Albrecht Sellner ist lange CDU-Stadtrat gewesen, von 1983 bis 1999 war er Bürgermeister. Der 78-Jährige ist Gerlinger, wohnt in der Stadt und beobachtet das kommunalpolitische Geschehen zurückgelehnt aus der Halbhöhe – mit Blick über das Strohgäu.

Gerlingen - Die Kommunalpolitik und die Kunst – das sind die Themen des Albrecht Sellner. Des Juristen, der einmal Richter war und der sich dennoch, oder trotzdem, den schönen Dingen zuwandte. Und der sein Berufsziel erreichte. 14 Jahre schon ist er jetzt Bürgermeister im Ruhestand. Er ist zwar in der Stadt präsent, mischt sich aber nicht mehr in die Kommunalpolitik ein. Was ihn nicht daran hindert, seine Meinung zu haben. Die Freiheit des Ruheständlers nutzt er anders: er hält Vorträge zu Kunst oder Kunstgeschichte, eröffnet oder kuratiert Ausstellungen, geht mit seiner Frau Heidemarie zu Konzerten.

 

Die Liebe zur Kunst ist ihm zugefallen

Doch der Reihe nach. Sellner ist um die 22 Jahre alt, als sich der Jurastudent 1957 ein Zubrot verdienen muss. Er schreibt auf eine Chiffre-Annonce in der Stuttgarter Zeitung, in der eine Frau samstags für ein paar Stunden eine Hilfe für Arbeiten in ihrem Haus am Bubenbad sucht. Sie antwortet, und Sellner lernt die Künstlerin Lily Hildebrandt kennen. Anstatt eines Lohnes erhält er ab und an ein kleines Kunstwerk. Das war zwar nicht Sellners Absicht, aber er lässt sich auf die Vereinbarung ein. Ganz nebenbei kommt er in Kontakt zu weiteren Größen der Kunstszene: Walter Gropius, Max Ackermann, Ida Kerkovius.

„Das war eine neue, eine spannende Welt für mich“, erzählt der 78-Jährige mit einem Strahlen in den Augen. Ein Zufall sei das gewesen: „Jedem Menschen fällt im Laufe seines Lebens etwas zu“, meint er – und die Kunst sei eben sein „Zu-Fall“ gewesen. „Ein bisschen Kunstgeschichte“ habe er an der Universität noch gehört und auch ein halbes Jahr lang Malunterricht genommen. „Das habe ich dann aber wieder aufgegeben und mich auf das Wort beschränkt.“ Nicht selbst Kunst zu schaffen, sondern Kunst zu vermitteln – das sei sein Ding geworden. In 450 Vorträge, Vernissagenreden und andere Formen der Kunstvermittlung mündete dies bis heute. Hat er es bedauert, nicht Künstler geworden zu sein? „Nie. Mein Berufsziel war es, Bürgermeister zu werden.“

Der Weg dorthin führte den Juristen über das Amtsgericht zum Rechtsamt der Stadt Stuttgart und der Weg in die Kommunalpolitik in den Gemeinderat seiner Heimatstadt („Meine Vorfahren waren Gerlinger Weingärtner“) und in den Kreistag nach Ludwigsburg. Die ersten drei Jahre von 1965 an saß er bei den Freien Wählern. „Als 1968 die CDU-Fraktion gegründet wurde, hat man mich gebeten, zu ihnen zu kommen.“ Was er tat. Zehn Jahre später, 1978, wurde Sellner Erster Beigeordneter unter dem Bürgermeister Wilhelm Eberhard – und am 5. Juni 1983 im ersten Wahlgang mit 58,4 Prozent zu dessen Nachfolger gewählt. Seine Mitbewerber waren unter anderen ein Meteorologe aus Frankfurt – und Helmut Palmer aus dem Remstal.

Eine g’scheite schwäbische Wirtschaft fehlt Sellner in Gerlingen

Eine seiner Hauptaufgaben, so Sellner, sei, „neben der Stadtsanierung“ die Anbindung an Stuttgart gewesen. Sein Vorgänger habe ein Bauerndorf angetroffen, seither sei Gerlingen „zum Musterbeispiel der Entwicklung einer Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg“ geworden. Die engere Bindung an Stuttgart war erst 1997 mit der neuen Stadtbahn geschafft. Ein spitzbübisches Lächeln umspielt seine Züge. Ob sich das nur darauf bezieht, dass er die erste Bahn selbst in die Endhaltestelle Gerlingen steuerte? 1999 trat Sellner ab und überließ Georg Brenner das Feld. Zur Entwicklung seither, zu den wichtigen Themen der Kommunalpolitik von heute sagt er nichts. „Ich mische mich nicht mehr ein, behalte meine Vorstellungen für mich, Politik machen andere.“ Punkt. Sagt er doch etwas dazu, dass Stadträte über 70 nochmals kandidieren wollen? Er lächelt wieder. „Nein.“

Und man redet doch darüber, was in der Stadt geschieht. Modernisierte Schulen – „wunderbar für die Schüler“. Neubau auf der Wiese – „das war im Flächennutzungsplan lange vorgesehen, der Gemeinderat muss entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt ist“. Innenstadtsanierung – „Gerlingen darf kein Museum werden, gutes Altes und gutes Neues bestimmen den Charme einer Stadt“. Was er vermisst? „Eine g’scheite schwäbische Wirtschaft.“

Dann kommt noch die Rede auf den Rathausplatz, vor fünf Jahren erneuert und sehr umstritten. „Ich hätte ihn anders gemacht“, meint Sellner. Der Platz sei „an Sommertagen zu heiß, wenn’s regnet zu grau und nachts zu dunkel“. Ein Platz müsse „harmonieren mit der Größe der ihn umgebenden Gebäude“. Und dann nennt er Namen italienischer Städte. „Ich will aber meinen Nachfolger nicht kritisieren.“ Lieber redet er über ein großes Ausstellungsprojekt: Kunst von Gustav Schopf, 2016, im Gerlinger Rathaus. Und eine Präsentation aus der Gerlinger Kunstsammlung, etwa mit dem Titel „Was wir haben“, „das wäre auch mal wieder interessant“.