Als Standesbeamter hat Rainer Schulz viele Ditzinger glücklich gemacht. Heute kümmert er sich um Menschen im Seniorenzentrum. Zudem steht er seit einem halben Jahrhundert als Schiedsrichter auf dem Fußballplatz.

Ditzingen - Er ist nach wie vor der Chef, ganz unbestritten. Zumindest für viele jener Ditzinger, die vor allem während des Balkankonflikts Mitte der 1990er Jahre als Asylbewerber in den Ort kamen. Sie seien direkt aus ihren Heimatländern in die Stadt gekommen, erinnert sich Rainer Schulz. Der Kulturschock sei deshalb groß gewesen: Mancher habe mit dem Backofen geheizt und im Klokasten gewaschen. „So geht das nicht, wir brauchen einen Sozialarbeiter“, forderte Schulz damals. Und er hat auch heute noch kein Verständnis dafür, wie man als Sachleistung von Staats wegen jenen Schweinefleisch anbieten wollte, die dieses aus religiösen Gründen nicht essen durften. Der Staat einerseits, die Asylbewerber andererseits – und Schulz mittendrin. Er vermittelte, auch zwischen den Kulturen, und verschaffte sich offensichtlich so großen Respekt, verbunden mit einer echten Wertschätzung, dass er für manchen eben noch eines ist: der Chef.

 

Sozialarbeiter, Stadionsprecher und Schiedsrichter

Schulz, der in Kirchberg/Jagst groß geworden ist, kam 1969 nach Ditzingen. Erst leitete er die Stadtkasse, ehe er 1975 Leiter des Sozialamts wurde, jenes Amtes also, das später zum Amt für Senioren und soziale Dienste erweitert wurde.

Sein damals erworbenes Wissen über die verschiedenen Kulturen, seine Erfahrung im Umgang mit den Angehörigen unterschiedlicher Nationen helfen ihm noch immer, meint Schulz und bezieht das auf sein Wirken auf dem Fußballplatz. Schulz pfeift inzwischen nur noch in der Kreisliga B und C. Das genügt dem 69-Jährigen. Er muss sich nichts mehr beweisen, mehr als 50 Jahre ist er inzwischen Schiedsrichter. Zehn Jahre fungierte er außerdem als Stadionsprecher bei den TSF Ditzingen, den Turn- und Sportfreunden, als diese noch in der Regionalliga spielten. So manchen Treffer der späteren Profis Fredi Bobic und Sean Dundee rief er aus.

Weil er so viel Erfahrung hat, greift er nur zur Roten Karte, wenn es unbedingt sein muss. Bei harten Fouls kennt Schulz freilich kein Pardon, aber selbst einer Gelben Karte zieht er zunächst ein klares, unmissverständliches Wort vor. Aber manchmal, das gesteht sich Schulz ein, „ist die Angst schon dabei“. Die Atmosphäre auf dem Platz habe sich geändert – wie soll es auch anders sein, wenn in einer deutschen Mannschaft acht Spieler anderer Nationen und Kulturen kicken – da gebe es bisweilen nicht nur zwischen den Gegnern Klärungsbedarf, sondern auch innerhalb einer Mannschaft, erzählt Schulz.

Arbeit im Standesamt als Ausgleich

Um sich fit zu halten, fährt er viel Fahrrad, so ist er oft im Ort anzutreffen. Er ist gesund und war auch nie ernsthaft krank. „Manchmal muss man auch Glück haben“, sagt der Ditzinger. Er weiß, wovon er spricht, er hat auch viele andere Schicksale gesehen: Während seiner Amtszeit entstanden unter anderem der Familienentlastende Dienst, die Altenwohnanlagen, der erste Altentreff im Landkreis, die Sozialstation und die ambulante Hospizgruppe. Deren Mitarbeitern, die stets das Gespräch suchen und dafür die richtigen Worte finden müssen, zollt er großen Respekt: „Man kann nicht nur über das Wetter oder den VfB reden.“

Vor bald fünf Jahren, 2009, ging der Amtsleiter Schulz in Pension. Zu diesem Zeitpunkt hatte er, der Standesbeamte, 1879 Ehen geschlossen und 3758 Menschen glücklich gemacht – „zumindest für einen Tag“, wie er anlässlich seines Abschieds angemerkt hatte. Die Arbeit im Standesamt sei ihm stets ein schöner Ausgleich gewesen zu jenen schwierigen Situationen, mit denen er als Leiter des Amts für Senioren und soziale Dienste umgehen musste. „Der Mensch war für mich immer im Mittelpunkt“, sagt Schulz rückblickend.

Doch der Satz hat immer noch seine Gültigkeit, regelmäßig ist er im Seniorenzentrum Haus Guldenhof anzutreffen. Dann spielt er Theater mit Annette Pfaff-Schmid, die heute in der Stadtverwaltung für Senioren zuständig ist. Die beiden verkleiden sich, sie reden schwäbisch und haben nur ein Ziel: den Senioren unbeschwerte, humorvolle Momente zu bescheren. „Senioren sind das schwache Glied in der Gesellschaft. Sie beklagen sich nicht, und sie haben keinen Sprecher“, sagt Schulz nachdenklich. Er singt auch mit den Senioren, dann begleitet er den Chor am Klavier – so wie er seit Jahrzehnten den Chor der Gläubigen im Gottesdienst an der Orgel begleitet; sei es in Gerlingen, in Stuttgart oder auch in Ditzingen. Das ist dann einer der wenigen Momente, in denen er allein ist – allein mit sich und der Musik.