Andy Holzer ist der einzige blinde Profi-Bergsteiger Europas. Im Mai will er auf dem Gipfel des Mount Everest stehen. Wir begleiten ihn mit einer Serie bei seiner Vorbereitung und beim Weg hinauf in eisige Höhen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Mount Everest - 26. April 2017 – 24. Tag der Expedition des „Blind Climber“ Andy Holzer und seines Teams auf den Mount Everest.

 

„Andys Gedanken sind bei seinem Vater“

Es ist gar nicht einfach vom Dach der Welt zu telefonieren. Für wenige Minuten am Tag darf Andy Holzer im Everest-Mittelcamp auf 5800 Meter das Satellitentelefon eines Sherpas benutzen, um seine Frau Sabine in Tristach in Osttirol anzurufen und die neuesten Infos durchzugeben.

Es gehe ihm „sehr gut“, berichtet Sabine Holzer am Telefon. Allen gehe es „super“. Akklimatisierung o.k., kein Kopfweh, körperlich topfit. „Andys Gedanken sind bei seinem Vater, der gestern (26. April) beerdigt worden ist. Hunderte Menschen waren beim Gottesdienst in der Kirche in Tristach“, sagt die 52-Jährige. „Ich habe einen Brief von Andy über seinen Vater vorgelesen. Danach war es in der Kirche ganz still. Sogar der Pfarrer hatte Tränen in den Augen.“

Sturm über dem Everest

Das Wetter am Mount Everest ist unberechenbar. Am Mittwoch (26. April) fegte ein heftiger Sturm über das Bergmassiv hinweg. Einige Zelte seien weggeweht worden, berichtet Andy Holzer per Satellittentelefon. Die Zelte seines Teams seien glücklicherweise stehen geblieben. Jetzt bereitet sich das Trio auf den Aufstieg in das ABC – „Advanced Base Camp“ (vorgeschobenes Basislager) vor. Ein Weg von mehreren Stunden von 5800 auf 6400 Meter.

Erinnerungen an das Erdbeben von 2015 werden wach

Andy Holzer kennt das ABC bereits aus dem Jahr 2015. Er akklimatisierte sich dort einige Tage vor dem geplanten Aufstieg zum Gipfel, als am 25. April um 11.56 Uhr ein Erdbeben der Stärke 7,2 die Region 80 Kilometer östlich der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu erschütterte. Das Nachbeben am nächsten Tag hatte eine Stärke von 6,7.

Bis zum 10. Mai wurden mehr als 7900 Tote geborgen, darunter auch zahlreiche Bergsteiger. Die Region um den Mount Everest wurde kurz nach dem ersten Beben evakuiert.

Höhenkrankheit – Ursachen, Symptome, Therapie

Höhenkrankheit trifft jeden

Gute Kondition und körperliche Fitness sind für Bergsteiger und Trekker unabdingbar, doch können sie die Höhenkrankheit nicht verhindern. Sie trifft jeden, wenn auch nicht gleich intensiv. Der einzig wirksame Schutz ist die richtige Taktik beim Aufstieg: immer langsam bergan. Ein Sauerstoffmangel kann sich schon ab 2500 Metern bemerkbar machen.

Oberhalb von 5500 Metern ist eine vollständige Anpassung des Organismus an die Höhe nicht mehr möglich. Es kommt zum kontinuierlichen Abbau der körperlichen Leistungsfähigkeit, die pro 1500 Höhenmeter um zehn Prozent sinkt. Bis zum Gipfel des Mount Everest (8848 Meter) ist sie um zwei Drittel geschrumpft.

Todeszone

Oberhalb von 7000 Meter beginnt die Todeszone. Ab dieser Höhe kann sich auch ein optimal akklimatisierter Mensch ohne weitere körperliche Anstrengungen nicht mehr regenerieren. In den Lungenbläschen wird der kritische Sauerstoffdruck unterschritten.

Die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins im arteriellen Blut sinkt unter einen tolerablen Wert. Der Organismus baut zwangsläufig unweigerlich so ab, dass ein dauerhafter Aufenthalt unmöglich ist, da man ansonsten an der Höhenkrankheit sterben würde.

Ein Überleben oberhalb von 8000 Metern von mehr als 48 Stunden ist (fast) unmöglich. Am 6. Mai 1999 verbrachte der Sherpa Babu Chiri 21 Stunden auf dem Everest-Gipfel. 2012 überlebte ein italienischer Bergsteiger am Everest vier Nächte auf einer Höhe von über 8000 Metern überlebte wie durch ein Wunder.

Wenn der Körper in der Höhe kollabiert

Höhenlungenödem

Weil der Urlaub kurz und das Interesse an Reisen in ferne Regionen groß ist, wollen viele Abenteuerlustige im Eiltempo die Gipfel erklimmen. Dabei riskieren sie ihre Gesundheit und im schlimmsten Fall ihr Leben. Vor allem folgende Krankheiten können in eisigen Höhen auftreten:

Ab 3500 Metern erhöht sich der Druck im Lungenkreislauf. Flüssigkeit tritt aus den Lungengefäßen in die Lungenbläschen. Die Folge: lang anhaltender feuchter Husten und blutiger Auswurf. Das Höhenlungenödem tritt bei einem bis drei Prozent der Höhenbergsteiger auf. Die Sterblichkeitsrate liegt bei 20 Prozent.

Höhenhirnödem

Es entsteht durch eine gesteigerte Hirndurchblutung und Ablagerung von Wasser, was zu erhöhtem Hirndruck und Blutgerinseln führt. In bis zu 40 Prozent der Fälle führt dies zum Tod. Sofort absteigen und extra Sauerstoff geben.

Periphere Ödeme

Es kann zudem zu höhenbedingter Netzhautblutung, Erfrierungen oder peripheren Ödeme an Fingern, Knöcheln oder im Gesicht kommen.

Akute Höhenkrankheit

Von Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit sind mehr als die Hälfte aller Menschen über 3000 Metern betroffen. Medikamente helfen nur bedingt. Sie lindern Schmerzen und akute Beschwerden, so der Arzt Rainald Fischer, „können die Symptome jedoch auch verschleiern“.

Genetische Veranlagung

Für die Höhenkrankheit gibt es eine genetische Disposition. Wer anfälliger ist, muss langsamer aufsteigen und sich länger akklimatisieren. „Bei 300 bis 350 Metern pro Tag hat man keine Probleme“, betont der Schweizer Höhenmediziner Peter Bärtsch, der schon selbst auf dem Nanga Parbat (8125 Meter) stand. „Was fasziniert ist die Herausforderung – wie bei jeder Höchstleistung. Wenn man sich vernünftig verhält, passiert in der Regel nichts. Man muss langsam aufsteigen, sodass keine Symptome auftreten. Sonst muss man einen Ruhetag einschalten oder absteigen.“