Rechtzeitig vorsorgen für die Rentenzeit: Wir zeigen in unserer Serie, welche finanziellen Aspekte in welcher Lebenslage zu berücksichtigen sind. Heute: Wohnen im Alter.

Stuttgart - Die Nachbarn nennen Lothar Holzner (87) den guten Hirten. Er verteilt täglich die Post oder motiviert eine ältere Dame zum Laufen. Holzner, der früher leidenschaftlich gern geschwommen ist, liebt Bewegung. Doch weil das linke Bein kaputt ist, der rechte Arm seinen Dienst versagt und das Gehör nachgelassen hat, bleiben ihm nur noch Spaziergänge mit dem Rollator.

 

Mit seiner Gehhilfe kam Holzner trotz Aufzug mehr schlecht als recht durch seine Drei-Zimmer-Dachgeschosswohnung. Vor eineinhalb Jahren ist er in eine der zehn barrierefreien Wohnungen im Bad Cannstatter Stadtteil Espan gezogen. Dieser ist nahe der S-Bahn, hat Geschäfte und Ärzte. „Der Auszug ist mir schwergefallen“, sagt Holzner. Er hat nun ein Zimmer weniger, fühlt sich aber gut aufgehoben. Alle14 Tage wird seine Wohnung geputzt, im nahen Anna-Haag-Mehrgenerationenhaus isst Holzner täglich zu Mittag und besucht den Männerstammtisch.

Das „Servicewohnen im Quartier“ des Stuttgarter Vereins Anna-Haag-Mehrgenerationenhaus ist eine besondere Form des betreuten Wohnens. Dabei leben Senioren in der eigenen Wohnung,erhalten aber wenn nötig Hilfe vom Haushalts- oder Pflegedienst. Jedoch: der Verein vermietet Wohnungen in normalen Wohnhäusern, in denen Familien, Paare und Singles aller Altersstufen leben. Sie kümmern sich umeinander. „Wir sind bewusst keine Seniorenwohnanlage, wie es beim betreuten Wohnen üblich ist“, sagt die Projektbetreuerin Ange Niemann. Die Mieter sollen in einem gewöhnlichen Umfeld leben – noch dazu generationenübergreifend: Die Anbindung an das Mehrgenerationenhaus findet Niemann wertvoll. Dort können die Mieter an den vielen Angeboten teilnehmen und sich mit jungen Leuten austauschen. Das älteste Mehrgenerationenhaus Deutschlands hat ein Seniorenzentrum mit 84 pflegebedürftigen Bewohnern, eine Bildungsstätte für Jugendliche und eine Kindertagesstätte. „Jung und Alt übernehmen Verantwortung füreinander“, sagt Niemann.

Im Alter selbstständig und selbstbestimmt wohnen

Betreutes Wohnen ist eine beliebte Wohnform. In Umfragen geben Menschen dieses Betreuungskonzept aus den 1990er Jahren als bevorzugte Wohnform an, wenn sie aus der eigenen Wohnung raus müssten. „Menschen im Alter wollen selbstständig und selbstbestimmt wohnen“, sagt Birgit Wolter, die am Berliner Institut für Gerontologische Forschung (IGF) für den Bereich „Leben und wohnen im Alter“ zuständig ist. „Sie wollen ihren eigenen Haushalt führen, solange es geht, und dabei weder auf das eigene Bad noch die eigene Küche verzichten.“

Betreutes Wohnen kann aber kostspielig sein. Laut Experten sollte man sich an den ortsüblichen Mieten orientieren und einen Aufschlag von etwa 20 Prozent addieren. Die Betreuungspauschale beträgt je nach Anbieter bis zu 200 Euro im Monat. Hinzu kommen die Kosten für Zusatzleistungen. Bei Pflegebedürftigen zahlt die Pflegeversicherung einen Teil der Kosten. Wohnstifte und Residenzen sind die luxuriösen Varianten des betreuten Wohnens. Der Preis beginnt bei 1500 Euro.

