Seit 50 Jahren erntet die Familie Weingärtner Erdbeeren an der Bergstraße. Die Weingärtners sprechen über die veränderten Produktionsbedingungen und die Beziehung des Kunden zu heimischen Produkten.

Hirschberg - Sie sind die ersten heimischen Beeren der Saison, sie künden von frühsommerlichen Nachmittagen und lauen Abenden. „Die Kunden warten schon immer sehr darauf“, sagt Karl Weingärtner, der Seniorchef auf dem Erdbeer- und Spargelhof seiner Familie in Hirschberg (Rhein-Neckar-Kreis). Seit 50 Jahren bauen die Weingärtners nördlich von Heidelberg an der badischen Bergstraße großflächig Erdbeeren an. In diesem Jahr hätten die ersten Kunden bereits Ende Februar auf dem Hof angerufen, erzählt die Juniorchefin Linda Weingärtner. „Ich dachte, es gehe ihnen um junge Pflanzen für ihren Garten und sagte: Die führen wir gar nicht. Doch sie wollten zwei Kilo Beeren. Da merkt man: Viele Leute haben kein Gefühl mehr für heimische Produkte, sie haben richtig die Orientierung dafür verloren“, sagt die Obstbaumeisterin, die den elterlichen Betrieb seit zwei Jahren leitet.

 

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Doch jetzt sind sie da: Rot leuchten sie zwischen satt grünen Blättern. Fast endlos erscheinen die Reihen unter den Folientunneln am Ortsrand von Hirschberg. Am 20. April wurden bei Weingärtners in diesem Jahr die ersten Früchte im sogenannten geschützten Anbau geerntet. Inzwischen sind auch die ersten Freiland-Erdbeeren reif. Wer beim Pflücken dabei sein will, muss früh auf den Beinen sein. Denn schon um 8 Uhr machen die Verkaufsstände auf. „Und da sollen die ersten Erdbeeren da sein. Direkt vom Acker schmecken sie am besten“, versichert der Landwirt. „Wir wollen deshalb immer Erdbeeren vom Tag, das ist unser oberstes Ziel“.

In der Saison sind bis zu 500 Helfer im Einsatz

40 eigene Verkaufsstände beliefert der Familienbetrieb jeden Morgen mit frischen Erdbeeren und Spargel. Fast die Hälfte der Ernte wird direkt vermarktet, der Rest geht an Händler in ganz Deutschland und manchmal bis nach Dänemark. Linda Weingärtner ist für den Verkauf und die Organisation verantwortlich, sie muss dafür sorgen, dass alles zur rechten Zeit geerntet wird und bei den Kunden ankommt. In der Hochsaison sind dafür bis zu 500 Kräfte im Einsatz, zurzeit sind es 300.

„Ich mache jeweils am Vortag die Einsatzpläne, schaue, wie viele Leute wo gebraucht werden, teile die Vorarbeiter für die Gruppen und die Fahrer ein – da sind jetzt alle im Stress“, schildert sie. Die Pläne werden am Abend in den Unterkünften der Erntehelfer ausgehängt, die auf dem großen Betriebsgelände mitten im Feld stehen. So wie es hell wird am Morgen – im Frühjahr um 6, im Sommer um 5 Uhr – geht es los. Ein Bus bringt alle hinaus auf die Felder, von denen die weitesten zehn Kilometer entfernt sind. In Gruppen von bis zu 50 Leuten ziehen sie nebeneinander durch die Reihen, die Kisten unter dem Arm. Meist sind dabei Frauen im Einsatz: „Die können es einfach besser als die Männer“, sagt Weingärtner. „Sie pflücken schneller, schöner, mit mehr Gefühl“, erklärt er. Die Männer stapeln die vollen Kisten in die Autos; sie sind auch für das Ausfahren zuständig.

Geerntet wird meist bis zum Mittagessen, danach ist es nicht nur für die Erntehelfer, sondern auch für die empfindlichen Beeren oft zu heiß. Es ist keine leichte Arbeit. „Die ersten zehn Tage am Anfang der Saison sind immer schwierig. Die Muskeln, die es braucht, müssen sich erst wieder entwickeln“, sagt Karl Weingärtner. Besondere Tipps hat er nicht. „Die einen bücken sich, die anderen gehen lieber in die Knie, das macht jeder, wie es ihm am besten passt. Die meisten unserer Helferinnen und Helfer kommen schon jahrelang, die wissen, was sie erwartet.“ Die ersten von ihnen kamen in den 1970er Jahren noch aus der Türkei, meist Frauen der ersten Gastarbeiter, die im Ort wohnten. Heute reisten die Erntehelferinnen und -helfer überwiegend aus Rumänien an.

