Unternehmen begrüßen es, wenn junge Männer und Frauen nach dem Abschluss früh einsteigen, aber auch, wenn sie erst Erfahrungen im Ausland oder im sozialen Bereich sammeln. Der Arbeitgeberverband sieht keinen Grund, noch mal an G8 zu rütteln.

Stuttgart - Wenn es nach Erich Harsch ginge, hätte die jahrelange politische und gesellschaftliche Debatte über die G8-Reform in Baden-Württemberg nicht sein müssen. Der Chef von Deutschlands größter Drogeriemarktkette ist Österreicher, genauer gesagt Wiener – und dort sei es üblich, „die Matura“ an allgemeinbildenden Schulen nach zwölf Jahren abzulegen. Auch abgesehen von persönlichen Erfahrungen befürwortet der Vater eines Sohnes und einer Tochter das Modell G8: Es sei ein Denkfehler, dass eine komplexere Welt längeres schulisches Lernen erforderlich mache. Stattdessen seien Wissensbeschaffungs- und Problemlösungskompetenz gefragt – Qualifikationen, die sich seiner Meinung nach auch in der Praxis erlernen lassen.

 

Als Arbeitgeber legen die Karlsruher großen Wert darauf, dem Nachwuchs früh Verantwortung zu übertragen: Seit mehr als 15 Jahren gibt es in vielen deutschen Städten sogenannte Lehrlingsfilialen, in denen ausschließlich Auszubildende für einen ganzen Monat lang das Sagen haben. Der dm-Personalchef Christian Harms wünscht sich von Einsteigern vor allem „Aufgeschlossenheit für Neues, eine authentische Persönlichkeit, sehr gute Kundenorientierung, Bereitschaft für eigenverantwortliches Handeln und Organisationstalent“.

Erfahrungen mit G8-Abiturienten überwiegend positiv

Die Erfahrungen der Unternehmen mit den Turboabiturienten sind überwiegend positiv, erklärt Stefan Küpper, Geschäftsführer Politik, Bildung und Arbeitsmarkt der Arbeitgeber Baden-Württemberg: „Aus Sicht der Arbeitgeber hat sich das G8 in Baden-Württemberg bewährt, und es entspricht internationalen Standards. Unsere Betriebe stellen keine Qualitätseinbußen im Vergleich zum G9-Abitur fest.“ Die oftmals praktizierte Kombination von G8 und einem anschließenden Auslandsjahr oder Freiwilligen Sozialen Jahr erbringe persönlich gereifte junge Menschen, was die Wirtschaft durchaus begrüßt, so Küpper.

„Es gibt daher keinen Grund, am G8 zu rütteln.“ Die Herausforderungen für das Schulsystem seien mittlerweile ganz andere: die bestehenden Qualitätsprobleme, das Großprojekt der Digitalisierung und die Sicherung des qualifizierten Lehrkräftenachwuchses, zählt Küpper auf. „Hieran gilt es mit aller Kraft zu arbeiten, statt sich weiter in überflüssigen Debatten zu verzetteln.“

Grundlegende Wissenslücken bei manchem Bewerber hat der Schokoladenhersteller Ritter Sport ausgemacht. „Die Deutsch- und Mathematikkenntnisse, die in Eignungstests in praktischen Aufgabenstellungen aus der Wirtschaft gefordert werden, lassen bei den Schulabgängern – trotz oft passabler Schulnoten – oft zu wünschen übrig“, sagt Frank Mummert. Der Personalleiter des Familienunternehmens aus Waldenbuch vermag allerdings nicht zu beurteilen, ob das der verkürzten Schulzeit bei G8 geschuldet ist oder ob die Ursache eher in einem generellen Mangel der Lehrpläne aller Schulen liege, die in vielen Punkten zu wenig praxisbezogen auf das Berufsleben ausgerichtet seien. Mummert wünscht sich allerdings die Vermittlung von mehr wirtschaftlicher Kompetenz: „Schulabgänger sind oft eher geübt und erfolgreich im Interpretieren von Gedichten als in der Formulierung eines fehlerfreien, stilistisch passenden Geschäftsbriefs“, sagt er.

Soziales Jahr wird als persönliche Bereicherung empfunden

Wenn Jugendliche das durch G8 gewonnene Jahr zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr oder einem fordernden Auslandsaufenthalt nützten, „kann es auf persönlicher Ebene eine Bereicherung sein“, so Mummert. Die Berufsanfänger starteten dann häufig mit stabilerer Selbstsicherheit und besseren Sprachkenntnissen.

Ein gefragter Arbeitgeber für Abiturienten ist auch die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Das Institut beschäftigte Ende 2016 rund 400 Auszubildende oder duale Studenten. Von negativen Auswirkungen der G8-Reform spricht man auch hier nicht: „Wir haben in den vergangenen Jahren bei unseren Auszubildenden nicht die Erfahrung gemacht, dass sich das G8-Abitur merklich auf deren Leistung auswirkt“, sagt Ausbildungsleiter Wolfram Baier. Ohnehin seien für die Bank die Noten im Abschlusszeugnis nicht allein ausschlaggebend – vielmehr zähle der Gesamteindruck und dabei Eigenschaften wie Interesse, Teamfähigkeit, Lernbereitschaft oder Engagement.

„Auch das Argument, dass G8-Abiturienten zu jung sind, sehen wir nicht“, sagt Baier. Man stelle ebenso Realschüler mit mittlerer Reife ein und mache auch mit diesen sehr positive Erfahrungen. Einen Anlass zur Sorge sieht der Ausbildungsverantwortliche dennoch: „Wir stellen fest, dass G8-Abiturienten in der Berufsfindung oft noch unentschlossen sind.“

Handwerk bietet Abiturienten gute Aufstiegsmöglichkeiten

Eine Branche, die für Abiturienten gute Karriereperspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten bietet, ist das Handwerk. Auch dabei muss die Basis stimmen – egal ob G8 oder G9: „Am wichtigsten ist auch bei einer verkürzten schulischen Laufbahn, dass die Ausbildungsfähigkeit vorhanden ist“, sagt Olaf Kierstein-Hartmann, Abteilungsleiter Bildungspolitik und Arbeitsmarkt beim Baden-Württembergischen Handwerkstag (BWHT). Bei der Anwerbung von Gymnasiasten habe das Handwerk gegenüber den Hochschulen, aber auch den Unternehmen aus der Industrie noch Nachholbedarf, räumt der Kammervertreter ein.

Die Bemühungen, sich gegen die Akademisierung zu stemmen, tragen jedoch Früchte, wie der zuletzt leicht steigende Abiturientenanteil bei den Handwerksazubis belegt. Immer mehr Gymnasiasten würden sich in der Studien- und Berufsberatung für diesen Weg interessieren, bestätigt auch Susanne Kühn, Berufsberaterin bei der Agentur für Arbeit Stuttgart. Die mögliche Verkürzung der Ausbildungsdauer oder erworbene Zusatzqualifikationen setzten dabei zusätzliche Anreize.