Andy Holzer ist der einzige blinde Profi-Bergsteiger Europas. Noch im Mai will er auf dem Gipfel des Mount Everest stehen. Wir begleiten ihn mit einer Serie bei seiner Vorbereitung und beim Weg hinauf in eisige Höhen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Mount Everest/Würselen - 12. Mai – 40. Tag der Expedition des „Blind Climber“ Andy Holzer und seines Teams auf den Mount Everest.

 

Vier Tonnen Müll am Everest gesammelt

Arbeiter und Freiwillige haben in den ersten beiden Mai Wochen mehr als vier Tonnen Müll von der chinesischen Nordseite des Mount Everest aufgelesen. Dazu gehören demnach Dosen, Plastiktüten, Zelte, Sauerstoffmasken und anderes Bergsteigzubehör.

In der Hoffnung auf eine dauerhaftere Lösung, richte die Lokalregierung in der Region Tibet Sortier- und Recycling-Stationen für den Müll ein, berichtet die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Die Aufräumaktion dauerte insgesamt neun Tage.

Jedes Jahr besuchen rund 60 000 Bergsteiger und Trekking-Touristen die Nordseite des höchsten Berges der Welt. Auf der nepalesischen Seite haben Organisatoren von Bergsteigexpeditionen damit angefangen, Kletterern in der Frühjahrssaison riesige Müllsäcke mitzugeben. Der gesammelte Müll wird per Hubschrauber zurück ins Basislager gebracht.

Eco Everest Expedition

Seit 2008 wird im Rahmen der jährlich stattfindenden Eco Everest Expedition der Müll, der sich am Berg angesammelt hat, zusammengetragen und entsorgt. Seit der Everest 1953 erstmals bestiegen worden war, haben hunderte von Expeditionen Müll- und Bergsteigerausrüstung hinterlassen.

Interview mit dem Bergsteiger Paul Thelen – Teil 1

„Südseite des Everest ist heute sauberer als mancher Schulhof“

Herr Thelen, der Mount Everest hat in Öko-Kreisen einen schlechten Ruf. Der 8848 Meter hohe Berg gilt als höchste Müllkippe der Welt. Wie vermüllt ist der Berg denn wirklich?
Er ist überhaupt nicht vermüllt. Ich bin fünf Mal im Basislager auf der Südseite des Everest gewesen. 2012 war ich Mitglied der Eco Everest Expedition, die seit 2008 jährlich unter anderem mit dem Ziel unternommen wird, gleichzeitig mit der Besteigung, Müll- und Bergsteigerausrüstung auf dem Everest zu beseitigen.
Standen Sie schon auf dem Gipfel?
Ich selber nicht. 2012 wollte ich im Rahmen der Eco Everest Expedition mit meinem Freund, dem Arzt Eberhard Schaaf, den Mount Everest besteigen. Er war in der ersten Gruppe, die den Gipfel erreichte. Beim Abstieg am Hillary Step auf 8750 Meter starb er innerhalb kurzer Zeit, wahrscheinlich an einem Höhen-Hirn-Ödem. Ich war zu dieser Zeit im Camp 4 auf 8000 Meter und wollte zum Gipfel aufbrechen. Als ich von seinem Tod erfuhr, habe ich sofort entschieden abzusteigen.

„Man muss den Müll mit Eispickeln herausschlagen“

Was macht das Müllsammeln am Everest so schwierig?
Ich kenne alle Lager auf der Südseite, seit ich dort insgesamt mehrere einige Wochen zugebracht habe. Alle Lager, mit Ausnahme von Lager 2, sind komplett sauber. Dort ist es komplizierter, weil der alte Müll durch die Bewegung des Gletschers ins Eis gezogen und durch Lawinenabgänge bedeckt wird.
Um was für Müll handelt es sich?
Der meiste Müll stammt aus den 1970er und 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es handelt sich um alte Zelte, Bergsteigerausrüstung, Dosen, Sauerstoffflaschen. Man muss sie mit dem Eispickel aus dem Eis herausschlagen. Eine sehr mühsame Arbeit.
Wie sieht es in den Camps auf der Südroute aus?
Das Basecamp auf 5300 Meter wird heute peinlich sauber gehalten. Camp 1 liegt oberhalb des Khumbu-Eisbruchs auf 6100 Meter. Das ist eine schneeweiße Eisfläche – kein Müll dort. Camp 3 liegt auf 7100 Meter auf einer Schräge an der Lhotse-Flanke mit 50, 60 Prozent Steigung. Da kann nichts liegen bleiben. Komplett sauber. Das Camp 4 auf 8000 Meter war früher eine Müllhalde. Seit Jahren ist es schon freigeräumt worden von Sauerstoffflaschen und Zeltresten.
Ihr Fazit . . .
. . . Mit Ausnahme von Camp 2 ist der Everest auf der Südseite heute sauberer als mancher deutsche Schulhof.

