Maria Grill und 37 Mitstreiter sorgen zum 20. Mal für Obdachlose – nicht nur mit einem guten Mittagessen und frischen Kleidern. Die 78-Jährige aus Sankt Maria in Ditzingen ist der Motor einer Hilfsaktion für benachteiligte Menschen.

Ditzingen - S ie ist die Chefin in der Küche. Sie aber als Maria von Sankt Maria zu bezeichnen – dagegen verwahrt sich die 78-jährige Maria Grill. Die Aktion für arme Menschen müsse im Vordergrund stehen, meint sie so energisch und liebevoll, wie sie ihre Mitstreiter bittet, eine Aufgabe zu übernehmen. Maria Grill und das Team der Ditzinger Kirchengemeinde Sankt Maria haben am vergangenen Sonntag zum 20. Winteressen der Gemeinde eingeladen – und 120 Gäste kamen. Die Veranstaltungsreihe der Kirchen und der Wohnungslosenhilfe besteht seit 25 Jahren. Eingeladen sind nicht nur Obdachlose.

 

Obwohl sie großen Wert auf die Hilfsaktion und die beteiligten Helfer legt, merkt man Maria Grill an, dass sie ein bisschen stolz ist. Darauf, dass sie „eine Idee nach Ditzingen gebracht“ hat, wie sie sagt. Und darauf, dass diese Idee jetzt zum 20. Mal in die Tat umgesetzt wurde. Man lädt Menschen ein, die es nicht so gut haben wie man selbst, kocht ihnen am Sonntag nach Dreikönig ein schönes Essen, bietet ihnen frische Kleider an, eine warme Decke oder Schuhe, und anschließend gibt’s ein großes Kuchenbuffet. Man will die Gäste ein bisschen verwöhnen – auch, oder gerade weil mancher im abgewetzten Mantel am Tisch sitzt, auch wenn mancher ein bisschen streng riecht. Und dieses Kümmern wird dankbar aufgenommen.

Firmlinge helfen Maria Grill bei der Essensausgabe

Maria Grill hat genau im Kopf, was wann zu tun ist. Am Freitag früh geht sie einkaufen, am Samstagvormittag trifft sie sich mit Maria Bardack zum Vorkochen. Dann wird eine richtige Rindfleischsuppe mit Leberspätzle und Nudeln gemacht – für 120 Leute sind das mindestens 20 Liter. 45 Kilogramm Schweinehals wollen gewürzt, das Mischgemüse und die Spätzle vorbereitet sein. Am Sonntagmorgen wird weiter gekocht, und um halb eins portionieren sechs Frauen, drei auf der linken, drei auf der rechten Seite eines Warmhaltebehälters, das Essen auf Teller. Vor der Theke stehen junge Leute und ein paar Erwachsene Schlange. An den Tischen warten die Gäste in gespannter Vorfreude auf die Teller mit der dampfenden Mahlzeit. „Guten Appetit!“ Für viele ist das Essen das Motiv für die Fahrt nach Ditzingen; andere kommen, weil sie ernst genommen werden. „Auch wenn ich sonst mit Kirche nichts am Hut habe“, wie einer sagt.

„Der Heiligenschein wächst ganz schlecht, den musst du dir schwer verdienen“, meint Maria Grill und lächelt. Sie ist auch stolz auf die Firmlinge, die beim Servieren helfen – auch wenn sie dazu ein bisschen geschubst wurden. So kommen die jungen Leute mit einer Seite der Gesellschaft in Kontakt, die sie nicht kennen. Kevin, Simone, Toni und Luca stehen zwischen Hauptgang und Kaffeetafel zusammen.„Ich sehe, dass diese Gäste nicht jeden Tag ein gutes Essen haben“, sagt einer. „Ich fühle mich sozial“, meint Toni. „Ein komisches Gefühl“ sei das, ergänzt Luca. Der vierte im Bunde schweigt. Er könne nicht in Worte fassen, was er gerade empfinde.

Die Menschen am Tisch können das sehr wohl. „Hier habe ich Ansprache, treffe Freunde, hier ist es wie in einer Familie“, sagt Margarete (47) und schließt den Deckel einer großen Plastikschüssel. „Ich hab’ sogar noch zwei Portionen für meine Kinder bekommen.“ Knapp die Hälfte der Besucher lebe auf der Straße, schätzt Roswitha. Sie habe in der Wohnungslosenhilfe gearbeitet, „ich habe noch Bezug zu den Leuten“. Andere müssten mit Notunterkünften, Schlafplätzen in Kellern und Containern vorlieb nehmen. Rainer wohnt so – der 62-Jährige sucht für seine Frau und die Kinder verzweifelt eine Wohnung. „Hat man mal einen Vermieter, dann sagt der Nein, wenn er ,Hartz IV’ hört.“

Aus dem Sudetenland nach Deutschland

Vor der Tür stehen sie zusammen und rauchen. Einem lugt die Bierflasche ein kleines Stück aus der Jackentasche. Er sei vor sechs Jahren zum letzten Mal hier gewesen, erzählt Armin, der 51-jährige Junggeselle. „Das Essen ist die größte Hilfe.“ Er und sein Kumpel wohnen in einer Männer-WG in Ludwigsburg, „wir kochen nicht mehr regelmäßig, und so gut schon gar nicht“. Einen Anspruch aber hat er an seine vielen Bekannten: „Wenn man etwas umsonst kriegt, sollte man sich bedanken.“

Michael Leihbacher vom Festausschuss der Gemeinde verzehrt gerade sein Essen. „Wir freuen uns über das 20. Mal“, sagt er. „Aber es ist so schade, dass wir es schon 20 Mal machen mussten.“ Das zeige, wie arm viele Menschen seien. Einen Sonntag opfern er und die anderen Helfer vom Sozialausschuss und der Kleiderkammer, für das Winteressen. „Das sollte selbstverständlich sein. Gemeinde ist mehr, als in die Kirche zu gehen. Auch dieses Kümmern um Menschen braucht seine Zeit und seinen Ort.“ Und das Tischgebet des Pfarrers, das reiche. „Man muss es ja nicht übertreiben.“

Maria Grill ist 78. 1958 kam sie aus dem Sudetenland nach Ditzingen. In Sankt Maria organisiert sie das Winteressen, steht montags in der Kleiderkammer, macht im Team des Altenklubs einmal im Monat mit. Denkt sie daran, die Verantwortung für das Winteressen abzugeben? Welche Frage. „Ich muss doch gucken, dass das läuft. Was ihr den Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dieses Wort Jesu habe heute Morgen wieder jemand gesagt. Nicht der Pfarrer in der Kirche. Ein Helfer in der Küche.