auch daran, dass der Vater seines Freundes zum Bankdirektor aufgestiegen war – trotz deutscher Herkunft.

Die Familie des Freundes ließ sich ungarisieren

Um in den 1940er Jahren Karriere zu machen, musste man sich ungarisieren lassen, erinnert sich Müller und erzählt, wie die Familie seines Freundes auf einmal nicht mehr Windischmann, sondern Veres genannt werden wollte. „Und deutsch durfte ich mit dem sowieso nicht schwätzen“, beschreibt Müller den damals erstarkenden ungarischen Nationalismus. Die Integration von Auswanderer-Familien kann im gleichen Land recht unterschiedlich verlaufen. Sie ist von vielen Faktoren und vor allem von der politischen Großwetterlage abhängig. Und selbst nach Jahrhunderten und auch wenn ihnen das fremde Land längst zur Heimat geworden ist, werden Einwanderer oft noch als Fremde angesehen.

Ihre Wurzeln zu recherchieren ist für die Nachkommen oft schwierig. Für Müller umso mehr, weil die eigene Herkunft zu Hause kein Thema war. Er musste den Vorfahren in aufwendiger Kleinarbeit nachspüren. Weil der Weg ins 1200 Kilometer entfernte Villany mit seinen Kirchenbüchern weit ist, hat sich Müller lieber bei den Mormonen umgesehen. Die christliche Glaubensgemeinschaft, die seit Jahrzehnten Namens-, Geburts- und Sterbedaten sammelt, hat das größte Ahnenarchiv weltweit auf Mikrofilm. Aber weiter als ins Jahr 1762, dem Geburtsjahr seines Urahns Adam Müller, konnte Hans Müller nicht vordringen. Deshalb weiß er immer noch nicht, woher seine Vorfahren kamen.

Auswanderer ohne Berührungsängste

„Ich selbst bin ein rechter Mischmasch“, steht für ihn fest, seit er herausgefunden hat, dass seine männlichen Vorfahren häufig Kroatinnen, Ungarinnen und Tschechinnen geheiratet haben – wie so viele Donauschwaben, deren Vorfahren sich im 18. und 19. Jahrhundert nach Südosteuropa auf den Weg gemacht hatten. Sie wurden von der Habsburgermonarchie nach der Vertreibung der Türken entlang der Donau in Ungarn und im Banat angesiedelt. Wie die Wahl ihrer Partnerinnen vermuten lässt, hatten diese Auswanderer weder Berührungsängste noch nationale Vorbehalte. Auswanderer müssen sich auf Neues einlassen, vielleicht macht das tolerant und offen gegenüber Menschen anderer Herkunft.

Hans Müller hat sich in seiner neuen Heimat viele Jahre lang für das Andenken an die Schwäbische Türkei und die einstigen Auswanderer starkgemacht. Er hat sich für die seit 1989 bestehende Partnerschaft zwischen Eislingen und Villany eingesetzt. Für Delegationsfahrten fühlt er sich zwar zu alt, doch es freut ihn, dass der Schüleraustausch lebendig ist, seit Deutsch in Ungarn zum Pflichtfach geworden ist.

Dieser Text ist ein Teil einer großen Serie über Auswanderer aus der Region Stuttgart.