Die Kreuzung an der Endhaltestelle Hedelfingen ist stark befahren. Täglich hetzen hier Pendler über die Straße von der U-Bahn zum Bus. „Keiner will hier bleiben“, sagt ein Kneipenbesitzer. Der Bezirksvorsteher hofft auf große Veränderungen.

Stuttgart - Der Ort, an dem Fabian Zureck arbeitet, ist etwa so groß wie 92 Fußballfelder. Mehr als 3000 Menschen arbeiten hier. 3,5 Tonnen an Material verladen, verschieben und lagern sie jedes Jahr: Autoteile, Baumstämme, alte Waschmaschinen, Stahlbänder, Raps, Altglas, Sand. Fabian Zureck lädt Container auf seinen Gabelstapler und bringt sie zu ihrer nächsten Station. Zureck ist ein kleines Zahnrad in der Kette, die Stuttgart mit der ganzen Welt verbindet. Und doch kennen nur wenige Stuttgarter den Ort, an dem Zureck arbeitet. „Wo ist denn hier ein Hafen?“, habe ein Bekannter, der ganz in der Nähe arbeitet, Zureck neulich gefragt. Neun Fußballfelder kann man schnell mal übersehen, wie es scheint.

 

Das Stuttgarter Hafengebiet, insgesamt 990 000 Quadratmeter groß, beginnt nur wenige Minuten Fußweg von der Stadtbahn-Endhaltestelle Hedelfingen entfernt. Wer sich nach dem Aussteigen links hält und den Neckar überquert, ist mit einem Mal umgeben von sehr viel Stahl, Wasser und von vielen LKWs. Ein Hafenspaziergang führt fort, was Stadtbahn-Reisende schon auf dem Weg von der Innenstadt nach Hedelfingen erahnen: In diesem Teil Stuttgarts ist robustes Schuhwerk von Vorteil.

Von Hedelfingen nach Rotterdam

Ziegel, Autoreifen und Bootsbedarf kann man entlang der Stadtbahnstrecke kaufen. Sogar komplette Tankanlagen sind hier zu erstehen. Im Hafengebiet ragen entlang des Neckars die Kräne in die Höhe. Am Rande der langen, geraden Straßen stapeln sich Stahlcontainer in verschiedenen Farben. Durch Maschendrahtzaun oder zwischen Metallstreben hinweg fällt der Blick auf Berge von Schrott. Kein Kind, das Baggerfahrer werden will, könnte es sich schöner ausmalen.

Fabian Zureck, 35 Jahre, schwarzes Käppi, kräftige Statur, ein Piercing in der Augenbraue und eines in der Lippe, ist Staplerfahrer für eine Logistikfirma im Stuttgarter Hafen. Das Unternehmen ist eines von etwa 50 im Hafen ansässigen. 130 bis 150 Stahlcontainer verlädt Zureck an einem durchschnittlichen Tag. Zu anderen Zeiten arbeitet Zureck auch im Kran, der Container auf Schiffe hebt. In 18 Metern Höhe liegt sein Arbeitsplatz dann. Die meisten Container, die Zureck derzeit verlädt, sind leer. Sie kommen vom LKW ins Containerdepot oder aus dem Depot auf die Straße, damit sie an einem anderen Ort wieder mit Ware befüllt werden können. Hedelfingen mag eine Endhaltstelle sein. Doch zugleich liegt hier der Hafen, der Stuttgart an die Welt anschließt. Allein bei Zurecks Arbeitgeber fährt drei Mal die Woche je ein Schiff nach Antwerpen und eines nach Rotterdam.

Außerdem im Video: Was verbinden Menschen in Hedelfingen mit dem Stadtteil?

Wohin führt die Lebensreise?

Wenn Fabian Zureck Mittagspause hat, geht er ab und an ins Otto-Hirsch-Center. Das Einkaufszentrum mit Supermärkten, einem Schnellrestaurant, einem Fitnessstudio und einer Apotheke ist nur ein paar Minuten zu Fuß von der Endhaltestelle Hedelfingen entfernt. Es lieg direkt am Fluss – wie ein Tor zur lauten, metallenen Hafenwelt, die jenseits des Neckars beginnt. Abgesehen von seinen Mittagspausen hier im Center hat Fabian Zureck mit dem Hedelfingen jenseits des Hafens nicht viel zu tun. Er wohnt im Stuttgarter Osten und kommt meist mit dem Auto zur Arbeit.

„Gott hat die Ewigkeit in das Herz der Menschen gelegt“, verkündet ein rechteckigen Sticker, der im Supermarkt im Otto-Hirsch-Center an einer Pinnwand klebt. Darunter steht die Frage: Wohin führt Ihre Lebensreise?

Wird der Hedelfinger Platz in den nächsten Jahren schöner?

