Im Auftrag der Begegnungsstätte Treffpunkt Mozartstraße in Fellbach organisieren Jürgen Sihler, Franz Kürner, Wolfgang Schmid und Günter Andreae regelmäßig, vorwiegend für Senioren, Ausfahrten auf dem Fahrrad oder Pedelec – ein Selbstversuch.

Fellbach - Kurz vor Pattonville ist es soweit: Die Nachteile eines normalen Fahrrads gegenüber dem motorunterstützten Pedelec machen sich mit einem schmerzhaften Brennen in meinen Oberschenkeln bemerkbar. Der Pulsmesser am linken Handgelenk beginnt wie verrückt zu piepsen, denn das voreingestellte Limit ist längst überschritten. Wolfgang Schmid dagegen kann sich bei dem gefühlt 18-prozentigen Anstieg noch locker unterhalten. „Achtung Anstieg, runterschalten“, hat der 71-Jährige uns kurz vor dem etwas überraschend auftauchenden Hindernis zugerufen. Zusammen mit dem am Ende unserer Gruppe radelnden Franz Kürner bildet er die Führungscrew bei der rund 48 Kilometer langen Ausfahrt.

 

Wolfgang Schmid weist noch auf weitere Vorteile hin, die speziell ein Pedelec für Gesundheitssportler hat

Mittlerweile ist das Terrain wieder flacher, das Lactat vom Blut aus meinen Muskeln geschwemmt worden. Solche Belastungsspitzen, wie sie Radfahrer im Rems-Murr-Kreis fast nur dann umgehen können, wenn sie direkt an Flussläufen entlang fahren, vermeiden die 15 Pedelecfahrer unserer 16-köpfigen Gruppe mit einem Drehen am Regler. Es ist Gesundheitssport pur, den der von Jürgen Sihler geleitete und üblicherweise noch von Günter Andreae verstärkte Verbund des Treffpunkts Mozartstraße betreibt.

57 Jahre ist die jüngste Teilnehmerin alt, mit dem ehemals bei internationalen Ausdauerwettkämpfen erfolgreichen Siegfried Roller fährt sogar ein 82-Jähriger von Fellbach über Mühlhausen, Kornwestheim, Pflugfelden, Eglosheim und Neckarweihingen zurück zum Ausgangspunkt. „Vor einem Jahr bin ich noch auf dem Fahrrad mitgefahren“, sagt Siegfried Roller, der nebenher dreimal pro Woche beim TSV Schmiden Nordic Walking betreibt. Die lädierten Knie verbieten ihm mittlerweile noch belastendere Dauerläufe. Auf zwei Rädern sind hingegen sanftere Bewegungen möglich. Wolfgang Schmid weist noch auf weitere Vorteile hin, die speziell ein Pedelec für Gesundheitssportler hat: „Belastungsspitzen werden vermieden.“ Die gleichmäßige Belastung größerer Muskelgruppen mit moderater Intensität ist das ideale Herz-Kreislauf-Training für ältere Menschen. „Ich fahre jetzt auch Strecken, die ich sonst nicht mehr fahren würde oder bei denen ich Bauchschmerzen hätte“, sagt Wolfgang Schmid über die mittlerweile fast ausschließlich von Pedelecfahrern frequentierten Ausfahrten. Bis zu 70 Kilometer lang sind sie und verursachen deswegen trotz moderatem Tempo einen erheblichen Kalorienverbrauch. Die sportliche Aktivität wirkt sich sichtbar positiv aus, denn kein Mitradler leidet augenscheinlich an starkem Übergewicht.

Flüssige und feste Verpflegung wird deswegen auf den Gepäckträger geschnallt

Den Gesundheitsaspekt berücksichtigen Wolfgang Schmid und seine drei Mitstreiter bereits bei der Organisation: „Etwa alle zehn Kilometer machen wir eine Trinkpause.“ Statt wie Rennradler während der Fahrt zu trinken, vermeidet der erfahrene Tourenbegleiter diese Gleichgewichtsübung, um Unfälle zu verhindern. Außerdem bieten manche Pedelecs mit ihrem voluminösen Stromspeicher nicht viele Möglichkeiten zum Anbau eines Trinkflaschenhalters. Flüssige und feste Verpflegung wird deswegen auf den Gepäckträger geschnallt. Der Sicherheit dient darüber hinaus ein Fahrradhelm, den zu tragen die Organisatoren dringend empfehlen. Das Pedelec bietet die Möglichkeit, dass „Menschen, die gesundheitlich etwas angeschlagen sind, wieder Rad fahren können“, sagt Wolfgang Schmid.

Einer davon ist Jürgen Sihler, der bereits seit zehn Jahren dabei ist und vor zwei Jahren einen Schlaganfall erlitten hat. Nach einer Pause ist er wieder zurück im Sattel und führt auch die Statistik der Gruppe. 89 Tagestouren mit einer Gesamtlänge von 4395 Kilometern fanden seit seinem Einstieg statt, 1894 Teilnehmer haben mitgemacht. Aktuell kommen üblicherweise zwischen 15 und 26 sportliche Senioren. Längst haben sich Freundschaften entwickelt, denn das gesellige Beisammensein findet nicht nur beim Jahresrückblick statt. Auf die kulturellen Höhepunkte hat sich Franz Kürner spezialisiert. In Hoheneck bringt der 69-Jährige seinen Begleitern die geschichtlichen Hintergründe der um das Jahr 1200 von den Markgrafen von Baden erbauten Burgruine und der evangelischen Wolfgangkirche näher.

Auf dem Rückweg löst sich die Gruppe nach und nach auf, denn Teilnehmer aus Schmiden und Oeffingen biegen vorzeitig ab. Ohnehin ist das Ziel nicht unbedingt mit dem Startpunkt identisch, der Ausklang findet häufig bei einem verspäteten Mittagessen in einem Lokal statt.