Auf dem Stuttgarter Fasanenhof prallen Industriegebiet und Idylle aufeinander. Das Wohngebiet blüht auf und profitiert von Menschen, die sich für ihren Stadtteil engagieren.

Stuttgart - Wer noch nie auf dem Fasanenhof war, macht sich die kühnsten Vorstellungen, wie es dort wohl aussehen könnte. Fasanenhof, das klingt nach grünen Wiesen und umherspringenden Fasanen. Zeit, den Stadtteil mit dem wohlklingenden Namen zu erkunden.

 

Ihre Reise startet die U6 in Gerlingen und fährt dann in einem großen Bogen durch Stuttgart hoch auf die nördliche Filderebene. Hinter dem Möhringer Freibad biegt die Stadtbahn dann kurz vor der A8 ab und hält das erste Mal auf dem Fasanenhof. Hier ist die Fahrt aber noch nicht vorbei, denn die Bahn fährt weiter, bis zur Endhaltestelle im Industriegebiet Schelmenwasen, wo die Schienen schließlich enden.

Der Schelmenwasen erstickt im Verkehrschaos

Mit dem Verlassen der fast leeren Stadtbahn erfüllt lautes Hämmern und Sägen die Ohren. Der Lärm kommt von einer Baustelle in der Nähe der Haltestelle. Hier wird ein riesiges Parkhaus gebaut. Das scheint auch dringend nötig, denn direkt neben den Schienen parken Autos in einem langen Korridor, dessen Ende man nur erahnen kann.

„Zu wenige kommen mit der Bahn zur Arbeit“, erklärt der Mitarbeiter eines Elektrofachhandels, der nicht namentlich genannt werden möchte. „Es gibt zu viele Firmen hier, die Abfahrten sind zu klein und die Straßen überlastet. Abends, wenn alle um fünf Feierabend machen, ist hier das Chaos los“, sagt er.

Durch Stuttgart 21 steigt die Belastung zusätzlich. In der Nähe der Endstation Schelmenwasen wird nämlich der Fildertunnel gebaut. Mit einer Tunnelbohrmaschine bohren sich die Bauarbeiter vom Filderportal bis hinunter in den Stuttgarter Talkessel. Den Aushub bringen tonnenschwere Muldenkipper von der Baustelle, die sich zusätzlich durch die engen Straßen auf dem Schelmenwasen zwängen müssen. Bis zur Fertigstellung des Tunnels sind 400.000 Lastwagenfahrten durch das Industriegebiet nötig. Deshalb forderte auch die Deutsche Bahn bereits eine direkte Zufahrt zur A8. Allerdings konnte sich die Bahn mit der Stadt nicht auf eine Lösung einigen.

Ab 2017 möchte auch die SSB bauen und die U6 bis zum Flughafen verlängern. „Mit der Verlängerung der U6 bis zum Flughafen und zur Messe können Fluggäste und zukünftig auch Fahrgäste der Fernbahn/Regionalbahn direkt auf die U6 umsteigen“, erklärt SSB-Sprecherin Susanne Schupp. Schon heute sei die U6 zwischen Gerlingen und Fasanenhof mit rund 76.500 Fahrgästen die Linie mit der größten Nachfrage, so die SSB-Sprecherin. Mit der Flughafenanbindung wolle man diesen Erfolg noch steigern.

Nur fünf Firmen nutzen das Firmenticket

Obwohl die rund 70 Millionen Euro teure Neubaustrecke umstritten ist, begrüßt man die Verlängerung der Stadtbahn im Grand Leaf Hotel. Das Hotel liegt in einer der Seitenstraßen des Schelmenwasens. Kristina Injac ist Betriebsassistentin und freut sich auf die Anbindung zum Flughafen: „Ich glaube daran. Und wir freuen uns darauf.“ Für die Hotelgäste wäre die Stadtbahn vom Flughafen eine Alternative, erklärt Injac: „Oft nehmen unsere Gäste vom Flughafen aus das Taxi. Da wäre die Bahn natürlich billiger.“ Doch die ersten Stadtbahnen werden frühestens 2019 zum Flughafen fahren.

Seit 2011 fährt die U6 zum Fasanenhof. „Davor kam man hier zwar auch weg, aber nur mit dem Bus. Der fuhr aber von der EnBW ab“, erklärt Injac. Durch die Stadtbahn wurde die Anbindung besser. Dennoch haben nur fünf der auf dem Fasanenhof ansässigen Firmen eine Vereinbarung mit der SSB über ein Firmenticket. Immerhin, die EnBW sei dabei, erklärt SSB-Sprecherin Schupp. Alle anderen Mitarbeiter müssten jedoch das deutlich teurere Jedermann-Ticket kaufen.