In Hedelfingen führt sie oft zum nächsten Anschluss. „Die Leute rennen von der Stadtbahn zum Bus. Die Leute bleiben nicht. Hier gibt’s ja nichts“, sagt ein Kneipenbesitzer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen soll. Sonst stehe bald wieder das Finanzamt vor der Tür, sagt der Gastwirt. Er findet, Hedelfingen habe die Bezeichnung „Endhaltestelle“ gar nicht verdient. Hier an der Endhaltestelle, wo seine Kneipe liegt, gebe es nichts, was zum Ankommen einlädt. „Wenn es wenigstens ein Kino gäbe“, sagt der Mann. „Hier kommen die Leute aus der Bahn und stehen vor einem Klo.“

Der Kneipier meint die öffentliche Toilette, die an der Endhaltstelle am Ende der Gleise steht. Dahinter beginnt der Hedelfinger Platz, eine stark frequentierten großen Kreuzung direkt an der Endhaltestelle. Knapp 32 000 Autos fahren pro Tag hier lang (Stand 2013). Dazwischen die Pendler, die von der Stadtbahn weiter zum Bus wollen, etwa um nach Obertürkheim, Uhlbach, Rohracker oder Esslingen zu kommen. „Ich warte darauf, dass hier mal noch jemand überfahren wird“, sagt der Gastwirt.

Bezirksamt prüft: Kann der Platz umgebaut werden?

„Momentan hat der Hedelfinger Platz nicht die nötige Aufenthaltsqualität“, sagt auch der Bezirksvorsteher Kai Freier. Das will er ändern. Freiers Hoffnung: Aus der Kreuzung soll ein Kreisverkehr werden und der Platz soll verschönert werden, zum Beispiel mit einer Grünanlage. So soll der Hedelfinger Platz, der auch den Eingang zu Hedelfingens Ortskern bildet, attraktiver und ruhiger werden. An der Kreuzung gibt es vor dem alten Schulhaus, das heute ein Bürgerhaus ist, und vor einem ehemaligen Biergarten schon freie Flächen. In ihnen sieht Freier Potenzial für eine Umgestaltung des Platzes.

Ob das Vorhaben möglich ist und was es kosten würde, müsse das Bezirksamt nun aber erst in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung prüfen. Falls man zu dem Schluss kommt, dass der Platz verschönert werden kann, solle bis zum Frühjahr 2019 ein konkreter Plan vorliegen, sagt Freier. Der Zeitplan sei wichtig, damit im Herbst 2019 der Gemeinderat abstimmen und das Vorhaben in den nächsten Doppelhaushalt 2020/2021 eingebracht werden könne.

Hedelfingen: Stress oder Meditation?

Der Kneipier denkt bei Hedelfingen an Pendlerstress, Beate Koch an Meditation. Koch steht auf einer Anhöhe nahe des Hedelfinger Platzes und schneidet einen Weinstock zurecht. Hier oben im Weinberg zu arbeiten ist für Koch „meditativ“. „Es ist ein bissle was anderes als der Alltag“, sagt Koch. 50 Quadratmeter groß ist ihr Weinberg. Matschig ist es zwischen den Weinreben an diesem Tag. Kochs blonde Locken glänzen in der Sonne. Sechs bis acht Stunden, schätzt die Beamtin, arbeitet sie pro Woche in ihrem Weinberg. Dabei hält sie einen Schwatz mit Spaziergängern und beobachtet Rehe und Hasen. Letztes Jahr habe ihr Mann sogar eine Ringelnatter entdeckt.

Koch ist Weinbauerin im Nebenerwerb und eines von 23 Mitgliedern der Weingärtnergenossenschaft Hedelfingen. Etwa zwischen 50 000 und 150 000 Litern Wein produziert die Genossenschaft im Jahr, je nach Wetterlage. Damit ist sie nach eigenen Angaben die zweitkleinste der Weingärtnergenossenschaften in Stuttgart. Nur die Wengerter in Rohracker machten weniger Wein.

Sowohl im Hafen als auch im Weinberg wird in Hedelfingen hart gearbeitet

Koch arbeitet für die Genossenschaft im Weinverkauf mit und pflegt die Informationsschilder, die in den Weinbergen stehen. Jetzt im Winter ist der Rebstock in der Ruhephase, erklärt Koch. Erst im Frühling geht die Arbeit wieder so richtig los. Sind die Trauben im Spätsommer reif, werden sie nach der Lese aber nicht in Hedelfingen selbst ausgebaut, sondern in der Württembergischen Weingärtner-Zentralgenossenschaft in Möglingen. In Hedelfingen gibt es zwar eine Kelter. Doch Wein in Fässern ausbauen können Koch und ihre Genossenschaftskollegen dort nicht. Die Kelter ist eine sogenannte Trockenkelter, also nur für Arbeiten wie das Wiegen der Trauben gedacht.

Im Weinberg wird in Hedelfingen hart gearbeitet. Das Anbaugebiet besteht aus viel Steillage. Das macht die Weinlese mit Maschinen unmöglich. Die Wengerter müssen selbst den Berg hoch kraxeln. Doch das Gebiet hat einen großen Vorteil: nur Südlage.

Wer kein Baumaterial und keinen Bootsbedarf, keinen Schutt, keine Autoteile und keine Tankanlage braucht, kann auch nach Hedelfingen fahren, um Wein zu kaufen. Von der Stadtbahnendhaltestelle sind es nur fünf Minuten zu Fuß zur Hedelfinger Kelter, wo Koch und ihre Kollegen ihren Rebsaft verkaufen.