100 Jahre Bauhaus: Lars Kraumes Serie „Die Neue Zeit“ setzt das Phänomen in all seiner Lebendigkeit in Szene.

Stuttgart - Massachusetts 1963: Der achtzigjährige Walter Gropius hält in seinem schneeweißen Bungalow einen wohlverdienten Mittagsschlaf. Diesen bewachen ein nachtblauer „The Womb“-Sessel, diverse Sitzmöbel aus Stahl und schwarzem Leder, die unverkennbar die Handschrift von Marcel Breuer tragen, und im Hintergrund das zeitlos dezente Bücherregal „606“, das Dieter Rams 1960 entwarf. Von Anfang an bringt die von Lars Kraume inszenierte Serie „Die Neue Zeit“ Objekte des Bauhauses als einer „Schule des Erfindens“ (Kraume) in ihren spezifischen Farben zum Leuchten und arrangiert sie als stille Stars.

 

Gropius ist über der Lektüre einer feministischen Streitschrift eingeschlafen, deren Verfasserin er gut kennt und die ihn gleich zum Interview besuchen wird. Der dänische Schauspielstar Trine Dyrholm stellt die elegant-energische Journalistin Stine Branderup dar, die Gropius mit ihren Fragen in die Enge treibt und schließlich zum Erzählen bringt: Wie war das in den Anfangsjahren mit den Frauen am Bauhaus, hatten sie dieselben Rechte wie ihre männlichen Kommilitonen? Und gibt es zwischen dem Gründungsdirektor Walter Gropius und Dorothea Helm aus der Malerklasse eine unerzählte Geschichte? Dieser für den Film entscheidende Handlungsstrang ist allerdings nicht belegt, Kraume unternimmt einen Balanceakt zwischen Fakten und Fiktion.

Pagenkopf ersetzt Hochsteckfrisur

Es bedarf eines Ausnahmeschauspielers wie August Diehl, der mit seiner feurigen Sensibilität immer wieder in unterschiedlichsten Rollen überzeugt, um den Zeitsprung von der Rahmenhandlung, bestehend aus dem tatsächlich 1963 geführten Interview, ins Weimar des Nachkriegsjahrs 1919 plausibel zu vollziehen. Er habe sich früh entschieden, den Berliner Architekten nicht zu kopieren, sondern sich mit der historischen Figur Walter Gropius zu beschäftigen, sagt August Diehl: „Seine Energie, seine Vision waren wichtig für mich. Und auch die Tatsache, dass er ein Mensch des 19. Jahrhunderts war. Jemand, der in das 20. Jahrhundert erst hineinwächst, es miterfinden will.“ Passenderweise trifft Anna Maria Mühe als angehende Studentin Dörte Helm im bodenlangen Reisekleid mit Hochsteckfrisur in Weimar ein, comme il faut begleitet von ihrem Professoren-Vater (Hanns Zischler). Im Zuge ihrer Entwicklung zur Rebellin entscheidet sie sich für Hosenanzüge und einen Pagenkopf.

Jeder erinnere sich an das Bauhaus in Schwarzweiß, beklagt der alte Gropius, dabei war „Farbe überaus wichtig für uns“. Das lässt den Film nach dem Prolog in Form von Dörtes schwarzweißer Zugfahrt auf Farbe und Dynamik umschalten. Das „Staatliche Bauhaus“, das Gropius gegen den Widerstand der Klassiker- und zeitweise deutschen Hauptstadt durchsetzt, soll für alle Talente offen sein und propagiert die Zusammenführung von Kunst und Handwerk. Das geht gut, bis die Akademie 1925 dem politischen Druck nicht mehr standhält und nach Dessau zieht.

Dörte beginnt ihre Ausbildung in der Malerklasse des charismatischen Schweizer Esoterikers Johannes Itten (Sven Schelker), der sich zu Gropius‘ Gegenspieler entwickelt, dann setzt sie durch, in die Klasse von Oskar Schlemmer (Tito Werner) zu kommen. Die reale Dörte Helm durchlief das ganze Ausbildungsspektrum – Glasgestaltung, Weberei, Wandmalerei – und legte 1922 die Gesellenprüfung als Dekorationsmalerin ab. Zeitweise durften die Studentinnen nur in der Weberei arbeiten und mussten zwischendurch kochen – diesen „Kompromiss“ hatte die konservative bis reaktionäre Bürgerschaft Walter Gropius abgerungen. Damit will sich Dörte nicht abfinden, und so spitzt sich die Handlung immer mehr auf ihre Hassliebe zu Gropius zu. Die beiden liefern sich Dialoge mit der Rasanz einer Screwball Comedy.

Aus weiblicher Sicht erzählt

Den entscheidenden Impuls, die Entwicklung der Design-Schmiede vom Jugendstil zum Funktionalismus der „Wohnmaschine“ aus weiblicher Sicht zu erzählen, erhielt Lars Kraume von seiner Frau, der Kunsthistorikerin Lena Kiessler. Zusammen mit Judith Angerbauer schrieben sie das Drehbuch. Anna Maria Mühe wiederum wurde vor allem durch ihre Begegnung mit Dörte Helms Tochter Cornelia Heise inspiriert. Diese moniert jedoch, dass ihre Mutter zuwenig als eigenständige Künstlerin gewürdigt werde und nur die „eher unwahrscheinliche“ Liaison mit Gropius im Zentrum stehe.

Dennoch setzt „Die neue Zeit“ das Phänomen Bauhaus in all seiner Lebendigkeit in Szene – von den legendären Fünf-Minuten-Aktzeichnungen im Atelier Itten bis zum strahlend bunten „Afrikanischen Stuhl“, den Marcel Breuer und die mit Dörte Helm eng befreundete Textilkünstlerin Gunta Stölzl (Valerie Pachner) kreierten. Auch Nebenrollen wie eine herrlich schmollende Birgit Minichmayr als Gropius‘ Ehefrau Alma Mahler oder Felix Eitner als schwäbischer Chauvinist Carl Schlemmer, der seinem berühmten Bruder assistiert, sind hervorragend besetzt. Sie alle agieren in Olaf Schiefners elaboriertem Szenenbild mit einem Spaß und Tempo, dass in jeder Einstellung deutlich wird: Das Bauhaus hat nicht nur in seinen Elevinnen und Eleven das Verlangen nach freien, neuen Lebensformen und deren künstlerischer Gestaltung geweckt – dadurch bleibt es ewig jung.