Die Verkehrsbelastung bekäme man deutlich zu spüren, klagt Injac: „Mit dem Auto ist es furchtbar, da braucht man viel Geduld, um in die Stadt zu kommen.“ Ansonsten gefalle ihr aber der Schelmenwasen: „An sich ist es ein ruhiges Industriegebiet.“

Der Fasanenhof, eine Ruheoase

Zurück an der Endstation der U6. Dort sitzt Monika Staiger und wartet auf ihre Freundin. „Wir wollen heute nach Esslingen wandern. 13 Kilometer“, sagt sie. Die Rentnerin wohnt seit drei Jahren auf dem Fasanenhof. Früher habe sie in der Stadt gelebt, erinnert sie sich. Heute ginge das nicht mehr. Zu teuer. „Mein Mann und ich sind hier raufgezogen. Man ist ja schnell in der Stadt“, findet Staiger. Ein bisschen fremd war das Leben auf dem Fasanenhof anfangs allerdings schon, erzählt sie: „Das ist eine gewachsene Gesellschaft. Die kennen sich alle.“

Mittlerweile genieße sie die Vorzüge der ruhigen Lage: „Man hat auf dem Fasanenhof alles, was man braucht.“ Zum Reisen nehme sie immer die öffentlichen Verkehrsmittel, erklärt sie: „Es ist einfach angenehm und als Rentner kann man sich das auch leisten.“ Die Stadtbahnverlängerung zum Flughafen ist für die Rentnerin nicht so wichtig. Dass die neue Strecke bis 2019 fertig ist, will sie aber nicht so recht glauben: „Zum Flughafen bis 2019? Das langt ja nicht.“ Bei der SSB ist Susanne Schupp optimistischer: „Wir erwarten den Förderbescheid für 2017.“ Sobald dieser vorläge, erteile die SSB Aufträge für die Bauarbeiten. In 2,5 bis 3 Jahren soll die Strecke fertig sein. Im Industriegebiet Schelmenwasen wird also noch lange gebaut. Doch der Fasanenhof kann auch eine Ruheoase sein.

Der Fasanenhof ist eine andere Welt

Fährt man zwei Stationen zurück zum Fasanenhof, ist man an einem anderen Ort. Die Haltestelle Europaplatz ist modern und hell. Am Ende der Rolltreppe zieht sich eine grüne Lunge durch den Fasanenhof. Die Luft duftet nach Gras, Vögel zwitschern, der Tritonbrunnen plätschert vor sich hin. Für einen Moment vergisst man die Hektik des Industriegebiets und fragt sich: Warum heißt dieser Ort so?

Wo heute Hochhäuser stehen, errichtete Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg im Jahr 1730 eine Fasanerie. Später ließen Herzog Carl Eugen und seine Frau Franziska von Hohenheim dann ein Lustschloss mit Garten errichten. Im Winter durften die bunt gefiederten Fasane drinnen übernachten und gaben dem Schloss seinen Namen: Fasanenhof.

Heute bildet der Europaplatz das Zentrum des Wohngebiets. Seit 2015 steht er in seiner jetzigen Form. Aufgerissene Betonplatten und Klinkersteine sind weißen Fassaden und Glasfronten gewichen. Ein Supermarkt, ein Drogeriemarkt und ein Bäcker sind eingezogen, auch eine Bank und ein Ärztehaus gibt es. Überall sind Menschen unterwegs, und halten an für ein kurzes „Schwätzle“. Man kennt sich. Das Stadtbild wird von Rollatoren und Kinderwagen bestimmt. „Schön ruhig ist es hier“, erzählt eine junge Dame. Es klingt paradox, denn die Flugzeuge sind deutlich zu hören. „Die höre ich schon gar nicht mehr“, sagt sie und lacht.

Es wird eng auf dem Fasanenhof – gegen den Willen der Bürger

Warum sie auf dem Fasanenhof lebt? „Ich habe hier alles, was ich brauche. Hier sind irgendwie Stadt und Land beieinander.“ Für die Kinder sei das wichtig, findet sie. Kurze Wege zum Kindergarten, Nachbarn die man kennt. „Und für mich und meinen Mann ist vor allem die Natur wichtig.“ Doch um die Natur muss die junge Familie kämpfen. Denn in Zukunft soll es auf dem Fasanenhof noch enger werden.

Die Stadt und die Wohnungsbaugesellschaften wollen eine Nachverdichtung am Ehrlichweg. Wo heute noch Grünflächen sind, sollen hundert Wohnungen entstehen. Das sorgt bei vielen Bürgern für Unmut, weshalb die Fasanenhofer ihre Stimmung in einem offenen Brief an ihren Bürgermeister zum Ausdruck bringen: „Wie kaum ein anderer Stadtteil leidet der Fasanenhof unter den Umweltbelastungen wie Lärm und erhöhter Abgas- und Feinstaubbelastung durch die A8, die B27 sowie der Nord-Süd-Straße und dem Flugverkehr.“ Auch aufgrund des Wohnungsausbaus der vergangenen Jahre fühlen sich die Fasanenhofer übergangen.

Gebaut wird dennoch. Bei einer Auftaktveranstaltung bestätigte Baubürgermeister Peter Pätzold, dass die Bewohner nur noch über die Art und Weise der Baumaßnahmen entscheiden können: „Es geht nicht darum, ob die Nachverdichtung kommt, sondern um die Größe und die Ausführung.“

Wer auf dem Fasanenhof aus der Stadtbahn steigt, sieht erst einmal viel grün und genießt die Ruhe. Doch erst der zweite Blick offenbart ein lebendiges Stadtviertel, das um Grünflächen kämpft und sich für politischen Belange interessiert. Die Unternehmer im Industriegebiet Schelmenwasen sind dagegen schon heute an ihrer Belastungsgrenze. Von einem sorgenlosen Vogelpark ist der Fasanenhof noch weit entfernt.