Ein Göppinger war der erste

Auf die Idee, den Erdbeeranbau größer aufzuziehen, hat Weingärtner einst ein Kollege aus dem Schwäbischen gebracht. Der war im heimischen Göppingen, wo die Böden schwer und das Klima rauer waren, mit den Erträgen nicht zufrieden und hat in den 1950er Jahren kurzerhand neue Flächen in Durmersheim im Kreis Rastatt erworben und in der wärmeren Rheinebene mit ihren leichten Böden einen Neuanfang gewagt. „Er war der Erste in der Region, der den Anbau feldmäßig aufgezogen hat – den Hof gibt es heute noch“, erzählt Weingärtner.

„Ein wichtiger Zusatzerwerb waren Erdbeeren an der Bergstraße schon Generationen vorher nicht nur bei Bauern, sondern auch in normalen Familien. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte dort selbst der Lehrer Erdbeeren – nicht zum Essen, sondern zum Verkauf“, erzählt er. Per Güterwagen wurden die begehrten Früchte, die in den Dörfern an der nördlichen Bergstraße geerntet wurden, zum Bahnhof in Weinheim gebracht; von dort ging es über Nacht mit dem Zug auf den Markt nach Hamburg.

Die Weingärtners bauen auf 70 Hektar Erdbeeren an

„Die Einnahmen aus dem Erdbeerverkauf waren von jeher das erste Geld im Jahr, das die Bauern verdient haben“, erzählt Karl Weingärtner. Auch in seiner Familie, inzwischen in der zwölften Generation Bauern in Hirschberg, gehörten sie dazu. „Wir haben lange alles gemacht: Wir hatten Tabak, Weinbau, Zuckerrüben, Schweine, Hühner“, erzählt der 70-Jährige. Er hat in den 1960er Jahren mit einer Fläche von 20 Ar angefangen. Inzwischen bauen die Weingärtners auf 70 Hektar Erdbeeren an. Weinbau, Tabak, Rüben und Vieh haben sie aufgegeben. Spargel, Kirschen und Himbeeren sind neu dazugekommen.

Gewachsen ist über die Jahre nicht nur die Anbaufläche, sondern auch der Ehrgeiz der Erzeuger, die Sehnsucht nach frischen Erdbeeren durch neue Sorten und bessere Anbaumethoden immer früher zu befriedigen. „Der Stichtag für die ersten Beeren war früher einmal der 1. Juni“, erinnert sich Weinbauer. „Heute sind wir fünf Wochen früher dran.“ Er hat daran engagiert mitgewirkt. „Ich habe hier 1980 den Beregnungsverein gegründet, ich war der Erste in der Region, der mit Bodenfolien gearbeitet und Folientunnel eingeführt hat.“ Bei Studienreisen mit Kollegen hat er die halbe Welt bereist.

Nicht überall sind die Vorlieben gleich. Groß, fest und rot müssten die Beeren sein, hat ihm ein Züchter in den USA versichert. Und der Geschmack? „Zucker ist billiger“, habe er gesagt. „Wir sehen das anders: Erdbeeren müssen saftig sein, einen guten Geschmack haben, etwas süß-säuerlich.“

Es darf nicht zu trocken sein, und nicht zu nass

Für eine gute Ernte muss vor allem das Wetter mitspielen. „Zu kalt ist nicht gut, zu warm ist nicht gut, es darf nicht zu trocken sein und nicht zu nass“, erläutert Weingärtner. „Zwischen 15 und 25 Grad gefällt es ihnen am besten. Bei 30 Grad wachsen sie nicht mehr.“ Und ohne Bewässerung läuft schon lange nichts mehr. In kalten Winternächten braucht man die Beregnung auch zum Frostschutz. „Wenn es in den nächsten Wochen nicht zu großen Wetterextremen kommt, wird es ein gutes Erdbeerjahr.“