„Die Toilettenabfälle sind ein Problem“

Wohin bringt man den eingesammelten Müll?
2008 begannen zwei Expeditionen damit, gezielt alten Müll vom Everest herunterzuholen. Die Sherpas bekamen für jedes Kilo Müll eine bestimmte Geldsumme. Seitdem wurde alter Müll heruntergebracht und in verwertbare und nicht verwertbare Anteile getrennt. Sauerstoffflaschen beispielsweise können wiederverwertet werden. Nicht verwertbarer Müll wird verbrannt oder wie organische Stoffe etwa Exkremente kompostiert.
Wie läuft die Müllvermeidung heute ab?
Schon zu Beginn der Saison Anfang April ist das Basislager komplett sauber. Während der Saison bis Ende Mai hat jeder Bergsteiger für den persönlichen Abfall wie Essensverpackungen eine Plastiktüte. Abends schüttet man den persönlich gesammelten Abfall in einen großen Müllsack am Gemeinschaftszelt.
Was geschieht mit den WC-Abfällen und Exkrementen?
Die Toilettenabfälle sind ein Problem. Es gibt bei jeder einzelnen Expedition mehrere Toilettenzelte im Basislager, die über großen Tonnen aufgestellt sind. Die gefrorenen WC-Abfälle in den Fässern werden heruntertransportiert und kompostiert. In den oberen Camps 1 bis 4 benutzt jeder Bergsteiger und Sherpa einen sogenannten Restop Plastic Bag, auch Shit-Bag genannt, in den jeder sein Geschäft macht. Die vollen Beutel mit gefrorenem Inhalt nimmt man mit ins Basislager und gibt sie dort zum Abtransport zur Kompostierstelle ab.

Interview mit dem Bergsteiger Paul Thelen – Teil 2

„Die Toten zu bergen ist viel zu gefährlich“

Mehr als 200 Leichen von Bergsteigern und Sherpas liegen auf dem Everest. Warum werden sie nicht ins Tal gebracht?
Die Toten zu bergen ist viel zu gefährlich. Alle Toten oberhalb von circa 8300 Meter können geländebedingt kann nicht geborgen werden. Am Everest gilt wie überall in den Bergen die Regel, dass die Retter nicht in Lebensgefahr gebracht werden dürfen.
Ist das wegen der Höhe so gefährlich?
Die Aufstiegsroute ist zum Beispiel am Hillary Step so schmal, dass nur ein Einzelner hoch und runter klettern kann. Auch an tiefer gelegen Stellen kann man wegen der Steilheit des Geländes nur mit einer Riesenanstrengung und mit bis zu zehn Sherpas einen Verletzten retten. Oberhalb von 8300 Meter ist jede Rettung unmöglich.
Ist es nicht möglich Hubschrauber der Bergrettung einzusetzen?
Hubschrauber können bis auf 6500 Meter fliegen. Nicht höher. Wegen der dünnen Luft ist es Hubschraubern nicht möglich, in extremere Höhen zu fliegen. Der Rekordversuch von Didier Delsalle, der am 14./15. Mai 2005 mit einem Helikopter auf dem Gipfel des Everest landete, ist nicht damit zu vergleichen. Mit den Helikoptern, die am Everest eingesetzt werden, ist so etwas nicht möglich.

Zur Person: Paul Thelen

Paul Thelen ist Molkerei-Ingenieur. Der heute 72-Jährige arbeitet seit 30 Jahren als Unternehmensberater im Bereich Marketing für die Molkerei- und Fruchtsaftindustrie.

Der begeisterte Fußballer, Tourenwagen-Fahrer und Marathonläufer entdeckte mit zunehmenden Alter das Bergsteigen für sich. So bestieg er den Aconcagua in Argentinien, den Mount McKinley in Alaska, den Kilimandscharo in Tanzania, den Elbrus in Russland, den Island Peak in Nepal und den Mount Everest bis auf 8000 Meter.

2012 nahm er an der Eco Everest Expedition teil, bei der sein Freund, der Arzt Eberhard Schaaf, beim Abstieg vom Everest auf 8750 starb.