Für Annamaria Schwedt vom Forschungsinstitut Empirica ist das betreute Wohnen ein Standard, der vom Wohnen im Quartier ergänzt wird. Ältere hätten zunehmend keine Kinder (in der Nähe). „Damit entfällt ein großes Potenzial an Alltagsleistungen“, sagt Schwedt. Zusammen mit dem Bedürfnis nach Gesellschaft führt das dazu, dass Senioren gemeinschaftlich orientiert wohnen wollen. Die eigenen vier Wände sind in ein Lebensumfeld eingebettet, das den Bedürfnissen des Alters angepasst ist. Im Quartier helfen Jung und Alt sich gegenseitig. Die Formen seien weniger starr als beim betreuten Wohnen, sagt Schwedt. „Der eine kauft ein oder geht zu Behörden mit, der andere hütet die Kinder. Schulen bieten einen Mittagstisch an. Es gibt tolle Ansätze.“ Die Nachbarschaftshilfe gewinne auch deshalb an Bedeutung, weil sie günstig sei. Immer weniger Menschen in Deutschland können von ihrer Rente leben.

Vertraut, aber nicht altersgerecht

Aus Sicht von Schwedt knüpfen Quartiersansätze idealerweise dort an, wo bereits Ältere wohnen oder berücksichtigen diese bei neuen Stadtquartieren mit. „Die meisten Menschen möchten im Alter in der angestammten Wohnung oder zumindest in der bisherigen Nachbarschaft wohnen. Das ist ihre vertraute Umgebung“, sagt sie.

Vertraut, aber nicht altersgerecht: nur fünf Prozent aller Senioren über 65 leben in einer barrierefreien Wohnung. Überall fehlt barrierearmer Wohnraum, und laut Studien beschäftigen die Deutschen sich zu spät mit der Wohnsituation im Alter. „Mit etwa50 Jahren sollte man sich fragen, ob man alsalter Mensch in seiner aktuellen Wohnung leben kann, wenn man nicht umziehen will“, rät Schwedt. Das sieht Wolter vom Berliner IGF ähnlich. Mit 50 habe man mehr finanzielle Spielräume als mit 70, sagt sie. „Jeälter man ist, desto schwerer bekommt man einen Kredit, um das Eigenheim altersgerecht umzubauen.“ Zwischen 50 und 65 Jahren sollte man grundsätzlich überlegen, wie man im Alter wohnen will, und sich mit etwa 70 gegebenenfalls auf Wartelisten für betreute Wohnprojekte setzen lassen. „Vielen fehlt das Wissen über die vorhandenen Wohnkonzepte“, sagt Wolter. Ihr Tipp: sich gründlich informieren und mit Bewohnern der bevorzugten Einrichtung sprechen.

Vielfältige Pläne und Geldbeutel

Insgesamt mangelt es an Wohnkonzepten, die den vielfältigen Plänen und Geldbeuteln der Senioren gerecht werden. Also initiieren sie selbst Projekte wie Wohn- und Hausgemeinschaften – und eben Mehrgenerationenwohnen. In Stuttgart gibt es immer mehr Baugemeinschaften mit diesem Ziel. Derzeit werden neun Projekte mit 130 Wohneinheiten geplant oder gebaut. Seit den 1980er Jahren wurden rund 30 Projekte realisiert. Die Stadt Stuttgart unterstützt die Quartiersentwicklung, indem sie Grundstücke zum Festpreis bereitstellt. Das hilft den Baugemeinschaften, aber: „Stuttgart fehlt eine Genossenschaft, die sich dem gemeinschaftlich orientierten Zusammenleben annimmt“, sagt Ursula Werner von der Stuttgarter Plattform für selbstorganisiertesgemeinschaftliches Wohnen. Diese stellt Projekte vor und sieht sich als Kontaktbörse. So haben schon etliche Menschen aus der ganzen Region Gleichgesinnte gefunden.

Lothar Holzner macht sich für den Männerstammtisch im Anna-Haag-Haus fertig. Der Sportliebhaber kann es kaum erwarten. Er grinst. „Wir reden viel über Fußball."